Die Tarifstruktur TARDOC ist bereit für die Eingabe beim Bundesrat

Holen wir uns die Tarifautonomie zurück!

FMH
Ausgabe
2019/1718
DOI:
https://doi.org/10.4414/saez.2019.17761
Schweiz Ärzteztg. 2019;100(1718):604-606

Affiliations
Experte Abteilung Ambulante Versorgung und Tarife

Publiziert am 23.04.2019

Im Juni 2016 war die FMH mit dem damaligen Tarifvorschlag in der Urabstimmung gescheitert und konnte in der Folge dem Bundesrat den schon lange geforderten neuen Tarif nicht einreichen. Seither hat Bundesrat Berset aufgrund seiner sub­sidiären Kompetenz Anfang 2018 ein weiteres Mal in den bestehenden TARMED-­Tarif eingegriffen. Die Tarifpartner haben damit die Tarifautonomie faktisch ver­loren. Nun steht mit dem neuen Vorschlag TARDOC, der gemeinsam mit Curafutura und der MTK ausgearbeitet wurde, ein neuer Vorschlag zur Diskussion. Die Gremien der FMH werden im Mai 2019 darüber befinden.
In den vergangenen Wochen haben sämtliche Fach­gesellschaften der FMH in Zusammenarbeit mit Curafutura (Verband von CSS, Helsana, KPT und Sanitas) und der MTK (Medizinaltarifekommission UVG) das komplexe Regelwerk zur bereits im Oktober 2018 ­gemeinsam finalisierten Leistungsstruktur ausgearbeitet. In über 40 ganztägigen Workshops haben die ­Tarifdelegierten der Fachgesellschaften mit den Expertinnen und Experten sämtliche Tarifpositionen durchgearbeitet und für jede Position festgelegt, ob und wenn ja wo die Leistung limitiert werden kann. Ebenso haben die Verhandlungsdelegationen Kumulationseinschränkungen beschlossen.
Die FMH und ihre Tarifpartner haben zuvor ein Jahr über die den Regeln zugrunde liegende Leistungsstruktur verhandelt: Nach der Ablehnung des ersten Tarifvorschlags im Sommer 2016 hatte die FMH zuerst intern einen Konsens erarbeitet und ist Ende 2017 wieder auf die Tarifpartner H+, Curafutura und MTK für Verhandlungen zugegangen. Das FMH-interne Ergebnis «TARCO» wurde anschliessend in die tarifpartnerschaftliche Leistungsstruktur integriert. Im Verlauf dieser Arbeiten stellte sich im Sommer 2018 heraus, dass man für die Einarbeitung der Anwendungs- und Abrechnungsregeln nicht auf die Expertise der Tarifdelegierten der Fachgesellschaften verzichten kann. Der Verwaltungsrat der gemeinsamen Tariforganisation ats-tms AG hatte sich daraufhin entschieden, die Fertigstellung um ein halbes Jahr zu verlängern, um nochmals alle Fachgesellschaften für die Festlegung der Anwendungs- und Abrechnungsregeln an den Verhandlungstisch zu holen. Was nun vorliegt, ist eine verhandelte, vollständig aktualisierte, sachgerechte und gesetzeskonforme ambulante Einzelleistungsstruktur.

Regelhierarchie

Die Tarifstruktur TARDOC, wie der ausgehandelte ­Tarif neu heisst, kennt nach wie vor eine sogenannte Regelhierarchie: Was nicht auf der Tarifposition geregelt ist, wird über die Kapitelinterpretationen fest­gelegt. Was die Kapitelinterpretation wiederum nicht regelt, wird durch die «Generellen Interpretationen» bestimmt.

