Früherkennung mittels PSA-Test

Mindestmass an Information nötig

Tribüne
Ausgabe
2019/2930
DOI:
https://doi.org/10.4414/saez.2019.17885
Schweiz Ärzteztg. 2019;100(2930):990-992

Affiliations
PD Dr. med., Leiter Abteilung Urologie, GZO Spital Wetzikon

Publiziert am 16.07.2019

Die klinische Praxis zeigt, dass die Früherkennung für Prostatakarzinome ohne hinreichende Aufklärung vor Durchführung des PSA-Tests erfolgt. Die Details der Früherkennung, Ihre Vor- und Nachteile gehen in der Praxis nicht selten unter. Häufig wird «noch schnell der Prostatawert kontrolliert» Die Schweizerische Gesellschaft für Urologie bietet dem Praktiker eine pragmatische Merkstütze, welche ihn beim Patientengespräch unterstützt.
In der Literatur ist zu lesen, dass sich das Verhältnis zwischen Arzt und Patient in den letzten Jahren grundlegend verändert habe, insofern, als dass in der Vergangenheit eine Art «paternalistische» Mentalität verbreitet gewesen sei, wonach der Arzt zum Wohle des Patienten entschieden habe [1]. Heutzutage sei jedoch zwischen Arzt und Patient während einer Konsultation i.d.R. ein Behandlungsvertrag geschlossen [2]. Nach Landolt und Herzog-Zwitter sei dies durch verschiedene Faktoren bedingt: «Der technische Fortschritt, die Spezialisierung der Ärzte, die Ökonomisierung, das Selbstbestimmungsrecht des Patienten und die allgemeine Verrechtlichungstendenzen prägen das Verhältnis zwischen Arzt und Patient» [3]. Auf der anderen Seite ist jedoch zu bemerken, dass bereits in der Mitte des letzten Jahrhunderts ein schwindendes Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient zu verzeichnen sei [4]. Hintergrund sei unter anderem die sensationell aufgemachte Berichterstattung unserer Tagespresse. Überdies bemerken die Autoren, dass dem Menschen «die Vorstellung, dass man Schicksalsschläge, Unglück und Schaden tragen muss, heute weitgehend verloren gegangen ist» [4].

Résumé

La pratique clinique montre que les explications fournies avant le test PSA sont insuffisantes lors du dépistage précoce du cancer de la prostate. Il n’est pas rare que les détails du dépistage précoce, de ses avantages et de ses inconvénients soient omis au cabinet. Souvent, «on contrôle encore vite le dosage de l’antigène prostatique». Le praticien devrait disposer dans ces cas d’un aide-mémoire pragmatique, fourni par la société de discipline médicale (fiche d’information, par ex.). Il est évident que de telles explications sont chronophages pour le médecin. Sans compter que le résultat peut être à l’opposé de l’objectif visé. Il est bien entendu douteux qu’un homme qui souhaite un dépistage précoce comprenne mieux sa situation fondamentale grâce au dosage PSA, alors qu’il est confronté à des valeurs statistiques telles que le «Number needed to diagnose». Il n’empêche qu’il doit disposer d’un minimum d’informations afin de pouvoir décider en connaissance de cause s’il souhaite un dépistage précoce par dosage du PSA ou pas.
Dies mag bei therapeutischen Eingriffen auch zunehmend der Fall sein. Hingegen zeigt die klinische Praxis, dass bei der Diagnostik und insbesondere der Krebsfrüherkennung dem Arzt in den meisten Fällen ein ausgesprochen grosser Handlungsspielraum sowie Kompetenz zugestanden wird. Dem Patienten fehlt hier in besonderem Masse die nötige medizinische oder, besser gesagt, die tumorbiologische Einsicht, da häufig laienmässig «früh erkannt entspricht gleich bester Prognose» gedacht wird. Dies trifft insbesondere für die Früherkennung des Prostatakarzinoms, aber auch des papillären Schilddrüsenkarzinoms oder bestimmter Mammakarzinome zu. So ist es im klinischen Alltag Usus, gut differenzierte und kleinherdige Prostatakarzinome zu beobachten [5], was viele Patienten nicht wissen. Die Boulevardpresse und auch namhafte Zeitungen sprechen sich je nach gerade erschienener Studie häufig entweder absolut pro oder contra Früherkennung mittels Prostata-spezifischen Antigens (PSA) aus. Einige Beispiele für Titel zur Prostatakarzinomfrüherkennung durch den PSA-Test lauten je nach Strömung und erschienener Studie wie folgt:
«Marker for cancer of prostate may fight it» [6], «The problem with prostate screening» [7] oder gar «Vergessen Sie Ihr PSA!» [8].
Der Patient hat in dieser Situation das Nachsehen. Weder weiss er, ob die Pressemeldung der Sachlage entspricht, noch kann er die Studienlage einschätzen. Wird die Blutentnahme für den PSA-Test gemacht, ist der Patient ausser Kenntnis, wie tief der Arzt mit der Studienlage vertraut ist.

