Revision der berufsethischen Regeln zum Doping

FMH
Ausgabe
2019/07
DOI:
https://doi.org/10.4414/saez.2019.17572
Schweiz Ärzteztg. 2019;100(07):196-199

Affiliations
a Dr. med., Präsident der Schweizerischen Gesellschaft für Sportmedizin; b Rechtsanwalt, FMH, Abteilung Rechtsdienst

Publiziert am 13.02.2019

Im Rahmen der jüngsten Ärztekammer wurden die Standesordnung der FMH und der zugehörige Anhang 5 über die ärztliche Betreuung von Sporttreibenden über­arbeitet. Die neuen Bestimmungen berücksichtigen nun die Gesetzeslage und die weltweit gültigen Antidoping-Regelungen. Zudem stellen sie Ärztinnen und Ärzten, die sich mit dem Thema Doping konfrontiert sehen, konkrete Hilfsmittel bereit.
Seit dem Jahr 2002 unterliegt die ärztliche Betreuung von Sporttreibenden explizit der Standesordnung der FMH (StaO) und dem zugehörigen Anhang 5. Diese Bestimmungen regeln nicht nur die allgemeinen Prinzipien der Sportmedizin, sondern befassen sich auch mit der speziellen Problematik des Dopings. Während des letzten Jahrzehnts hat sich die Dopingbekämpfung erheblich weiterentwickelt. In der Folge musste Anhang 5 der StaO an die neue Schweizer Gesetzgebung und die Regeln der Welt-Antidoping-Agentur (WADA) angepasst werden.
Am 25. Oktober 2018 hat daher die Ärztekammer der FMH die betreffenden berufsethischen Regeln durch eine Anpassung von Art. 33bis der StaO und des zu­gehörigen Anhangs 5 aktualisiert. Diese neuen Bestimmungen wurden in Zusammenarbeit mit der Schweizerischen Gesellschaft für Sportmedizin (SGSM) und der Stiftung Antidoping Schweiz, dem Schweizer ­Kompetenzzentrum bei der Dopingbekämpfung, ­erarbeitet. Die Änderungen waren auch Gegenstand ­einer ­internen Vernehmlassung bei den in der Ärztekammer vertretenen Organisationen, wodurch der Entwurf ­klarer gestaltet werden konnte. Die neuen ­Bestimmungen werden am 19. Februar 2019 in Kraft treten.
Anhang 5 der StaO enthält die wesentlichen berufsethischen Regeln hinsichtlich der ärztlichen Betreuung von Sporttreibenden und besteht aus zwei Teilen: Der erste Teil befasst sich mit allgemeinen Grund­sätzen und wurde – mit einigen Klarstellungen und formellen Anpassungen – beibehalten. Der zweite Teil betrifft speziell das Thema Doping. Im Folgenden wird im Wesentlichen dieser zweite, vollständig überarbeitete, Teil vorgestellt.

Praktische Tools für die medizinische Betreuung von Sporttreibenden

Medikamentenabfrage von Antidoping Schweiz
«Das Tool» zum Antidoping-Medikamentencheck. Als App (kostenlos) oder auf der Website einsehbar. Wichtig: Medikamente können mit dem Mar­ken­namen oder dem/n Wirkstoff/en eingegeben werden. Sie müssen ganz exakt eingetippt werden.
Dopingliste 2019
Ein Must für jeden sportinteressierten Mediziner. Die Liste gibt eine gute Übersicht über Dos and Dont’s. Nicht, dass man alle Substanzen darauf kennen sollte, aber es hilft fürs Grundverständnis weiter. Ebenfalls finden sich die wichtigsten News fürs aktuelle Jahr in einer kurzen Zusammenstellung.
Liste erlaubter Medikamente bei banalen Erkrankungen 2019
Diese Liste führt eine Auswahl typischer Medikamente auf, welche bei banalen Erkrankungen eingesetzt ­werden können und im Sport erlaubt sind. Handlich und hilfreich für den klinischen Alltag in ­einer Praxis, in welcher Sporttreibende ein- und ausgehen.

