Um Reanimationserfolge zu verbessern

„Früh übt sich….“ – Wiederbelebungskurse in Schulen

FMH
Ausgabe
2018/47
DOI:
https://doi.org/10.4414/saez.2018.17321
Schweiz Ärzteztg. 2018;99(47):1642-1643

Affiliations
a Prof. Dr. med., SGAR-Vertreter Plattform Rettungswesen FMH, Präsident; b Geschäftsführerin SGNOR und SRC;
c Präsident SRC, dipl. Pflegeexperte, wissenschaftlicher Mitarbeiter Fondazione Ticino Cuore; d Dr. med., Geschäftsführer Schweizerische Herzstiftung;
e Dr. med., SGAIM-Vertreter Plattform Rettungswesen FMH; f Dr. med., SGI-Vertreter Plattform Rettungswesen FMH

Publiziert am 21.11.2018

Die Schweiz hat ein hervorragend ausgebautes bodengebundenes Rettungswesen und das engmaschigste Luftrettungssystem der Welt – und dies bei Tag und bei Nacht. Die Spitaldichte ist hoch, nicht nur für regionale Versorgungsstrukturen, sondern gleichermassen für die Zentrumsmedizin.
Trotzdem sind die Überlebenschancen bei einer der häufigsten schwerwiegenden Notfallsituationen – dem ausserklinischen plötzlichen Herz-Kreislauf-Stillstand (OHCA) – anhaltend gering. Damit sind wir in guter ­europäischer Gesellschaft – auch unsere Nachbarländer bleiben wie wir seit Jahrzehnten bei erfolgreichen Reanimationsraten von 6–10% stecken [1, 2].
Der Grund für die deprimierenden Ergebnisse ist der Dynamik dieses speziellen Notfalls geschuldet: Wenn der professionelle Rettungsdienst eintrifft, ist die Pro­gnose in der Regel bereits klar. Zumindest dann, wenn das Ereignis unbeobachtet eingetreten oder, noch bedauerlicher, zwar beobachtet, aber ohne adäquate Erstmassnahmen geblieben ist. Der Kampf gegen den plötzlichen Herztod wird nicht in der Notaufnahme, nicht im Herzkatheterlabor und auch nicht auf der ­Intensivstation, sondern vor Ort entschieden – der Beginn der Rettungskette macht den Unterschied.
Seit langem ist deshalb klar, dass nur über eine breite Schulung der Bevölkerung in Wiederbelebungs­massnahmen und eine Vereinfachung der hierfür eingesetzten Technik eine entscheidende Verbesserung 
des Reanimationserfolges zu erzielen ist. Die mit der Guideline-Entwicklung befassten Fachgesellschaften und Institutionen haben in den letzten 10 Jahren die Rahmenbedingen und Abläufe des sogenannten «Basic Life Support» (BLS) dramatisch komprimiert; insofern sind hier die Hausaufgaben absolviert. Dagegen bleibt nachhaltig problematisch, dass eine flächendeckende Ausbildung der Bevölkerung logistisch nur schwer umsetzbar ist.
Seit einigen Jahren haben deshalb Ärzteorganisationen weltweit dazu aufgerufen, durch Wiederbelebungstraining an den Schulen den Grundstein für eine höhere BLS-Kompetenz der Bürger1 zu legen. Beispiele hierfür sind der «Medical Emergency Response Plan for Schools» der American Heart Association (AHA) [3] und der «European Restart a Heart Day» durch den ­European Resuscitation Council (ERC) [4]. Vor allem in den skandinavischen Ländern konnte durch eine deutliche Steigerung der Laienreanima­tionsraten das neurologisch intakte Überleben eines plötzlichen Herz-Kreislauf-Stillstandes positiv beeinflusst werden, wobei der Instruktion an den Schulen ein wichtiger Anteil zugemessen wird [5, 6].
Die ideale Altersgruppe für den BLS-Unterricht von Schulkindern ist schwer zu definieren. Meist wird ein Mindestalter von 12 Jahren oder ein Körpergewicht von 50 kg empfohlen, um eine ausreichende Qualität der Herzdruckmassage zu gewährleisten [7–9]. Insofern könnte eine entsprechende Ausbildung idealerweise im obligatorischen Schulunterricht der 8. oder 
9. Klasse stattfinden. Das Thema BLS und Schule in der Schweiz erfährt eine zusätzliche Aktualität, da bislang die meisten jungen Erwachsenen diese Kompetenz im Rahmen ihres Fahrausweises erworben haben. Die kantonalen Strassenverkehrsämter erwägen offensichtlich, den seit 40 Jahren für die Zulassung zur Fahrprüfung geforderten Nothelferkurs zumindest in seinem Praxisteil abzuschaffen [10]. Eine Verlagerung in den obligatorischen Lehrplan der Schulen würde un­geachtet dieser Bestrebungen sicherstellen, dass alle jungen Menschen in dieser grundlegenden Technik ausgebildet sind, was bei dem tendenziell rückläufigen Interesse am Fahrausweis ohnehin nicht mehr gewährleistet war.
Mittels altersgruppenfokussierter Instruktionsvideos lässt sich der theoretische Hintergrund kompakt und ressourcenschonend vermitteln, was den zeitlichen Aufwand für den gesamten Kursinhalt auf 1 bis maximal 2 Schulstunden komprimieren würde. Der Praxisteil kann sich mittlerweile Guideline-konform nur auf die Herzmassage beschränken («hands only-CPR»). Idealer­weise eignen sich Lehrpersonen der eigenen Schule signifikant besser für diesen BLS-Unterricht als externe Instruktoren, was neben ihrer pädagogischen Kompetenz auch in ihrem Alltagsverhältnis zu den Schülern und ihrer Autorität und Akzeptanz begründet sein dürfte [11, 12]. Lehrpersonen für Sport- und Schwimmunterricht, die bereits obligatorisch ihre BLS-Kenntnisse regelmässig auffrischen müssen, sowie weitere freiwillige Lehrpersonen könnten in einem auf die Schulwirklichkeit fokussierten Instruktorenkurs (mit begleitender fachlicher Unterstützung) für ihren Einsatz vorbereitet werden; eine entsprechende Berücksichtigung ihrer Arbeitszeit müsste von den kantonalen Erziehungsdepartementen sichergestellt werden.
