Die Sache mit der Zeit

Briefe / Mitteilungen
Ausgabe
2018/50
DOI:
https://doi.org/10.4414/saez.2018.17404
Schweiz Ärzteztg. 2018;99(50):1781

Publiziert am 12.12.2018

Die Sache mit der Zeit

Während meiner letzten Praxisjahre habe ich als Hausarzt wesentlich mehr Zeit in Über­zeugungsarbeit investiert, bestimmte Untersuchungen oder Therapien zu unterlassen, als solche vorzunehmen. Häufig kam meine ­Botschaft gut an, gelegentlich kam sie den Patien­ten in den falschen Hals, retrospektiv selbstkritisch in erster Linie eine Frage des Zeitaufwandes beim Gespräch.
Hans Stalder, unbestrittener Experte in allgemeiner innerer Medizin, bringt das Problem in seinem «Zu guter Letzt» auf den Punkt: «Jedoch zählen das Gespräch und die Überzeugungsarbeit bekanntlich zu den vornehmsten Aufgaben unseres Berufs.» Alles klar? An sich ja, aber …
In der gleichen Nummer der SÄZ fasst Christian Oeschger die aktuelle Lage der Tarifverhandlungen zusammen. Fazit ist unter anderem, dass in Zukunft Zeit für Gespräch und Überzeugungsarbeit im Minutentakt, also korrekterweise mit der Stoppuhr, erfasst und abgerechnet werden muss.
Tarifpositionen, die für die Krankenkassen ein rotes Tuch waren, gab es schon immer. Vor 30 Jahren sagte mir die Kassierin der Orts-Krankenkasse, ich hätte die Position «Konsultation über 30 Minuten» im Laufe eines Jahres (NB bei etwa 50 Versicherten, darunter zahlreiche «Problempatienten») drei Mal abgerechnet, das sei nicht erwünscht. Ein längeres Gespräch konnte die Situation klären.
Es muss auch in Zukunft möglich sein, Gespräch, Beratung und Überzeugungsarbeit unkompliziert abzurechnen, dies auch im Inter­esse der Versicherer. Nach Hans Stalder: manchmal gilt «less is more». Das gilt ganz besonders für die hausärztliche Grundversorgung, weil hier Tag für Tag diagnostische und therapeutische Weichen gestellt werden, die auch finanziell von grosser Tragweite sind. Dies Politikern und Versicherern klarzu­machen, ist offenbar nur schwer möglich. Trifft es jemand persönlich oder im Familienkreis, wird fehlendes zeitliches Engagement der Ärzteschaft scharf kritisiert. Geht es aber ums Prinzip, wird die Sparschraube wo und wie immer möglich angezogen. Hans Stalder schliesst mit dem alten Grundsatz «Ein guter Arzt weiss, was er tun, ein ausgezeichneter, was er lassen muss», dies gelte ganz besonders bei der immer komplexer werdenden Dia­gnostik (und Therapie). Vielleicht gilt es sogar für Verfasser von Leserbriefen …