Neues Verjährungsrecht

FMH
Ausgabe
2018/5152
DOI:
https://doi.org/10.4414/saez.2018.17423
Schweiz Ärzteztg. 2018;99(5152):1825-1826

Affiliations
Dr. iur., Generalsekretärin und Leiterin Abteilung Rechtsdienst, FMH

Publiziert am 19.12.2018

Am 1. Januar 2020 tritt das neue Verjährungsrecht in Kraft. Für Ärztinnen und Ärzte hat dies Folgen – insbesondere bezüglich der Aufbewahrungspflicht der Krankengeschichten und der Nachdeckung nach Aufgabe der selbständigen beruflichen Tätigkeit. Die FMH empfiehlt, Krankengeschichten während neu 20 Jahren auf­zubewahren und Versicherungspolicen mit einer 20-jährigen Nachdeckung abzuschliessen.
Sowohl National- als auch Ständerat haben in ihrer Schlussabstimmung vom 15. Juni 2018 im Sinne eines Kompromisses eine Verlängerung der absoluten Verjährungsfrist bei allen Körperschäden und Todesfällen von 10 auf 20 Jahre beschlossen [1]. Das Referendum gegen die neue Frist wurde nicht ergriffen, die Regelung wird am 1. Januar 2020 in Kraft treten. Danach gilt diese Frist für selbständig tätige Ärztinnen und Ärzte sowie in gewissen Fällen für Privatkliniken.

Fragestellung und Historie

Die Problematik von zu kurzen Verjährungsfristen stellt sich vor allem bei Spätschäden, wie sie beispielsweise nach Asbestexposition auftreten. Nachdem im Jahr 2007 eine diesbezügliche Motion der Rechtskommission des Nationalrats eingereicht wurde, hat der «As­best­entscheid» des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte das Thema im Jahre 2011 wieder aktuell werden lassen [2]. Das Gericht hat festgestellt, die in der Schweiz geltenden Verjährungsfristen würden es bei Spätschäden unmöglich machen, Schadenersatz- und Genugtuungsansprüche gerichtlich durchzusetzen.
Im Entwurf des Bundesrats betreffend Änderung der Verjährungsfristen wurde dieser Kritik Rechnung ­getragen, indem bei Körperverletzung und Tötung eine absolute Verjährungsfrist von 30 Jahren vorge­sehen wurde [3].
Die FMH hat Vor- und Nachteile einer solchen Gesetzesrevision geprüft und erkannt, dass eine Verlängerung der Verjährungsfrist für alle Körperschäden und Todesfälle wenig Nutzen, aber einige Risiken und Unklarheiten birgt. Entsprechend wurden diese Argumente von der FMH in der Vernehmlassung und im Parlament eingebracht.
Weiter wurden die Arbeiten des «Runden Tisch Asbest» aufgenommen, mit dem Ziel, für Asbestopfer und ihre Angehörige, die aufgrund ihrer verjährten Forde­rungen keine Entschädigung mehr geltend machen können, eine Lösung zu finden. Diese Arbeiten sind beendet, am 28. März 2017 wurde die Stiftung Entschädigungsfonds für Asbestopfer (EFA) als private Initiative von Verbänden und Unternehmen gegründet, welche Beratung und finanzielle Unterstützung anbietet [4].