Natürlich müssen wir verhindern, dass Schulen für Partikularinteressen instrumentalisiert werden. Die Schule ist das einzig verbliebene verbindliche Forum, an das die Gesellschaft neben anderen Inhalten auch die Vermittlung sozialer Verantwortung delegiert – eine Aufgabe, die früher Familie, Kirche, Vereine und Militär unter sich aufgeteilt haben. Aber wenn eine ­Gesellschaft will, dass alle ihre Mitglieder über spezi­fische Kompetenzen verfügen, und wenn diese Kompetenzen sich nicht nur auf Mathematik, Sprach­erwerb und Grammatik, Fremdsprachen, Sport und Informationstechnologie beschränken sollen, dann ist die Schule heute tatsächlich ein guter Ort, das ent­sprechende Know-how und die passenden Skills zu ver­mitteln. Vorausgesetzt, die politischen Rahmen­bedingungen und Ressourcen für diese Zusatzaufgabe werden sichergestellt.
Effiziente Laienreanimation ist in der Schweiz immer noch ein seltenes Ereignis – ausser im Kanton Tessin: Hier konnte die allgemeine Überlebensrate auf fast 20% und im Fall eines defibrillierbaren Herzrhythmus sogar auf über 50% gesteigert werden [13]. Diese mehr als überdurchschnittliche Zahl wurde unter anderem auch durch die Schulung in der 8./9. Klasse erreicht. Rund 24% der gesamten Tessiner Bevölkerung sind in BLS-AED geschult.
Natürlich braucht es eine Reihe von Kampagnen, um Hemmschwellen, soziale Distanz und Qualität der durchgeführten Massnahmen zu steigern. Dass dies gelingen kann, zeigt Dänemark, wo zwischen 2001 und 2010 der Anteil erfolgreicher ­Reanimationen von 21 auf 45% gesteigert werden konnte [6]. Um Laienreanima­tionsraten von ca. 70% zu erreichen, was heute in den skandinavischen Ländern Realität geworden ist, leisten nationale Schulprogramme einen entscheidenden Beitrag [6].
Die Plattform Rettungswesen der FMH setzt sich zusammen mit der Schweizerischen Herzstiftung und dem Swiss Resuscitation Council (SRC) dafür ein, dass BLS an der Schule nicht nur in engagierten Kantonen wie im Tessin, sondern flächendeckend und nachhaltig im ganzen Land institutionalisiert wird [14].
Der Kampf gegen den plötzlichen Herztod wird vor Ort entschieden. Deshalb ist es so wichtig, bereits Schulkinder mit der Reanimation vertraut zu machen (Symbolbild).
Prof. Dr. med.
Wolfgang Ummenhofer
Plattform Rettungswesen FMH
Postfach 300
CH-3000 Bern 15
w.ummenhofer[at]unibas.ch
 1 Atwood C, Eisenberg MS, Herlitz J, et al. Incidence of EMS-treated out-of-hospital cardiac arrest in Europe. Resuscitation 67: 75–80; 2005.
 2 Gräsner JT, Lefering R, Koster RW, et al. EuReCa ONE-27 Nations, ONE Europe, ONE Registry: A prospective one month analysis of out of-hospital cardiac arrest outcomes in 27 countries in Europe. Resuscitation 105: 188–195; 2016.
 5 Wissemberg M, Lippert FK, Folke F, et al. Association of national initiatives to improve cardiac arrest management with rates of bystander intervention and patient survival after OHCA. JAMA. 2013;310:1377–84.
 6 Böttiger BW, Van Aken H. Training children in cardiopulmonary resuscitation worldwide. Lancet. 2015;385:2353.
 7 Jones I, Whitfield R, Colquhoun M, et al. At what age can schoolchildren provide effective chest compressions? An observational study from the Heartstart UK schools training programme. BMJ. 2007;334:1201.
 8 Abeleiras-Gomez C, Rodriguez-Nunez A, Casillas-Cabana M, et al. Schoolchildren as life savers: at what age do they become strong enough? Resuscitation. 2014;85:814–9.
 9 Kherbeche H, Exer N, Schuhwerk W, et al. Chest compression using leg-foot or arm-hand method. A prospective, randomised, con­trolled manikin study with school children. Eur J Emerg Med. 2017;24:262–7.
10 Basler Zeitung: BaZ-online, 5.9.2017.
11 Plant N, Taylor K. How best to teach CPR to schoolchildren: a ­systematic review. Resuscitation. 2013;84:415–21.
12 Lukas RP, Van Aken H, Molhoff T, et al. Kids save lives:
a six-year longitudinal study of schoolchildren learning CPR: Who should do the teaching and will the effects last? Resuscitation. 2016;101:35–40.
13 Mauri R, Burkart R, Benvenuti C, et al. Better management of OHCA increases survival rates and improves neurological outcome in the Swiss Canton Ticino. Europace. 2016;18:398–404.
14 Siebenpfund P, Kaufmann G, Burkart R, et al. Reanimation durch Ersthelfer. SÄZ. 2015;96(33):1124–6.