Cui bono? Von der Einkommensskandalisierung zum Globalbudget

FMH
Ausgabe
2018/49
DOI:
https://doi.org/10.4414/saez.2018.17403
Schweiz Ärzteztg. 2018;99(49):1723

Affiliations
Dr. med., Präsident der FMH

Publiziert am 05.12.2018

Das Jahr 2018 neigt sich ähnlich dem Ende zu, wie es ­begann – mit einer politisch inszenierten Skandali­sierung von Ärzteeinkommen. Bereits im Januar «schätzte» der Gesundheitsdirektor des Kantons Genf – öffentlich und ohne jede Datenbasis – die Löhne der Chirurgen auf eine Million [1]. Der Departementsvorsteher des EDI sekundierte gleichentags in den Nachrichten, dies seien «bis zu 80 000 oder gar 90 000 Franken im Monat, finanziert über die Prämien» [2]. Über Prämien ist dies nicht möglich: Dafür müsste ein Arzt, pausenlos 23 Stunden pro Tag, an jedem Tag ambulante Leistungen erbringen.
Die Nachfrage im Parlament, auf welche Daten der ­Departementsvorsteher seine Aussagen stütze, beantwortete das EDI am 16. Mai 2018, ohne eine Datenquelle anzugeben: «Es fehlt in diesem Bereich an Trans­parenz», denn: «Andere systematische Erhebungen als die von der FMH beauftragten Studien zu den AHV-pflichtigen Einkommen der Ärztinnen und Ärzte in freier Praxis liegen nicht vor» [3]. Diese Aussage erstaunt, denn bereits am 10. April 2018 hatte das BFS die Auswertung der 2017 von rund 7000 Arztpraxen gelieferten Finanzdaten publiziert: Diese zeigten ein Einkommen von 155 000 Franken, davon 138 000 aus Prämiengeldern [4, 5]. Warum wurden diese Zahlen in der Interpellationsantwort nicht erwähnt?
Auch in der nun Ende Oktober vom BAG lancierten Diskussion wurde ein Zerrbild der Ärzteeinkommen gezeichnet. So deckt die Studie des BAG zu den «Einkommen von Ärztinnen und Ärzten in der Schweiz» nicht wie behauptet «rund 90%» [6] der Ärzteschaft ab – sondern schliesst das Drittel der berufstätigen Ärzte mit den niedrigsten Einkommen systematisch aus. Zudem hob das BAG in seiner Kommunikation der Studie kleinste Subgruppen in verallgemeinernder Weise hervor [6]. Denn genaues Lesen der Studie [7] zeigt, dass von allen untersuchten Fachgebieten mit über 21 000 Ärztinnen und Ärzten allein zwei Subgruppen – nämlich 26 von 118 Neurochirurgen und 75 von 233 Gastroenterologen – ein derart hohes Medianeinkommen aufweisen, wie prominent im Lead der Medienmitteilung [6] erwähnt. Auch die Studienautoren warnen, die Daten seien «aufgrund geringer Fallzahlen mit Vorsicht zu interpretieren» [7]. Dies ­erwähnt die BAG-Medienmitteilung nicht.
Wer aus 21 347 untersuchten Ärzten das halbe Prozent der Höchstverdienenden herausarbeitet und deren Einkommensmedian – ohne Angabe zur Gruppen­grösse – selektiv der Öffentlichkeit präsentiert, provoziert Fragen nach seiner Motivation. Eine fundierte Diskussion wurde erheblich erschwert: Das BAG stellte uns seine 128-seitige Studie erst zwei Stunden vor der Medieninformation zur Verfügung – obwohl sie bereits seit Wochen vorlag.
Wem nützt die Stimmungsmache mit Ärztelöhnen? Vor allem jenen, die politische Mehrheiten für gedeckelte Amtstarife im Gesundheitswesen anstreben – wie sie das aktuell vernehmlasste Kostendämpfungspaket 1 des EDI vorsieht. Dieses soll die Tarifpartner verpflichten, die Kosten zu steuern – nach den Vor­gaben und mit subsidiärer Kompetenz des Bundes [8]. Geplant ist vorab, «eine ‘akzeptable’, d.h. gerechtfertigte Kostensteigerung zu definieren» [9] – de facto also ein Budget, das nicht überschritten werden darf. Erfolgt dennoch eine Überschreitung des Budgets, wird diese mit einer «Anpassung der Tarife» sanktioniert [9].
Einige haben es noch nicht realisiert: Damit liegt ein Gesetzesentwurf über ein Globalbudget per degressiven Tarif vor – und dessen politische Chancen steigen, wenn Ärzteeinkommen als masslos überzogen und regulierungsbedürftig gelten. Welche realen negativen Folgen eine solche Budgetierung der ärztlichen Ver­gütung – und damit auch der ärztlichen Versorgung – haben kann, legt der Artikel auf S. 1724 anschaulich dar [10]. Die FMH wird sich darum weiterhin für Tarifautonomie und gegen Globalbudgets positionieren: gegen eine Zweiklassenmedizin und verdeckte Rationierung.