Vor- und Nachteile, praktische Bedeutung

Einigen Geschädigten wird die neue Regelung für die Wahrung ihrer Rechte tatsächlich etwas bringen. Viele Opfer von Spätschäden werden ihre Forderungen aber auch innerhalb der 20-jährigen Frist nicht geltend machen können, maligne Mesotheliome etwa manifestieren sich mit einer durchschnittlichen Latenzzeit von 35 Jahren [5]. Der Nutzen der Verlängerung ist entsprechend gering, wenn nur ein Teil der betroffenen Pa­tienten ­davon profitiert, was auch dem Parlament bewusst war [6]. Die juristische Bewältigung aller übrigen Körperschadens- und Todesfälle ist innerhalb einer zehnjährigen Verjährungsfrist ohne weiteres möglich.
Als Folge einer grösseren Latenz zwischen schädigendem Ereignis und allfälliger Beurteilung einer Ersatzforderung vergrössern sich die Beweisschwierigkeiten des Patienten. Der Nutzen einer längeren Verjährungsfrist relativiert sich dadurch. Weiter besteht nun eine noch grössere Diskrepanz zu den kantonalen, zum Teil deutlich kürzeren Verjährungsfristen, welche für gewisse Spitäler gelten [7]. Eine Vereinheitlichung in diesem Bereich blieb aus, mit der Folge, dass weiterhin Rechtsunsicherheit besteht. Die grösste praktische Bedeutung für Leistungserbringer dürfte die fehlende Anpassung der Dauer der Aufbewahrungspflicht für die Krankgengeschichte an die Verjährungsfrist haben [8]. In der Regel ist die Krankengeschichte während zehn Jahren nach Abschluss der letzten Behandlung aufzubewahren. Danach kann sie vernichtet werden, ausser es sei absehbar oder bereits klar, dass die ­Behandlung Gegenstand einer rechtlichen Auseinandersetzung wird. Diesbezügliche Anzeichen bestehen, wenn der Patient unzufrieden mit der Behandlung und/oder seinem Gesundheitszustand ist und dies äus­sert oder er den Verdacht einer allfällig fehlerhaften Behandlung mehr oder weniger explizit formuliert. Muss der Arzt bzw. die Ärztin mit einer rechtlichen Auseinandersetzung rechnen, darf er/sie die Krankengeschichte nicht vernichten, ansonsten er/sie sich einerseits strafbar machen würde, andererseits im Forderungsprozess mit entsprechenden Nachteilen zu rechnen hätte.
Eine grundsätzliche Herausgabe jeder Krankengeschichte nach zehn Jahren an alle Patienten würde den Arzt bzw. die Ärztin zwar in Sachen Archivierung entlasten. Er/sie hätte dann in einem späteren rechtlichen Verfahren aber keinen Einfluss mehr darauf, welche Teile der Krankengeschichte zur Verfügung stehen, weshalb dieses Vorgehen nicht zu empfehlen ist.
Die freiwillige Archivierung jeder Krankengeschichte bis mindestens zum Ablauf der neuen Verjährungsfrist ist möglich, aber mit entsprechendem technischen und finanziellen Aufwand verbunden.
Solange die Harmonisierung von Aufbewahrungs- und Verjährungsfrist fehlt, muss der Arzt bzw. die Ärztin ­jeweils selbst entscheiden, in welchen Fällen er/sie die Krankengeschichte nach Ablauf der Aufbewahrungsfrist folgenlos vernichten kann. Die Kantone können zum heutigen Zeitpunkt noch nicht sagen, ob sie die kantonal geregelten Aufbewahrungsfristen für die Krankengeschichte auf 20 Jahre erhöhen werden. Sie sind sich der Problematik allerdings bewusst, und es ist aufgrund der erhaltenen Auskünfte damit zu rechnen, dass sie eine Anpassung zumindest diskutieren werden. Weil einerseits nicht klar ist, wie ein Richter eine gesetzmässige Vernichtung nach zehn Jahren werten würde, andererseits eine gewisse Wahrscheinlichkeit besteht, dass die kantonalen Aufbewahrungsfristen angepasst werden, empfehlen wir die Aufbewahrung der Krankengeschichte während 20 Jahren.
Eine weitere praktische Bedeutung hat die Verlängerung der Verjährungsfrist im Zusammenhang mit der Nachdeckung aus der Haftpflichtversicherungspolice. Bei einem Wechsel des Versicherers spielt die neue Frist keine Rolle. Die Schäden werden nach dem Prinzip «Claims made» über die zum Zeitpunkt der Schadenmeldung aktive Police abgewickelt, unabhängig vom Zeitpunkt der Verursachung. Anders sieht das bei der Aufgabe einer selbständigen beruflichen Tätigkeit aus. Die Nachdeckung muss in Zukunft während 20 Jahren gewährleistet sein. Bestehende Policen sollten diesbezüglich ergänzt und neue mit einer 20-jährigen Nachdeckung abgeschlossen werden.