Regeltypen

Wie im TARMED werden auch im TARDOC die «Qualitativen Dignitäten» weitergeführt. Sie regeln die Abrechnungsberechtigung von Tarifpositionen (Weiter- und Fortbildung). Daneben gibt es Alters- oder Geschlechtsregeln, die Tarifpositionen kennzeichnen, die nur bei Kindern Anwendung finden oder im Geschlecht des Patienten eingeschränkt sind.
Die mit Abstand wichtigsten Regeln sind die Limitationen und die Kumulationen. Limitationen gelten mehrheitlich entweder pro Sitzung oder aber für einen gewissen Zeitraum (z.B. 90 Tage oder 180 Tage). Daneben gibt es auch Positionen, die z.B. auf eine Körperhälfte limitiert sind (pro Seite). Sogenannte «Ventil-Positionen», wie sie 2018 vom Bundesrat eingeführt wurden, z.B. für den erhöhten Behandlungsbedarf bei Kindern oder älteren Personen, gibt es in diesem Sinne nicht mehr.
Weiterhin Bestandteil der TARDOC-Tarifstruktur sind Kumulationseinschränkungen. Diese gelten jeweils pro Sitzung und verbieten beispielsweise die Verrechnung einer separat tarifierten Leistung, wenn diese in einer anderen Position bereits eingerechnet ist. Typisches Beispiel sind hier die Lappenhebungen, die separat verrechenbar sind, teilweise aber auch in den entsprechenden Eingriffen bereits einkalkuliert sind. Wo dies der Fall ist, gibt es ein Kumulationsverbot.

Konsultation, Beratung und Behandlung

Nichts Grundsätzliches geändert hat sich im Bereich von Konsultation, Beratung und Behandlung. Trotzdem soll hier das Konzept nochmals erläutert werden: Die Konsultation ist neu auf 20 Minuten limitiert, umfasst aber wieder die eigentliche Kernleistung einer Konsultation und ist damit nicht mehr «Sammeltopf» für irgendwelche Leistungen. Dazu kommen aber fachspezifische Beratungs- und Behandlungsleistungen, die nicht auf die Sitzung limitiert sind. Dies ermöglicht es, gewisse Spitzen abzufangen. Die Konsultationszeit entspricht also nicht der Sitzungslänge. Es gelten dabei nach wie vor folgende Grundsätze:
1 Die Konsultation (AF.0001/AF.0021) bildet nicht spezifisch tarifierte Gesprächsleistungen ab, so unter anderem die Anamnese sowie die Begrüssung und Verabschiedung des Patienten. Es ist dabei nicht statthaft, die Anamnese über teurere, mit ­höheren Taxpunkten bewertete Tarifpositionen, wozu alle Behandlungspositionen zählen, abzurechnen. Neben der Konsultation gibt es im Tarif dafür weitere Sprechleistungen.
2 Eine Beratung ist eine Sprechleistung, die im Sprechzimmer tarifiert ist und die erst beginnt, wenn die Anamnese abgeschlossen ist.
3 Eine Behandlungsleistung ist keine Sprechleistung. Die Behandlung benötigt ein gewisses Instrumentarium. Aus diesem Grund sind Behandlungsleistungen im Untersuchungs- und Behandlungsraum (UBR) oder in höher bewerteten Sparten tarifiert. Sprechleistungen über Behandlungsleistungen abzurechnen ist nicht statthaft.

