Katowice und der Turm von Babel

Briefe / Mitteilungen
Ausgabe
2019/03
DOI:
https://doi.org/10.4414/saez.2019.17457
Schweiz Ärzteztg. 2019;100(03):42-43

Publiziert am 16.01.2019

Katowice und der Turm von Babel

Warum der Vergleich der internationalen Klimakonferenz COP24 in Katowice mit dem Versuch der Erbauung des Turms von Babel? In beiden Fällen versuchen die Menschen, über ihnen gesetzte Grenzen hinauszugehen. Der Wunsch, durch den Turmbau von Babylon in himmlische Sphären vorzudringen, widersprach den Gesetzen der Natur, und in der Folge wurde den Menschen die Benützung der Sprache abgesprochen, wodurch der Turmbau nicht vollendet werden konnte.
In Katowice ging es auch um ein Bauwerk: den Wiederaufbau der Natur, welche die Menschheit gedankenlos während Jahrzehnten übermässig belastet hat und deren Gleichgewichte sie nahe an einen Zusammensturz führte. 200 Staaten sollten sich darauf einigen, vergleichbare Methoden für die Messung von Treib­hausgasen zu entwickeln, um der weiteren ­Erwärmung des Planeten vorzubeugen. Dem Treffen der Staaten aus aller Welt in ­Katowice ging die Idee voraus, der Mensch könnte auch wiederaufbauen, was er durch missbräuchliche Nutzung zerstört habe. Bei seinem Vorhaben, die natürlichen Gleichgewichte zukünftig zu beschützen und schädigende Einflüsse zu vermeiden, hat sich der Mensch eine Macht zugelegt, auf welche er nur einen bedingten Anspruch hat. Was der Mensch einmal zerstört hat, geht ihm je nachdem für immer ­verloren.
Die Natur, in welche der Mensch eingebettet ist, folgt ihren eigenen Rhythmen, denen sich der Mensch nicht entziehen kann. Der Mensch folgt diesen Rhythmen, denen er durch eine unendlich lange Evolutions­geschichte seine Existenz verdankt. Durch die Zerstörung seiner Umwelt hat der Mensch in diesen Entwicklungsprozess eingegriffen, ­wobei er nunmehr nur bedingt eine Wieder­erneuerung seiner natürlichen Existenzgrundlagen erreichen kann. Er kann nicht ohne weiteres wiederaufbauen, was er beinahe schon zum Einsturz gebracht hat. Die Evolutionsgeschichte mit der Schöpfung des Menschen und seiner natürlichen Umgebung benötigte einen unendlich langen Zeitraum, und vom Menschen verursachte Gleichgewichtsstörungen lassen sich nicht in Eile ­reparieren. Der Evolutionsprozess hat eine solche Komplexität erreicht, dass ein gezieltes menschliches Eingreifen in denselben nicht möglich ist. 200 Staaten können sich nicht mehr einigen, den Wiederaufbau der zerstörten Natur zu erreichen. Wenn es dem Menschen gelingt, seine Stellung innerhalb der Schöpfung genauer zu verstehen und seine Abhängigkeit von den Gesetzen derselben, wird er eher fähig sein, angemessene Ziele für seine Reaktionen zu erkennen.
Im Laufe der Evolution, der Entwicklung des Menschen und seiner Umgebung, wurde ein Punkt erreicht, an welchem die Entwicklung nach zwei Seiten verlaufen kann, worunter auch ein Rückzug vom erreichten Entwicklungsstand vorbestimmt sein könnte. Es ist kaum denkbar, dass 200 Staaten mit verschiedenen Existenzproblemen die gleiche Sprache finden könnten, um miteinander Regeln zu bestimmen, welche imstande wären, die Gefährdung der Umwelt einzuschränken. Was darf aber der Menschheit dennoch die Hoffnung geben, ihre Lebensgrundlagen retten zu können und die Natur vor dem Zusam­menbruch von deren komplizierten Gleich­gewichten zu schützen? Der menschliche Geist wird für ein solches Eingreifen ungenügend bleiben, an dessen Stelle sind moralische Werte gefordert, eine Aufgabe der Hyper­trophie des Ego und eine Ehrfurcht vor allen ­Manifestationen der Natur, die alles Leben umschliesst.