Denken kann Freude machen

Briefe / Mitteilungen
Ausgabe
2019/19
DOI:
https://doi.org/10.4414/saez.2019.17831
Schweiz Ärzteztg. 2019;100(19):649

Publiziert am 07.05.2019

Denken kann Freude machen

Sehr geehrter Herr Dr. Taverna
Herzlichen Dank für Ihre Gedanken zu Platons Höhle. Ein ermutigender Stimulus, der daran erinnert, dass Denken Freude machen kann und dass es neben den Taxpunktwerten noch andere Werte gibt.
Sie schreiben richtig, dass sich Willensfreiheit und deren Gegenteil, der absolute Determinismus, heute nicht beweisen lassen, und Sie fügen an, dass diese in wenigen Jahrzehnten vielleicht schon nicht mehr stimmen könnten. Dazu die Überlegungen eines anderen Griechen, Eubulides von Milet, des möglichen Verfassers des Lügnerparadoxons: Dieser Satz ist falsch. Was machen wir damit? Wenn der Satz stimmt, dann sagt er über sich selbst aus, dass er falsch ist. Nehmen wir an, dass er falsch ist, dann folgt, dass er wahr sein muss. Wir kommen dabei mit einer logischen Analyse nicht weiter. Daher die Bezeichnung ­Paradoxon oder Antinomie. Am Anfang des letzten Jahrhunderts stellte ein junger Mathematiker, Kurt Gödel, die Mathematikerwelt auf den Kopf, als er seine zwei Unvollständigkeitssätze vorstellte. Mit dem ersten bewies er mittels formalmathematischer Logik, dass es Sätze gibt, die nicht entscheidbar sind. Mit seinem zweiten Unvollständigkeitsatz bewies er, dass ein logisch konsistentes System nicht in der Lage ist, seine inhärente logische Konsistenz zu beweisen.
Die Frage nach der Willensfreiheit wird mittels desselben Gehirns (Systems) untersucht, über das es eine Aussage machen soll. Formal handelt es sich um ein selbstreferenzierendes System. Die Antwort wird vom Fragesteller selbst gegeben. Es gibt kein zweites, externes System, welches sie beantworten kann. Damit wären wir beim zweiten Gödelschen Satz. Vielleicht müssen wir für immer mit der Unentscheidbarkeit der Frage nach dem freien Willen leben. Isaak Bashevis Singer hat es einmal treffend gesagt. Wir müssen an den freien Willen glauben, wir haben keine Wahl.
Lieber Herr Taverna, danke für Ihren stimulierenden Aufsatz.