Epidemiologie der Prostatakarzinome

Prostatakarzinome sind in der Schweiz der am häufigste diagnostizierte Tumor bei Männern [9]. Es wird bewusst «Prostatakarzinome» und nicht «das Prostatakarzinom» von der Terminologie her verwendet, da diese Erkrankung recht heterogen bzgl. ihrer Prognose ist.
Frühe Obduktionsstudien haben eine beachtliche Prävalenz zwischen dem 30. und 90. Lebensjahr erbringen können. Je nach Studie lassen sich Prostatakarzinome in 30 bis 80% lichtmikroskopisch nachweisen. Diese Prostatakarzinomzellen tragen die typischen Malignitätskriterien und sind auch immunhistochemisch als solche klar zu taxieren.
Nun zeigt sich demgegenüber jedoch eine etwas verzerrte Tumorbiologie: Hier konnte gezeigt werden, dass die Metastasierungspotenz bei gut differenzierten Tumoren des Gleason-Scores 3+3 im Promillebereich zu beschreiben ist [10]. In der grössten PSA-Screeningstudie weltweit lag die Frequenz der Karzinome mit niedrigem Risiko bei knapp 50% [11]. Dieser Anteil entspricht zum Teil der zutage geförderten Prävalenz durch Screening. Da jedoch die Tumorbiologien dieser Low-risk-Tumoren in der Regel als nicht-aggressiv zu werten sind, geht «einfaches» PSA-Screening (dies soll heissen, dass der Entscheid zur Prostata-Biopsie nicht multivariabel mit PSA-Dichte, MRI etc. erfolgt, sondern mit einem starren PSA-Cut-off) mit einer entsprechend hohen Rate an Überdiagnosen einher. Dies spiegelt sich in der hohen number needed to diagnose to prevent one death von 27 wider [11].
Damit ist klar, dass die Tumorbiologie einer komplexen Dynamik folgt und sich die lichtmikroskopische Diagnose grundsätzlich von der klinischen Diagnose unterscheidet. Es gibt Tumoren, die zeitlebens nicht metastasieren – dennoch weisen sie alle Malignitätskriterien auf zellulärer und sogar immunhistochemischer Ebene auf. Der Kliniker hat dabei die nicht unerhebliche Aufgabe, das therapiebedürftige Prostatakarzinom mit Hilfe des PSA-Tests zu detektieren, ohne die «Überdiagnosen» (Prostatakarzinome, die zeitlebens klinisch irrelevant bleiben) zu fördern. Diese ambivalente Eigenschaft macht das ­Prostatakarzinom zu einem schwer zu taxierendem Karzinom: Der aggressive Tumor muss möglichst früh erkannt und therapiert werden, der klinisch insignifikante Tumo­r jedoch unerkannt (und falls diagnostiziert: untherapiert) bleiben.
Bestimmung des PSA-Wertes durch Bluttest (Symbolbild).