Die Dopingbekämpfung in der Schweiz: ein duales System

Bevor man sich mit dem Thema Doping aus dem Blickwinkel der ärztlichen Standesordnung befasst, ist es sinnvoll, darzulegen, wie die Dopingbekämpfung in der Schweiz aktuell funktioniert. Sie basiert auf zwei Säulen: einem strafrechtlichen Verbot und einem disziplinarrechtlichen Verbot der Sportverbände.
Das strafrechtliche Dopingverbot ist im Sportförderungsgesetz (SpoFöG) und der zugehörigen Verordnung (SpoFöV) verankert [1]. Im Gesetzestext wird Doping als «Missbrauch von Mitteln und Methoden zur Steigerung der körperlichen Leistungsfähigkeit im Sport» definiert. Anders als man zunächst annehmen könnte, zielt das Gesetz nicht nur auf die Sporttreibenden ab, sondern vor allem auf deren Umfeld (Trainer, Betreuer, Ärzte usw.). Zudem ist das Verbot nicht auf Sporttreibende beschränkt, die an Wettbewerben teilnehmen, sondern es betrifft alle Personen, die sich sportlich betätigen, auch wenn dies rein privat geschieht. Ergänzt wird das Gesetz durch eine Liste verbotener Mittel und Methoden im Anhang der SpoFöV. Diese Liste führt diejenigen Mittel und Methoden auf, die nicht bereits durch das ­Betäubungsmittelgesetz verboten sind und deren Verwendung zu Dopingzwecken ein ernsthaftes ­Gesundheitsrisiko darstellen. Dabei handelt es sich beispielsweise um anabole Steroide, Erythropoese-­stimulierende Substanzen, Wachstumshormone, Gendoping usw. Ärzte sind also ganz besonders von der ­Gesetzgebung zur Dopingbekämpfung betroffen und können, im Fall einer absichtlichen Verletzung dieser Gesetze, mit deutlich härteren Strafen belegt werden als die Patienten, denen sie die verbotenen Mittel verabreicht haben. Das Strafmass kann bis zu drei Jahre Freiheitsentzug betragen, in schweren Fällen sogar bis fünf Jahre.
Im Gegensatz zum gesetzlichen Verbot zielen die privatrechtlichen Regeln der Sportorganisationen, die sich im Wesentlichen aus dem Welt-Anti-Doping-Code der WADA ableiten, auf die Sporttreibenden selbst ab. Sie sehen disziplinarische Sanktionen wie Disqualifikation, Suspendierung, Ausschluss, Bussgelder usw. vor. Diese Regeln gelten jedoch nur, wenn der oder die Sporttreibende einem Sport­verband von Swiss Olympic angehört oder an ­Wettkämpfen teilnimmt. Dabei muss es sich nicht zwangsläufig um Spitzensportlerinnen oder Spitzensportler handeln. Es reicht, dass der oder die Sporttreibende an einem Turnier oder einem Volkslauf teilnimmt (beispielsweise dem Stadtlauf «Course de l’Escalade» oder dem «Grand Prix von Bern»), damit die Regeln Anwendung finden. Die Liste der verbotenen Substanzen und Methoden der WADA ist sehr viel umfassender als die Liste der SpoFöV und beinhaltet insbesondere Diuretika oder Stimulanzien [2]. Falls bei einem oder einer Sporttreibenden aus medizinischen Gründen eine ver­botene Substanz oder Methode erforderlich sein sollte und es hierzu keine Alternative gibt, kann der oder die Sporttreibende eine Ausnahmebewilligung (ATZ, siehe unten) beantragen. Ärzte sind nur dann von den privatrechtlichen Regeln zur Dopingbekämpfung betroffen, wenn sie sich ihnen freiwillig unterwerfen (z.B. als Mitglied einer Sport­organisation oder bei Mitwirkung an einem Wettkampf). Allerdings können sie diese Regeln nicht völlig ­ignorieren, da sie je nach gewählter Behandlung erhebliche Folgen für den Patienten haben können.

Fallbeispiel 1

Ein 22-jähriger Fitness-Sportler will an Muskelmasse zulegen. ­Neben dem regelmässigen Krafttraining hat er sich diverse ­Produkte im Internet bestellt, von denen er sich einen unterstützenden Effekt erhofft. Nun sucht er Sie auf, damit Sie ihn unterstützen und medizinisch begleiten. Bei der Durchsicht der Präparate finden sich Multivitamine mit weit supranormalen Dosierungen, Phytotherapeutika, Proteinshakes aber auch Tabletten, welche Stenbolon und Testosteron, also zwei gemäss Dopingliste verbotene anabole Steroide enthalten. Sie weisen den Patienten auf diese verbotenen Substanzen hin. Trotzdem möchte er diese einnehmen und bittet Sie, ihn dabei zu überwachen.
Komplettes Verbot. Der Arzt riskiert in diesem Falle eine schwere Strafe (nicht der Patient).
Sie versuchen präventiv auf den Patienten einzuwirken und empfehlen ihm: kompletter Verzicht auf anabole Steroide. Vorschlag: Beratung durch eine spezifisch geschulte Ernährungs­beraterin oder einen Sportmediziner das Krafttraining gezielt zu unterstützen.

