Anordnungs- vs. Delegationsmodell in der nicht-ärztlichen Psychotherapie

Briefe / Mitteilungen
Ausgabe
2019/14
DOI:
https://doi.org/10.4414/saez.2019.17739
Schweiz Ärzteztg. 2019;100(14):511

Publiziert am 02.04.2019

Anordnungs- vs. Delegationsmodell in der nicht-ärztlichen Psychotherapie

In der momentanen Auseinandersetzung zu diesem Thema wird mit dem Argument der prekären Versorgungssicherheit bei der Behandlung psychisch kranker Menschen für das Anordnungsmodell geworben. Dabei soll, wie bei der Physiotherapie, jede niedergelassene Ärztin eine Psychotherapie anordnen können.
Bei einer genaueren Betrachtung dieser ­Dynamik lohnt es sich, den Blick auf das Gesundheitssystem unseres nördlichen Nachbarn zu richten. Mit denselben Argumenten drängten in Deutschland seit 1999 die PsychologInnen in die Grundversicherung. In den Nachuntersuchungen zur Versorgungssicherung hat sich jedoch gezeigt, dass weder die Wartezeiten noch die Versorgungsmisere in ländlichen Gegenden noch die Behandlungsdauer abgenommen haben. Das Gegenteil ist der Fall. Durch die Fragmentierung des Budgets kam es zu einem Tarifzerfall. Der Verdienst von nichtärztlichen Therapeutinnen sank auf das Niveau von Schweizer Reinigungskäften und die Psychiaterinnen müssen ihre Patientinnen im Viertelstundentackt behandeln. Ein bedrohlicher Leistungsabbau in der Behandlung schwer kranken Patientinnen ist im Gang und ein Ende dieses Kahlschlags ist nicht in Sicht. Heute hat eine ­Psychiaterin noch 70 Minuten im Quartal zur Verfügung, um einen an Schizophrenie ­Er­krankten zu behandeln.
In der Schweiz richtet sich zurzeit der Behandlungsumfang am Behandlungsbedarf. Natürlich haben Dokumentations- und Rechenschaftspflicht gegenüber dem Kostenträger zugenommen; das ist zuweilen etwas nervig, jedoch durchaus angemessen. Diese Verhältnisse sind im internationalen Vergleich jedoch komfortabel. Das Anordnungsmodell mit an die 7000 relativ heterogen ausgebildeten Psychologinnen, die in die Grundversicherung drängen, wird das Gesundheitsbudget mit schätzungsweise einer zusätzlichen halben Milliarde belasten. Dies führt zu einem Tarifzerfall. Die derzeit störungsunabhängig gewährten 40 Stunden nichtärztliche Psychotherapie werden der Geschichte angehören. Chronisch Kranke werden massiv ­unterversorgt sein, die Löhne von Betreuungspersonal in Wohnheimen und Pflege­personal in stationären und ambulanten Einrichtungen werden sinken.
Das derzeitige Argument, es gäbe zu wenig Psychiaterinnen, ist blanker Unsinn. Die Anzahl an Psychiatrinnen in der Schweiz beträgt einen guten Drittel der Psychiaterinnen in Deutschland, das rund das Zehnfache der Bevölkerung aufweist. Die Politik ist deshalb gefordert, hierzulande die Versorgungsdichte zu regulieren. Die Psychiatrie ist eine Brückendisziplin zwischen Körper und Psyche. Psychiaterinnen durchlaufen eine lange und anspruchsvolle Ausbildungszeit in der Arbeit mit psychisch Kranken. Sie sind Netzwerkerinnen zu den anderen Disziplinen, Sozialtätigen, Familiensystemen, etc. und begleiten viele chronisch Kranke über Jahrzehnte. Im Zentrum dieser Debatte stehen jedoch die Patientinnen. Sie werden die grossen Verliererinnen eines Systemwechsels hin zum Anordnungsmodell sein.