Verbesserungen der neuen Tarif­struktur TARDOC

Gegenüber TARMED kann TARDOC mit deutlichen Vorteilen aufwarten, die nachfolgend nicht abschlies­send aufgelistet sind:
– TARDOC kennt keine «Alleinigen Leistungen» mehr. Leistungen, die bis anhin in zwei separaten Sitzungen gemacht werden mussten, sind neu in ­einer Sitzung kombinierbar.
– Viele Disziplinen profitieren von der Aufhebung der sogenannten Leistungsblöcke. Für Radiologen z.B. ist es neu möglich, nach einer CT- oder MRI-­Untersuchung eine Konsultation durchzuführen, wenn diese medizinisch notwendig oder vom Pa­tienten gewünscht ist. Ähnliches gilt auch für die Kardio­logie, die Radiotherapie oder die Nuklearmedizin.
– Die Leistungen in Abwesenheit sind mit insgesamt 105 Minuten pro 90 Tage deutlich besser limitiert.
– Die spezifische hausärztliche Umfeldarbeit in Abwesenheit des Patienten, die über den Bedarf der ­Limitation des Grundkapitels hinausgehen, werden über die AT.2008 «Hausärztliche Umfeldarbeit in Abwesenheit des Patienten, erhöhter Bedarf, pro 1 Min.» aufgefangen. Hausärzte profitieren damit von einer höheren Limitation bei den Leistungen in Abwesenheit.
– Die Limitationen für Leistungen des Psychiaters in Abwesenheit des Patienten konnten ebenfalls deutlich nach oben verschoben werden. Neu steht dem Psychiater innerhalb von 90 Tagen eine ganze Stunde mehr zur Verfügung.
– Viele Facharztdisziplinen haben spezifische Kapitel erhalten, so unter anderen die Endokrinologen, die Medizinische Genetik, die Geriater, die Tauch- und Hyperbarmediziner, Infektiologen, Nephrologen, Onkologen und Hämatologen, Sportmediziner, Tropenmediziner, Fachärzte für Arbeitsmedizin, Pharmakologie, aber auch Psychosomatik oder Komplementärmedizin.
– Des Weiteren wurde die nichtärztliche Überwachung vereinheitlicht und auf eine einheitliche ­Berechnungsgrundlage gestellt. Neu gibt es für die medizinisch notwendige Betreuung und Überwachung nichtspezialisierte Überwachungspositionen für die Arztpraxis, spezialisierte Positionen für Infusionsbehandlungen sowie für die Überwachung nach Eingriffen unter Regional- oder Allgemein­anästhesie sowie Sedation (siehe dazu Kapitel AG).
Hausärzte profitieren von einer deutlich höheren Limitation bei der Beratungsleistung, diese ist neu auf 240 Minuten pro 180 Tage limitiert.
– Hausärztlich tätige Allgemeinmediziner sowie Kinderärzte profitieren weiter von einer unlimitierten Konsultation in Zusammenhang mit Palliative Care sowie von deutlich höheren Limitationen bei Leistungen in Abwesenheit des Patienten in Zu­sammenhang mit unheilbar erkrankten Patienten (siehe Kapitel AT.25).
– Neu gibt es mit dem Kapitel AM.20 «Nichtärztliche Leistungen: Chronic Care Management» für die ­Medizinische Praxiskoordinatorin klinischer Richtung, die über ein Zertifikat für Chronic Care Management verfügt, die Möglichkeit, Konsultationen mit dem Asthma-, Diabetes-, Rheuma- oder Herz­insuffizienz-Patienten über die entsprechenden Tarifpositionen abzurechnen (siehe dazu die Kapitelinterpretationen zu AM.20).

Wie geht es nun weiter?

Falls die FMH der revidierten und verhandelten ambulanten Tarifstruktur inkl. Verträgen zustimmt und auch die beteiligten Tarifpartner diesem Gesamtpaket zugestimmt haben, wird diese Tarifstruktur per Ende Juni 2019 zur Festlegung dem Bundesrat eingereicht.
Eine Festlegung erfolgt deshalb, weil auf Kostenträgerseite voraussichtlich keine Mehrheit vorhanden sein wird und damit eine Genehmigung nicht möglich ist. Der Bundesrat wird daher eine dreimonatige Vernehmlassung bei allen Tarifpartnern und interessierten Verbänden durchführen müssen und diesen Tarif dann voraussichtlich frühestens per 1.1.2021 festlegen und in Kraft setzen.

Danke!

Die FMH bedankt sich bei allen Tarifdelegierten, Präsidentinnen und Präsidenten der medizinischen Gesellschaften, die sich mit grosser Fachkompetenz, enormem Engagement und mit viel Herzblut für die Gesamtrevision des TARMED eingesetzt haben! Ohne deren Einsatz wäre eine Revision niemals möglich gewesen.

Die ats-tms AG

Die ats-tms AG wurde am 18. Januar 2016 durch die FMH, H+, Curafutura und die MTK gegründet. Der Auftrag der Firma besteht in der Berechnung und Pflege des Tarifs für ambulante ärztliche Leistungen gemäss KVG Art. 43 «Tarife und Preise». Der Firmenname ats-tms bedeutet: ats = Arzttarif Schweiz und tms = Tarif médical Suisse.
Ende September 2018 hat H+ die Gesellschaftsverträge mit der ats-tms AG gekündigt und ist definitiv per Ende Oktober 2018 aus der ats-tms AG ausgetreten. Die FMH hat die Aktienanteile von H+ im November 2018 übernommen und im Verwaltungsrat die entsprechenden Sitze einnehmen können, damit auch dort ein paritätisches Stimmenverhältnis gewährleistet ist.
FMH / Abteilung Ambulante Versorgung und Tarife
Baslerstrasse 47
CH-4600 Olten
Tel. 031 359 12 30
Fax 031 359 12 38
tarife.ambulant[at]fmh.ch