Dopingbekämpfung und ärztliche ­Standesordnung

Als Missbrauch von Mitteln und Methoden zur Steigerung der körperlichen Leistungsfähigkeit im Sport untergräbt Doping die Einhaltung der Sportregeln, die ­Chancengleichheit, den fairen Wettbewerb und die Förderung der Gesundheit durch körperliche Betätigung. Dabei handelt es sich um ein gesellschaftliches Problem, das über den rein sportlichen Rahmen hinausgeht. Es ist aus medizinethischer Sicht nicht zu rechtfertigen, und die Ärzteschaft kann es nicht ignorieren. Daher hat die Dopingbekämpfung ihren Platz in der StaO.
Der überarbeitete Anhang verfolgt einen globalen Ansatz in Dopingfragen aus standesethischer Perspektive und verbietet alle Formen von Doping durch die Ärzteschaft. Der Anhang soll in seiner revidierten Fassung nicht nur eine solide Informationsquelle für die praktizierende Ärzteschaft und die Standes­organe in Fragen der Dopingbekämpfung darstellen, sondern auch als Instrument für Straf- und Zivilgerichte sowie Aufsichtsbehörden dienen, wenn diese beruflichen Pflichten im Zusammenhang mit Doping definieren müssen.

Wesentliche Neuerungen

Die neuen berufsethischen Regeln nehmen die gesetzliche Definition von Doping auf und verzichten auf das Konzept des «Medikamentenmissbrauchs», das 2002 für den Freizeitsport oder ungeregelte Wettbewerbe eingeführt wurde. Wie oben dargelegt, gilt die Definition von Doping nun für alle Personen, die einer sportlichen Betätigung nachgehen, weshalb der Begriff des Medikamentenmissbrauchs obsolet geworden ist.
Eine weitere Neuerung ist die Einführung einer gegenseitigen Aufklärungspflicht: Einerseits müssen Ärzte alle Patienten über die Auswirkungen und Risiken der Behandlungen informieren, die sie verschreiben oder durchführen. Andererseits unterscheiden sich Sporttreibende insofern von anderen Patienten, als sie ­bestimmten Pflichten unterliegen, insbesondere derjenigen, den Arzt über ihre Teilnahme an einem Wettkampf zu informieren. Um dieser beiderseitigen Informationspflicht Rechnung zu tragen, wurde im Anhang das Konzept der gegenseitigen Aufklärungspflicht ­eingeführt. Hierdurch drohen Ärzten, die eine von der WADA verbotene Substanz verschreiben, keine Sank­tionen, wenn ihnen der Patient die Teilnahme an ­einem Wettbewerb verschwiegen hat. Wenn der Arzt ­allerdings entsprechend informiert worden ist oder es ­offensichtlich war, dass der Patient an einem Wettbewerb teilnimmt, muss der Arzt auf Dopingaspekte achten, indem er oder sie z.B. die Medikamentenabfrage konsultiert, den Teamarzt bzw. die Stiftung Anti­doping Schweiz kontaktiert oder den Patienten auffordert, sich bei seinem (inter)nationalen Verband zu informieren.
Anhang 5 berücksichtigt nun das gültige Verfahren zur Erlangung von Ausnahmebewilligungen zu therapeutischen Zwecken (ATZ), wenn der oder die Sport­treibende aus medizinischen Gründen eine Substanz oder Methode benötigt, die durch die WADA verboten ist und zu der es keine Alternative gibt. Falls es sich um ­einen Spitzensportler oder eine Spitzensportlerin ­handelt, der oder die einem «Kontrollpool» angehört, muss diese Bewilligung ausgestellt werden, bevor mit der Behandlung begonnen wird. Andere Sporttreibende können einen entsprechenden Antrag nachträglich im Anschluss an eine Dopingkontrolle stellen. Die ATZ werden durch Antidoping Schweiz oder die internationalen Sportverbände erteilt und der Arzt muss die Notwendigkeit der Behandlung attestieren. Wenn die Bedingungen für eine ATZ erfüllt sind, gilt die verwendete Substanz oder die genutzte Methode rechtlich nicht mehr als Doping, da es sich nicht um eine missbräuchliche Verwendung handelt. Selbstverständlich geht die Gesundheit der Sporttreibenden vor und eine Ausnahme für Mittel, die bei einem akuten medizinischen Notfall verabreicht werden, ist ausdrücklich vorgesehen.