Ausmass der Aufklärung Prostatakarzinomfrüherkennung mittels PSA

Im Folgenden werden PSA-Studien als Screening-Studien benannt. Sie sind häufig «populationsbasiert», d.h. alle Männer einer bestimmten Altersgruppe werden organisiert gescreent. Dem gegenüber ist die individuelle Früherkennung abzugrenzen, welche nicht organisiert erfolgt.
Generell ist anzumerken, dass das allgemeine Prostatakarzinomrisiko überschätzt wird. Formulierungen wie «Jeder 2. Mann ist betroffen» sind in der Regel kumulativ (= gesamte Lebensspanne) gemeint. Es bedeutet auch, dass die «Erkrankungen» sich auf das blosse Feststellen auf Karzinomzellen bezieht. Hier geht unter, dass ein schlummernder Krebs häufig keine Bedrohung für den Patienten darstellt. Bei Frauen wird z.B. betont, dass «jede 10. Frau von Brustkrebs betroffen ist». Für Frauen im Alter zwischen 20 und 30 Jahren sind aber etwa nur 5 von 10 000 betroffen [12]. Im Allgemeinen sind Patienten von Krebsfrüherkennungsmassnahmen überzeugt [13]. Mehr noch: Über den Schaden von Früherkennung weiss der Patient generell wenig (oder nichts). Auch wird der Nutzen der Früherkennung überschätzt. Zudem hat die Früherkennung für das Mammakarzinom in der Gesellschaft einen anderen Stellenwert als jene des Prostatakarzinoms. Diese Tatsache verpflichtet den Arzt, vor dem PSA-Test ähnlich wie bei einem Eingriff eine entsprechende Eingriffsaufklärung durchzuführen. Bedenkt man, dass der Arzt bei operativen Eingriffen auch noch eine Verlaufsaufklärung sowie die Sicherungsaufklärung durchzuführen hat, erscheint die Aufklärung vor Früherkennungsmassnahmen wie jener des PSA-Tests in der Klinik hingegen marginal. Es stellt sich die Frage, ob nicht auch vor Abnahme eines tumorassoziierten Markers mit prognostischem Wert zumindest eine ähnliche Aufklärung stattfinden sollte. Aus ethischer Betrachtung ist dies sicher indiziert, ebenso aus rechtlicher. Praktisch muss jedoch erwähnt werden, dass der Allgemeinpraktiker nicht die Zeit hat, um eine solche Verlaufsaufklärung vor der Blutentnahme ordnungsgemäss durchzuführen.
Für den Laien ist es schwierig zu verstehen, wenn Inzidenzzahlen genannt werden. Die Krebsliga etwa informiert wie folgt: «An Prostatakrebs erkranken in der Schweiz pro Jahr rund 6100 Männer. Damit ist dies die häufigste Krebsart überhaupt. Fast 30% der Krebsdiagnosen bei Männern entfallen auf Prostatakrebs. Nahezu alle Patienten sind zum Zeitpunkt der Diagnose 50 Jahre oder älter, fast die Hälfte sind 70 Jahre oder älter» [14].Hier entsteht der Eindruck, dass jede Karzinomdiagnose klinisch relevant ist. Allerdings ist die Number needed to diagnose für das Prostatakarzinom nach 13 Jahren 27 (s.o., die Morbidität nicht mit eingezählt). Folglich müssen 27 Karzinomdiagnosen gestellt werden, um 1 Mann vor dem Karzinomtod zu bewahren. Freilich ist diese Zahl ohne Durchführung des MRI berechnet worden und trifft damit nicht auf die moderne, sogenannte MRI-fusionierte Biopsie zu [15]. Aber dies liegt in der Natur des ständig sich verbessernden dia­gnostischen Algorithmus.

