Was das finanziell kranke Gesundheitswesen gesünder macht

Zu guter Letzt
Ausgabe
2019/16
DOI:
https://doi.org/10.4414/saez.2019.17742
Schweiz Ärzteztg. 2019;100(16):600

Affiliations
Präsidentin der Schweizerischen Stiftung SPO Patientenschutz, ehemalige Gesundheitsdirektorin Kanton Aargau sowie ehemaliges Vorstandsmitglied der GDK und ­ehemalige Vizepräsidentin des Beschlussorgans HSM

Publiziert am 16.04.2019

Zugegeben, der Titel setzt mich unter Druck. Ich muss nun Massnahmen nennen, mit denen wir eliminieren können, was unser Gesundheitssystem zu einem der teuersten weltweit macht. Und zu einem der besten, werden Sie behaupten. Mit Verlaub, den Beweis dazu werden Sie nicht erbringen können. Die Qualitätsauswertung lässt in der Schweiz zu wünschen übrig.
Hätte ich drei Jokerkarten, die sofort umgesetzt werden müssten, würde ich folgende aus der Tasche zaubern:
– Fünf bis sechs subsidiär aufgebaute Gesundheits­versorgungsregionen mit genügend integrierter ambulanter Versorgung, wenigen Regionalspitälern, einem Universitätsspital pro Region.
– Ein Vergütungssystem, das nicht Quantität, sondern Qualität vergütet.
– Performance auf der Basis des Triple-Aim-Ansatzes: Der gesellschaftliche Nutzen, der Patientennutzen sowie der Effizienznutzen spielen eine gleichwertige Rolle.
«You are a dreamer!», werden Sie nun Magdalena Martullo-Blocher zitieren. Ich antworte mit dem Politiker Bernard Shaw: «Ihr aber seht und sagt: Warum? Aber ich träume und sage: Warum nicht?»
Da ich trotz Träumen stark in der Realität verankert bin, spreche ich Sie lieber in einer Ihrer Rollen im Gesundheitssystem an, die wir alle innehaben als Prämien- und Steuerzahlende: Wir sind die eigentlichen Auftraggebenden im Gesundheitswesen, denn wir ­finanzieren es.
Das heisst: Wir alle finanzieren auch Dinge mit, die wir nicht gutheissen können, und wir schlucken jährlich ansteigende Krankenkassenprämien. Stellen Sie sich vor, Ihre Steuern würden sich dementsprechend erhöhen! Sie hätten die politisch vorgesehenen Mittel in der Hand, um sich zu wehren.
Wo bestimmen Sie aber im 80 Milliarden Franken schweren Gesundheitswesen mit – inhaltlich und finanziell? Warum spielen wir als Versicherte, ob gesund oder krank, nur den Goldesel und sonst keine Rolle im Gesundheitssystem? Wo haben Sie als Prämien- und Steuerzahlende oder als potentielle Patienten eine hörbare Stimme?
Ich frage noch weiter: Warum haben Umweltorganisa­tionen wie der WWF Schweiz 270 000 oder Greenpeace Schweiz knapp und Pro Natura über 140 000 Mitglieder?
Diese Organisationen unterstützen wir aus ideologischen Gründen, weil wir sicher sind, dass sie unsere ­Interessen für eine intakte und gerechte Umwelt vertreten. Sie machen in unserem Namen Politik, erheben den Warnfinger, verhandeln und ja, sie greifen auch sehr konkret ein, wenn es nötig ist. Mit unserer Mitgliedschaft verhelfen wir ihnen nämlich zur Referendums- oder Initiativstärke! Die Politik weiss ganz genau: Mit diesen Organisationen ist zu rechnen! Sie sind systemrelevant.
Dagegen stehen nicht mal 10 000 Mitglieder hinter der SPO, hinter dem Patientenschutz! – «Billige Werbung für eine SPO-Mitgliedschaft», denken Sie nun. Mag sein.
Wichtiger als dieser kurze Werbeblock ist für mich aber die Sensibilisierung auf Folgendes: dass wir als Steuerzahlende, als obligatorisch versicherte Prämienzahlende vor allem durch diejenigen im Gesundheits­system vertreten sind, die daran verdienen und ihre Interessen wirksam vertreten lassen. Im vergangenen Jahr hatten die insgesamt 38 Mitglieder der stände- und nationalrätlichen Gesundheitskommission 90 Mandate im Gesundheitssystem auf sich verteilt. Nur fünf dieser Gesundheitspolitiker hatten kein gesundheitspolitisches Mandat. Die Bilanz schrieb dazu: «Letztlich geht es um Geld, auch wenn einige Mandate ehrenamtlich sind.» Die Bilanz zitierte das Beispiel eines Par­lamentariers, der durch ein Mandat gleich viel erhält, wie für ein Nationalratsmandat im Schnitt – inklusive Spesen – vergütet wird.
Nun, Interessenkonflikte sind vorprogrammiert, wenn Politiker und Politikerinnen gesundheitspolitische Entscheide zu fällen haben und von ebendiesem System ­finanziell gefüttert werden. Die Interessen der Patientinnen, der Prämienzahlenden rutschen bei dieser Ausgangslage in den Hintergrund oder gleich ganz unter den Teppich. Wir könnten gemeinsam Gegengewicht geben mit einer starken Patientenorganisation, und ich bin sicher: Das finanziell kranke Gesundheitssystem würde dadurch gesünder.
Susanne Hochuli
Präsidentin SPO
Häringstrasse 20
CH-8001 Zürich
susanne.hochuli[at]spo.ch
www.spo.ch