Diesisteinzugelassenesarzneimittellassensiesichvoneinerfachpersonberatenundlesensiediepackungsbeilage

Docspeak

Horizonte
Ausgabe
2019/14
DOI:
https://doi.org/10.4414/saez.2019.17716
Schweiz Ärzteztg. 2019;100(14):532

Affiliations
Dr. med., ehemaliger medizinischer Chefarzt Spital Wetzikon, Mitglied SGAIM

Publiziert am 02.04.2019

35 Silben in 4,2 Sekunden!

Artikel 17, Abs. 1 der Verordnung über die Arzneimittelwerbung verlangt in einer Änderung vom 11. März 2016, dass bei Fernsehspots am Schluss obiger Hinweis eingeblendet werden muss. Sie kennen das Resultat: Der vorgeschriebene Text wird von virtuosen Rappern oder maschinell beschleunigt rasend schnell herunter geschnattert, um teure Sendezeit einzusparen. Das können mehr als Tausend Franken pro Sekunde sein, wenn die Spots nach der Tagessschau oder vor Federer im Final eine grosse Einschaltquote ausnützen.
Der Schnellsprechvers erinnnert an den Duckspeak im visionären Zukunftsroman 1984 von George Orwell. Er hat für totalitäre Diktaturen einen Newspeak bis in alle Einzelheiten ausgedacht. Es ist eine extrem simplifizierte Sprache, die eigenes Denken durch striktes ­Verbot unerwünschter Worte verunmöglicht: «The use encourage a gabbling style of speech, at once staccato and monotonous».
Heute wird das ärztliche Gespräch noch nicht auf Sekunden genau gemessen. Doch TARMED begrenzt die Grundkonsultation bereits auf 5 Minuten und will die Therapeuten nach 20 Minuten nicht mehr belohnen oder «entschädigen». Der Zeitdruck schädigt jedenfalls die empfehlenswerte Strukturierung der Konsultation: Der Monolog des Patienten wird nach acht Sekunden unterbrochen, der klärende Dialog entartet zum Verhör, in welchem Fragen nur mit ja-nein-weiss nicht ­beantwortet und eingeklickt werden – der Epilog verkürzt sich zur hastigen Verabschiedung und Vereinbarung eines nächsten Termins.
Zeitdruck zwingt die Ärztinnen und Ärzte zum Doc­speak, mit dem Kranke rasch abgefertigt werden. Wir reden zu schnell und zu wenig verständlich. Sprachlich droht das «copy and paste»von einigen Floskeln, die nicht nur in schriftlichen Berichten, sondern auch im mündlichen Kontakt routinemässig eingestreut werden können. Seien Sie vorsichtig! Rauchen Sie weniger! Treiben Sie Sport! 3 × 1 Tablette täglich vor dem Essen!
Hoffentlich gibt es nicht schon bald versteckte 16-MP-Kameras im Sprechzimmer, welche Mimik, Blickkontakte und averbale Körpersignale bei der Aufnahme der Anamnese oder beim abschliessenden Gespräch erfassen und bewerten. Die Selbstvermessung des ­modernen Menschen hat ja bereits eine erschreckende Perfektion erreicht. Bald wird der Arzt zur Witzfigur, wenn er noch mit Stethoskop und Manschette den Blutdruck zu messen versucht oder bloss mit seinen Fingern den Puls ertastet. Der Kunde bringt ihm einen Ausdruck der Profile und kritischen Grenzwerte der letzten 24 Stunden und fordert eine von Dr. Google empfohlene Therapie der Extrasystolen. Lesen Sie den Packungsprospekt!
Am 1. April wurde der Werbespot einer expandierenden Versicherung verspottet mit der Einblendung: Dies ist eine zugelassene, sehr kostpielige Krankenkassenreklame, die Sie mit Ihren Monatsprämien finanzieren. Zahlen Sie bitte immer pünktlich und wechseln Sie keinesfalls zur billigeren Konkurrenz.
Dr. med. Bernhard Gurtner
Eggstrasse 76
CH-8620 Wetzikon
gurtner.bernhard[at]bluewin.ch