Grüezi Schweiz

Licht und Schatten

Tribüne
Ausgabe
2019/07
DOI:
https://doi.org/10.4414/saez.2019.17445
Schweiz Ärzteztg. 2019;100(07):225-226

Affiliations
Online- und Printredaktor SÄZ

Publiziert am 13.02.2019

Rund ein Drittel der Ärztinnen und Ärzte in der Schweiz kommt aus dem Ausland. Weshalb haben sie sich für ein Leben hierzulande entschieden? Welches sind kulturelle Stolperfallen, die es zu umschiffen gilt? Und was halten sie von der Schweizer Gesundheitspolitik? Diesen und weiteren Fragen möchten wir in der neuen, in ­loser Folge erscheinenden Artikelserie «Grüezi Schweiz» nachgehen. In dieser Ausgabe stellen wir Mario Shlomo Kuntze vor, der in der Schweiz nicht nur gute ­Erfahrungen sammeln konnte.
Mario Shlomo Kuntze lacht während des Interviews häufig und von Herzen. Dass ihm nach zwei einschneidenden Episoden in der Schweiz das Lachen nicht gänzlich verging, ist nicht selbstverständlich. Doch dazu später.
Kuntze ist Südafrikaner. Er relativiert schmunzelnd: «Ich bin nicht reinrassig.» Seine Familie hat deutsche, russische und französische Einflüsse. Diese genetische Divergenz bringt eine Offenheit gegenüber anderen Kulturen mit sich, die Kuntze half, sich in Südafrika und danach im Ausland wohlzufühlen. Mario Kuntze erwarb zuerst einen Bachelor in Klinischer Psycho­logie und absolvierte danach sein Medizinstudium in Kapstadt. Zu dieser Zeit herrschte noch die Apartheid. Dennoch absolvierte er seine Assistenzzeit für Innere Medizin und Chirurgie bewusst in einem Spital, das in einer Gegend lag, in der dazumal fast ausschliesslich «non-whites» lebten. Für Kuntze eine Selbstverständlichkeit. Denn: «Dies waren schliesslich auch die Leute, mit denen ich im Alltag zusammenlebte, und nicht die abgeschottete, weisse Oberschicht.»
Der Urologe Mario Shlomo Kuntze ist Mitbegründer eines Ärztezentrums.

Von Kapstadt nach Frankfurt, Kuweit und Biel

Nach dem Abverdienen seiner ersten Sporen verliess Kuntze den afrikanischen Kontinent, um sich in Deutschland, in Frankfurt am Main, im Bereich der ­Urologie ausbilden zu lassen – der Fachrichtung, der er bis heute treu blieb. «Nach Oberarztstellen an Spitälern in Frankfurt am Main bot sich mir die Möglichkeit, als leitender Oberarzt nach Kuweit zu wechseln», erzählt Kuntze. Obwohl er sich in der arabischen Gesellschaft wohl fühlte, wusste der Urologe, dass er mittelfristig nach Europa zurückkehren wollte. So nahm er die ­Gelegenheit wahr, sich auf eine freiwerdende Oberarztstelle auf der Urologie des Spitalzentrums Biel zu ­bewerben. «Als ich die Zusage erhielt, freute ich mich, da ich die Schweiz noch aus meiner Kindheit kannte und dieses Land immer in guter Erinnerung hatte», ­erinnert sich Mario Shlomo Kuntze. Was gut begann, ­endete schon kurze Zeit später in einem Desaster: «Es kam zu einem heftigen Konflikt mit meinem Chefarzt. Infolgedessen wurde ich rausgeschmissen.» Der Streit landete schlussendlich vor Gericht. Für Kuntze stand fest: «Auch wenn das Urteil zu meinen Gunsten ausging, ich war ein gebranntes Kind.»
So entschied sich der Südafrikaner, in Abu Dhabi und Dubai als Urologe zu arbeiten. Bis er nach einem Jahr von einem Schweizer Kollegen eine Stelle angeboten kriegte.

Ein Schlag unter die Gürtellinie

In den folgenden Jahren praktiziert Mario Kuntze als Belegarzt an verschiedenen Schweizer Kliniken und baute daneben seine eigene Praxis auf. Der alte Konflikt in Biel schien vergessen. Doch dann kam es erneut zu einem Eklat. «Ich arbeitete mit einem Kollegen während Jahren erfolgreich in der damaligen Sonnenhof-Klinik in Bern, als diese mit weiteren Privatspitälern zu einer Spitalgruppe fusionierte», erzählt Mario Kuntze. Neues Management, neue Spielregeln. Um weiterhin als Belegarzt im Sonnenhof arbeiten zu können, mussten Kuntze und sein Kollege den gesamten Akkreditierungsprozess erneut durchlaufen.
An dieser Stelle soll der Fall nicht erneut aufgerollt werden. Nur so viel: Kuntze und sein Kollege erhielten ihre Akkreditierung nicht mehr, es floss viel böses Blut und schlussendlich musste vor Gericht ein Vergleich gefunden werden. «Was ich ­dazumal erlebt habe, hat tiefe Spuren hinterlassen», 
sagt der Urologe nachdenklich.

Zufriedenheit statt Futterneid

Heute, zwei Jahre später, hat der Südafrikaner seine Freude am Beruf und Leben wiedergefunden. «Ich bin Mitbegründer des Ärztezentrums in Jegenstorf und Belegarzt an einer Privatklinik in Gümligen bei Bern.»
Trotz diesen zwei tiefgreifenden Episoden fühlt er sich in der Schweiz «pudelwohl». Kuntze schätzt unser Land, unsere Kultur und unsere Patienten sehr. Und auch für das Schweizer Gesundheitswesen findet er fast nur gute Worte: «Wir haben hierzulande ein äus­serst freizügiges, administrativ wenig durchwandertes System mit starken und autarken Fachgesellschaften.» Doch der Urologe blickt besorgt in die Zukunft: «Der Staat versucht immer mehr, die Kontrolle zu übernehmen.» Kuntze befürchtet ein langsames Abgleiten hin zu Verhältnissen, die beispielsweise in Deutschland bereits Fuss gefasst haben. Mit den bekannten Folgen: immer weniger Zeit für die Patienten und hohe administrative Hürden. Insbesondere das Belegarztsystem, welches einer Ärztin, einem Arzt erlaube, nicht nur Sprechstunden abzuhalten, sondern auch chirurgisch tätig zu sein, mache den Arztberuf auf lange Sicht doch erst interessant und befriedigend. «Die hohen Werte, die uns dieses Land bietet, und ein System, in dem eine Ärztin, ein Arzt noch Ärztin oder Arzt sein kann, gilt es gemeinsam zu bewahren», bringt Mario Kuntze seinen Wunsch an die Zukunft auf den Punkt.
Und was rät er seinen ausländischen Kolleginnen und Kollegen, die sich hier integrieren wollen? «Ob in Afrika, auf der Arabischen Halbinsel oder in Europa musste ich lernen, mich als Gast im jeweiligen Land den lokalen Gegebenheiten anzupassen und die entge­gengebrachte Gastfreundschaft zu respektieren», rät Kuntze. Er könne deshalb auch keine spezifisch schweizerischen Stolpersteine nennen, denen man besser aus dem Wege gehe. Nur an etwas wird und möchte er sich nicht gewöhnen: «Futterneid und Missgunst».
Für unsere Serie «Grüezi Schweiz» suchen wir auslän­dische Ärztinnen und Ärzte, die uns einen Einblick in ihr Leben und Berufsalltag gewähren. Wir freuen uns über eine Kontaktaufnahme: mscholer[at]emh.ch
mscholer[at]emh.ch