Beurteilung

Der Mann sollte informiert werden, wie die prozentuale Verteilung des PSA-Wertes in der Bevölkerung ist. Hier bleibt zu sagen, dass 80% der Männer im Alter von 50 bis 70 Jahren einen PSA-Wert von ≤2 ng/ml haben [16]. Ferner ist er darüber zu informieren, dass ein erhöhter Wert zunächst einmal durch ein erhöhtes Pro­statavolumen bedingt ist oder Geschlechtsverkehr den Wert erhöht [17]. Überdies ist über die Prävalenz von Prostatakarzinomen zu informieren sowie über die Möglichkeit einer aktiven Überwachung und deren Konsequenzen. Erst nach einer solchen Aufklärung sollte theoretisch der PSA-Wert bestimmt werden. «Falsch positive» Befunde sind in der PSA-Früherkennung schwierig, da man sich zunehmend von einem starren Cut-off als Biopsieindikator entfernt. Ausserdem ist Früherkennung nicht Vorsorge, da Vorsorge das Karzinom verhindern soll, die Früherkennung aber «nur» früh erkennt.
Allerdings muss auch erwähnt werden, dass ein normales Testergebnis, z.B bei einem PSA-Wert <1 ng/ml, im Alter von 60 Jahren Sicherheit geben kann [18]. Dies ist bei der Mammographie sicher anders zu werten. Deswegen kann nicht generell ausgesagt werden, dass «Früherkennung schadet» [19]. Doch die Aufklärung kommt in der Praxis häufig sicher etwas zu kurz. Dem Praktiker sollte deshalb eine pragmatische Merkstütze, wie beispielsweise ein von der Fachgesellschaft verfasstes Merkblatt, zur Hand gegeben werden (z.B. unter https://swissurology.ch/swiss-urology/aktuelles).

Schlussfolgerung

Natürlich ist eine eingehende Aufklärung zeitraubend für den Arzt. Unter Umständen führt sie ferner nicht zu dem gewünschten Ziel. Es ist natürlich fraglich, ob ein Mann mit dem Wunsch nach Früherkennung über den PSA-Test seine Grundsituation besser versteht, wenn er mit statistischen Zahlen wie der «Number needed to diagnose» konfrontiert wird. Dennoch ist ein Mindestmass an Information für den Mann wichtig, damit er in Kenntnis seiner Sachlage entscheiden kann, ob er eine PSA-Früherkennung wünscht oder aber nicht.
marco.randazzo[at]gzo.ch
 1 Bericht in Erfüllung der Postulate 12.3100 Kessler, 12.3124 Gilli und 12.3207 Steiert. Bern, 24. Juni 2015. unter: www.bag.admin.ch/.../patientenrechte_partizipation_bericht_DE.pdf
 2 OR 394ff.
 3 Hardy Landolt, Iris Herzog-Zwitter. Arzthaftungsrecht, S. 1.
 4 Hallermann 1959, in: Cordt von Brandis/Otto Pribilla: Arzt und Kunstfehlervorwurf, S. 9. 1973.
 5 Klotz L, et al. Long-term follow-up of a large active surveillance cohort of patients with prostate cancer. J Clin Oncol. 2015 Jan 20;33(3):272–7. doi: 10.1200/JCO.2014.55.1192. Epub 2014 Dec 15.
 6 New York Times, 6. Oktober 1999.
 7 New York Times, 14. November 2014.
 8 Die Welt, 20. Februar 2014.
10 Ross HM, et al. Do adenocarcinomas of the prostate with Gleason score (GS) </=6 have the potential to metastasize to lymph nodes? The American journal of surgical pathology. 2012;36:1346–52.
11 Schroder FH, et al. Screening and prostate cancer mortality: results of the European Randomised Study of Screening for Prostate Cancer (ERSPC) at 13 years of follow-up. Lancet. 2014;384:2027–35.
12 Mühlhauser I, Höldke B. Information zum Mammographie­screening – vom Trugschluss zur Ent-Täuschung. Radiologe. 2002;42:299–304.
13 Schwartz, et al. Enthusiasm for cancer screening in the United States.JAMA. 2004 Jan 7;291(1):71–8.
16 Randazzo M, et al. A «PSA pyramid» for men with initial prostate-specific antigen ≤3 ng/ml: a plea for individualized prostate cancer screening. Eur Urol. 2015 Oct;68(4):591–7. doi: 10.1016/j.eururo.2014.04.005. Epub 2014 Apr 18.
17 Börgermann C, et al. PSA quo vadis? It is reasonable to start with prostate-specific antigen testing at the age of 40! Cancer Epidemiol Biomarkers Prev. 2011 Jun;20(6):1190–5. doi: 10.1158/1055-9965.EPI-10-1198. Epub. 2011 Mar 29.
18 Randazzo M et al., Is further screening of men with baseline PSA < 1 ng ml(-1) worthwhile? The discussion continues-Results of the Swiss ERSPC (Aarau). Int J Cancer. 2015 Aug 1;137(3):553-9. doi: 10.1002/ijc.29420. Epub 2015 Jan 23.