Briefe / Mitteilungen

Unerträgliches Leiden – liebevoll zuwenden oder dogmatisch abtun?

DOI: https://doi.org/10.4414/saez.2019.17592
Veröffentlichung: 20.02.2019
Schweiz Ärzteztg. 2019;100(08):249

Pfr. Dr. Ebo Aebischer, 
Muri bei Bern

Unerträgliches Leiden – liebevoll zuwenden oder dogmatisch abtun?

Brief zu:

Meili W. Neue Dogmen? Schweiz Ärzteztg. 2019;100(3):45. Stalder H. Ist Leiden nicht Sache der Medizin? 
 Schweiz  Ärzteztgg. 2019;100(3):66. Martin J. Ein echtes Public- Health-Dokument. 
 Schweiz Ärzteztgg.  2019;100(4):104.

Befreit von den alten Dogmen in Religion, Herkunftsfamilien und Dorfgemeinschaften geisselt Herr Dr. Meili das Recht auf Selbst­bestimmung «in der gegenwärtigen Welt» und die damit einhergehende «Einforderung von Suizidhilfe» als «neue Form von Dogmatik». Suizidhilfe treibt seiner Meinung nach «eine Kultur des Todes und des Wertezerfalls» voran. Mitmenschen mit unerträglichem ­Leiden (seinen Patienten?) rät er vielmehr, weiterzuleben und so «die Chance [zu] bekommen, vielleicht neue, bereichernde Erfahrungen zu machen». Solche Ratschläge sind für viele unheilbar Leidende Schläge, die sie nur noch ratloser machen. Die so von Dr. Meili postulierten «Wertegewinne» dürften wohl von unerträglich leidenden Patienten gleich­falls als unerträglich empfunden werden. Ich vermisse in einer dergestalt offenbarten ärztlichen Haltung das von Patienten zu Recht erwartete genaue Zuhören, das daraus erwachsende Verstehen und die damit ein­hergehende Zuwendung – um nicht zu sagen Liebe.

Ganz anders als Dr. Meili sieht dagegen Prof. Stalder in der Rubrik «Zu guter Letzt» in derselben Nummer der Ärztezeitung (3/2019) unter dem Titel «Ist Leiden nicht Sache der Medizin?» seine Aufgabe als Arzt: Das von den Patienten Vermittelte zu hören und in vertieften und wiederholten Gesprächen nachzuvollziehen. Oder, wie es Dr. Jean Martin in der darauffolgenden Nummer der Ärztezeitung (4/2019) unter «Autonomie von Patienten/Personen» darlegt: «Wir alle müssen Subjekt und nicht Objekt der Pflege bleiben, autonom sein und bleiben können, dabei gleichzeitig aber begleitet werden. Diese Autonomie ist ein Grundrecht, das es nicht nur zu schützen, sondern auch zu bevorzugen gilt.»

In Anbetracht dieser Überlegungen scheint mir einleuchtend, dass Prof. Stalder bedauert, dass die Ärztekammer der FMH es abgelehnt hat, die Richtlinien «Umgang mit Sterben und Tod» der Schweizerischen Akademie der Medizinischen Wissenschaften (SAMW) in ihre Standesordnung aufzunehmen.

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