Fallbeispiel 2

Ein 54-jähriger Patient mit Adipositas BMI 30,5 und arterieller ­Hypertonie will wieder vermehrt Sport treiben. Er hat eine kombinierte Medikation mit ­einem ACE-Hemmer und Calciumantagonisten. Nun plant er zweimal pro Woche den Vita-Parcours mit ­einem leichten Jogging-Tempo zu absolvieren. Sie stellen fest, dass der Blutdruck klar ungenügend eingestellt ist und er Unterschenkelödeme hat. Dürfen Sie seine Medikation mit einem ­Diuretikum, z.B. Hydrochlorthiazid erweitern?
Ja, Diuretika sind für einen Freizeitsportler, ausserhalb vom Wettkampfsport, nicht verboten.
Ein halbes Jahr später informiert der Patient seinen Arzt, dass er sich für einen Volkslauf angemeldet hat.
Eine rasche Suche auf der Website und Medikamentenabfrage von Antidoping Schweiz zeigt, dass Diuretika im Wettkampfsport verboten sind. So muss der Arzt den Patienten informieren und ihm eine alternative Behandlung vorschlagen. Falls dies nicht möglich ist, ist es erforderlich dies im Patientendossier klar zu vermerken. Dies ist notwendig, um im Falle einer Dopingkon­trolle nachträglich eine ATZ ausfüllen zu können.

Einstellung in Bezug auf Doping

Wie soll auf das Dopingproblem reagiert werden? Zunächst einmal kann man ganz allgemein von allen Ärzten erwarten, dass sie die Dopingproblematik kennen, Präventionsarbeit bei den Patienten leisten, die diesem Problem ausgesetzt sind, und die Dopingkontrollverfahren nicht untergraben. Des Weiteren muss der Arzt, wenn die Teilnahme an einem Wettbewerb vermutet wird oder Zweifel hinsichtlich der Zulässigkeit einer Behandlung bestehen, besondere Aufmerksamkeit walten lassen und die möglichen Folgen für das sportliche Leben des Patienten berücksichtigen. Hierzu ist eine proaktive Einstellung erforderlich. Der Arzt muss das Gespräch mit dem Patienten suchen und sich beispielsweise bei Kollegen, dem Teamarzt, Sportorganisationen oder Antidoping Schweiz informieren. Schliesslich ist es wichtig, die Patientenakte ordnungsgemäss zu führen, um die Behandlung beispielsweise im Fall einer nachträglichen ATZ infolge ­einer Dopingkontrolle begründen zu können.
Die neuen Bestimmungen legen den Schwerpunkt auf den Dialog mit dem Patienten und seinem Umfeld sowie auf die Zusammenarbeit mit Sportorganisationen, um gleichermassen die Integrität des Sports und die Gesundheit der Sporttreibenden zu schützen. Sie stellen der Ärzteschaft aktuelle Hilfsmittel zur Verfügung, um konkrete Informationen hinsichtlich der Dopingbekämpfung zu erhalten.

Fallbeispiel 3

Eine 26-jährige Mountainbikerin, Mitglied des Schweizer Nationalkaders, stellt sich mit einer grippalen Symptomatik in Ihrer Praxis vor. Mit Anamnese, klinischer Untersuchung und einem Infektlabor können Sie einen viralen Infekt der oberen Luftwege bestätigen und möchten ihr eine symptomatische Therapie vorschlagen. Wie gehen Sie vor?
Prüfung der für die symptomatische Behandlung gewünschten Medikamente mit der Medikamentenabfrage und danach im Sport erlaubte Medikamente verordnen. Alternativ kann die «Liste erlaubter Medikamente bei banalen Erkrankungen 2019» von Antidoping Schweiz konsultiert werden. Sie finden darin diverse Medikamente, welche sich für diese Behandlung eignen und bezüglich Doping unproblematisch sind (die Liste ist allerdings nicht abschliessend).
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1 Bundesgesetz über die Förderung von Sport und Bewegung (SpoFöG; SR 415.0); Verordnung über die Förderung von Sport und Bewegung (SpoFöV; SR 415.01).
2 Der Welt-Anti-Doping-Code und die Liste der durch die WADA ­verbotenen Substanzen und Methoden können auf den Websites der WADA (www.wada-ama.org) und von Antidoping Schweiz (www.antidoping.ch) eingesehen werden. Letztere enthält auch das Doping-Statut von Swiss Olympic, welches in der Schweiz ­direkt anwendbar ist.