In memoriam Hedi Csomor-Scheiwiller (1927– 2018)

FMH
Ausgabe
2019/13
DOI:
https://doi.org/10.4414/saez.2019.17699
Schweiz Ärzteztg. 2019;100(13):463-464

Publiziert am 26.03.2019

Hedi Csomor war das älteste von drei Kindern. Die Schulzeit war für sie früher als gewollt zu Ende. Eine Lehre oder höhere Ausbildung waren ihr als Mädchen damals verwehrt. So begann sie nach einem Welschland-Aufenthalt im kaufmännischen Bereich zu arbeiten und ging mit 18 Jahren 1945 nach Davos.
Hedi Csomor-Scheiwiller

Erste mit Streptomycin geheilte tuber­kulöse Meningitispatientin in Europa

Ausgerechnet hier in Davos, wo sich viele an Tuberkulose Leidende in den Höhenkliniken behandeln liessen, erkrankte sie selbst an Tuberkulose. Im Sanatorium entwickelte sie dazu noch eine tuberkulöse Meningitis. Dank eines rumänischen Diplomaten, der für die Behandlung seiner Frau, einer Mitpatientin, Streptomycin aus den USA beschaffen konnte, verfügte der Chefarzt über das neuartige Antibiotikum, mit dem er dann auch Hedi behandelte. Sie wurde so die erste dokumentierte Patientin in Europa, bei welcher die Hirnhaut­entzündung mit Streptomycin bekämpft und geheilt wurde. Die damalige therapeutische Vorgehensweise war eine Tortur. Wegen Bewusstlosigkeit und Atem­stillstand musste die Therapie nach vier Wochen abgebrochen werden, doch der Erreger war als Folge dieser «Parforce-Therapie» offenbar bereits verschwunden.
Die Krankheit und auch deren Therapie hinterliessen tiefe Spuren in ihrem Leben, körperlich, seelisch und auch finanziell. Damit sie die Behandlung bezahlen konnte, musste sie sich verschulden. Wegen des erhöhten Risikos wollte sie keine Krankenkasse mehr aufnehmen. Irreparable Gleichgewichtsstörungen machten ihr zu schaffen, und wenn man sie hinter ihrem Rücken wegen ihres schwankenden Ganges verdächtigte, zu viel getrunken zu haben, war ihr das sehr unangenehm. In der Zeit ihres Aufenthalts im Sanatorium erlebte sie die schwierige Situation vieler junger Patientinnen und Patienten mit. Ihre «kleinen Geschichten» über diese Zeit lassen erahnen, wie traumatisiert die Kinder waren durch den Aufenthalt in der Klinik, die Abwesenheit ihrer Familie, die Therapien und vor allem die Todesfälle, über die nicht gesprochen wurde.

Erfolgreicher Umweg in die Medizin

Anschliessend brauchte sie Zeit, um wieder Fuss zu ­fassen. Sie holte den KV-Abschluss nach. Zur angestrebten höheren kaufmännischen Fachprüfung wurde sie nicht zugelassen. Aufgeben war aber für sie keine ­Option. Noch während der Rekurs gegen den ablehnenden Entscheid lief, entschloss sie sich, das Abendgymnasium zu beginnen. 1958 besuchte sie die Saffa, die 2. Landi der Frauen. Hier wurde sie angesteckt vom Optimismus der Frauen, die für sie zum Vorbild wurden, und holte sich die Zuversicht, ein Studium schaffen zu können. Später wurde sie dann selbst zu ­einem Vorbild für junge Frauen.
Während ihres Medizinstudiums lernte sie 1964 einen Arzt kennen und lieben. Gut eineinhalb Jahre später heirateten sie. Die kleine Familie wurde komplett als 1967 ihr Sohn zur Welt kam, mitten im Staatsexamen und in ihrem 40. Lebensjahr.

Ein Leben für Kinder, Jugendliche und ihre Familien

Nach der Facharztausbildung, v.a. am Kinderspital Zürich, zog sie mit ihrer Familie wieder nach ­Lachen und eröffnete 1972 die erste Kinderarztpraxis in der Region. Das Einzugsgebiet von Uznach über die March bis in den Kanton Zürich liess ihre Praxis rasch wachsen. ­Neben der Praxis betreute sie die Neugeborenen und Säuglinge im Spital Lachen.

Breites Engagement bis in den Gemeinderat von Lachen

Da die nächsten Therapieangebote für Kinder erst in Zürich zu finden waren, baute sie mit Mitstreiterinnen die Therapiestelle Lachen auf. Unterstützung bei diesem Projekt erhielt sie auch von der Politik. Sie engagierte sich auch fürs Gemeinwohl und war mehrere Jahre Mitglied des Gemeinderates von Lachen.

Rollenvorbild

Hedi Csomor-Scheiwiller, ehemalige Kinderärztin in Lachen, war eine beeindruckende Persönlichkeit, die als Pionierin in vielen Bereichen Mustergültiges leistete. Für viele junge Frauen war sie ein Rollenvorbild in einer Zeit, als die berufliche Entwicklung für Frauen noch keine Selbstverständlichkeit war. Für ihren Einsatz wurde sie anlässlich der Generalversammlung der mws am 29. März 2014 zum Ehrenmitglied ernannt. Ihr Leben lässt uns auch nachvollziehen, wie viel sich in der Medizin und in der Lebenswelt von Frauen im Verlaufe von über 90 Jahren verändert hat.
Am 13. August 2018 hat Hedi Csomor ihre letzte Reise angetreten. Wir werden sie und ihr beispielhaftes ­Leben und Wirken in ehrender Erinnerung behalten.
Dr. med. Annalis Marty-Nussbaumer, Luzern
Vorstand mws medical women switzerland – ärztinnen schweiz
Dr. med. Annalis Marty-Nussbaumer, MPH
Fachärztin FMH für ­Pädiatrie sowie
FMH für Prävention und
Public Health
Luzern
annalis[at]marty-nussbaumer.ch