Wirksame Zulassung oder kaum umsetzbares Bürokratiemonster?

FMH
Ausgabe
2019/15
DOI:
https://doi.org/10.4414/saez.2019.17779
Schweiz Ärzteztg. 2019;100(15):537

Affiliations
Dr. med., Präsident der FMH

Publiziert am 09.04.2019

Einigkeit besteht in der aktuellen Diskussion über die Zulassung lediglich in einem Punkt: Wir be­nötigen eine wirksame Zulassungssteuerung, die dem Versorgungsbedarf und den Qualitätsansprüchen unseres Gesundheitswesens entspricht. Kaum Einigkeit besteht leider darüber, wie dies am besten erreicht werden kann.
Seit Jahren präsentiert die Ärzteschaft eine wirksame und einfach umsetzbare Lösung: Sie setzt auf eine dreijährige Spitaltätigkeit in der Schweiz sowie den Nachweis von Sprachkompetenz als Voraussetzungen für eine Zulassung (siehe auch unten). Dagegen legte der Bundesrat im Mai 2017 einen Gesetzesentwurf (18.047) vor, der eine administrativ sehr aufwendige Regu­lierung vorsieht [1]. Spätestens seit dieser Entwurf im Dezember 2018 vom Nationalrat diverse Änderungen erfuhr, ist klar: «Es droht ein neues Bürokratiemonster» [2]wie die Helsana formuliert.
Den grössten Teil des Bürokratieschubs hätten die ­Kantonsverwaltungen zu bewältigen. Es bräuchte nicht nur eine detaillierte Angebotsplanung; für eine Zu­lassungssteuerung gemäss festgelegten Ärztezahlen müsste die Verwaltung regelmässig sämtliche ärztlichen Arbeitspensen überprüfen. Die 19 331 im ambulanten Sektor tätigen Ärztinnen und Ärzte der Schweiz [3] müssten damit künftig jede Änderung ihres Pensums ihrem Kanton zur Kenntnis geben bzw. von diesem ­bewilligen lassen. Passen Freipraktizierende also ihr Praxispensum an, weil sielangfristig oder zeitweiseverstärkt Aufgaben als Schularzt, Vertrauensarzt oder Gutachter wahrnehmen oder die Arbeitszeitreduktion anderer Ärztinnen und Ärzte auffangen, liesse sich das künftig nicht mehr unkompliziert unter Kolleginnen und Kollegen absprechen – sondern würde neu über kantonale Schreibtische wandern.
Ironischerweise hätten die Kantonetrotz des hohen Regulierungsaufwands – nicht mehr, sondern weniger Handlungsspielraum. Durch die geplante Abschaffung der Bedürfnisklausel in Art. 55a KVG und die Vorgabe zwingender Zulassungsvoraussetzungen in Art. 37 KVG könnten sie im Fall einer Unterversorgung nicht mehr flexibel reagieren. Die in Art. 55a neu geplante Vorgabe, dass für alle Fachgebiete mit «überdurchschnittlicher» Kostensteigerung ein Zulassungsstopp verhängt werden muss, lässt zudem rein statistisch bereits erwarten, dass die Kantone jedes Jahr mindestens der Hälfte aller Fachrichtungen keine Zulassung erteilen könnten – unabhängig von der absoluten Höhe der Kostensteigerung und vor allem: unabhängig vom Bedarf.
Damit würde auch die politische Forderung «ambulant vor stationär» zur Karikatur: Die Verlagerung von ­Kosten durch mehr ambulante Behandlungen hätte ambulante Zulassungsstopps für die betroffenen Fachrichtungen zur Folge. Die Vorlage betreibt damit auch Strukturpolitik zugunsten des stationären Sektors und verstärkt die Interessenkonflikte der Kantone.
Die geplante, sehr komplizierte und mit viel Büro­kratie verbundene Regulierung lässt also nicht einmal wünschenswerte Wirkungen erwarten. Einfacher und nachgewiesenermassen wirksam wäre hingegen eine gezielte Verschärfung und Verstetigung der seit 2013 bewährten Zulassung nach Qualitätskriterien gemäss Artikel 55a KVG: Denn müsste (1) neu die notwendige dreijährige Tätigkeit an einer anerkannten schweize­rischen Weiterbildungsstätte auch in der für die Zu­lassung beantragten Fachdisziplin absolviert werden, wäre­n ein bedarfsgerechter Fachärzte-Mix und eine einfache Lenkungsmöglichkeit durch die Kantone gewährleistet. Verlangt man (2) zusätzlich einen Nachweis der erforderlichen Sprachkompetenz, würden die Zulassung weiter verschärft und die Patientensicherheit verbessert. Diese wirksame und schlanke Lösun­g wäre nicht nur im Sinne der kürzlich vom Ständerat beschlossenen ­Regulierungsbremse (16.3360) – sonder­n vor allem im Sinne eines zukunftsfähigen Gesundheitswesens.
1 Schlup J. Zulassung nach Qualitätskriterien: einfach und wirksam. Schweiz Ärzteztg. 2017;98(41):1319.
2 Strüwe W. Anreize und Tarifpartnerschaft statt Allmacht der Kantone. Helsana Standpunkt. 2019(März);1:6–7.
3 Hostettler S, Kraft E. FMH-Ärztestatistik 2018. Wenig Frauen in Kaderpositionen. SÄZ. 2019;100(12):411–6.