Die Botschaft hör ich wohl ...

Briefe / Mitteilungen
Ausgabe
2018/48
DOI:
https://doi.org/10.4414/saez.2018.17378
Schweiz Ärzteztg. 2018;99(48):1694-1695

Publiziert am 28.11.2018

Die Botschaft hör ich wohl ...

Die Botschaft hör ich wohl … Die medizinischen Gutachten hätten sich in den letzten 10 Jahren deutlich verbessert, lesen wir da. Und die Qualität werde kontrolliert. Das ist ja schön, aber nach meiner Erfahrung wesentlich komplizierter und weniger schön, als in den beiden Artikeln gesagt.
Ich arbeite vorwiegend mit traumatisierten Menschen, darunter grossteils Migranten. Ich urteile also aus der Sicht der Psychotraumatologie, und da ist die Bilanz ernüchternd. Ja, formal sind die Gutachten deutlich besser geworden (mit Ausnahmen!), aber psychiatrisch inhaltlich, insbesondere in Bezug auf Psychotraumatologie, lassen sie noch sehr zu wünschen übrig. Viele Gutachter haben keine ­Ahnung von Psychotraumatologie. Dies lässt sich anhand von vielen Details in den Gutachten zeigen. Es gibt unterdessen genügend Weiter- und Fortbildungen in Psychotraumatologie, CAS, MAS und was immer man wünscht. Man kann also von einem Gutachter, der über solche Patienten urteilt, verlangen, dass er etwa­s davon versteht.
Nebenbei sei hier auch wieder einmal die Frage nach der Neutralität gestellt. Wie neu­tral sind die Gutachter, wenn sie von einem Auftraggeber bezahlt sind, von dem sie wissen, dass er möglichst sparen will. Und wenn sie wissen, dass sie bei zu vielen positiven Gutachten auf einer schwarzen Liste landen?? Wann und wie wird die Qualität der Gutachten kontrolliert? Ich habe seit Anfang Jahr von einem halben Dutzend Patienten Gutachten gesehen, deren psychiatrische Qualität zum Himmel schreit. Vor Gericht sind sie aber, wie bekannt, allen Berichten von Behandelnden vorgezogen worden. Im letzten Fall, einem sequen­tiell traumatisierten Patienten mit eine­r schweren dissoziativen Störung, lagen der IV und dann auch dem Gericht Berichte von mindestens 2 verschiedenen ambulanten Behand­lern und von mindestens 2 verschiedenen Fachkliniken vor. All diese Fachleute kame­n zum selben Schluss: Posttraumatische Belastungsstörung und schwere dissoziative Episoden. Der Gutachter hat den Mann eine Stunde lang gesehen. Dass der Patient ständig daran war, sich zu kontrollieren, um nicht zu dissoziieren, hat er nicht gemerkt. Dann schrieb er im Gutachten: Er habe keine dissoziativen Symptome beobachtet, also habe der Patient keine Dissoziationen. Im Übrigen sei er nur krank, wenn er in der Klinik sei (sic!), ansonsten könne er 100% arbeiten. Urteilen Sie selbst…
Wenn einem Menschen aufgrund eines schlechten Gutachtens Leistungen verweigert werden, ist das höchst frustrierend, für die ­Patienten und die Behandelnden. Wenn bei einem Rekurs so eklatante Unterschiede bestehen zwischen allen Behandlern auf einer Seite und einem Gutachten auf der anderen Seite: Wann, wenn nicht in dieser Situation, wäre es angebracht, die Qualität des Gutachtens zu hinterfragen und zu überprüfen?! Auch über die Qualifikationen der Gutachter wird in den beiden Artikeln geschrieben. Insbeson­dere seien bei Psychiatern soziale Kompetenzen wichtig. Auch da gibt es unzählige negative Beispiele, die allerdings naturgemäss nur aus den Erzählungen der Patienten zutage treten. Oft sind die Patienten nach solche­n, oft weniger als eine Stunde dauernden Untersuchungen nachhaltig verstört. Die letzte Patientin, die beim Vertrauensarzt war, musste 20 Minuten warten, während dem das Personal für sie sicht- und hörbar Kaffee trank! Im Anschluss war sie bereits im Modus des ­Alles-über-sich-ergehen-Lassens. Die Anstrengungen sind lobenswert, aber meiner Meinung nach muss noch viel getan werden.