Die Tarife werden gegenüber dem Delegationsmodell massiv absinken
Zunächst besten Dank an die Autorinnen für die Lancierung der Diskussion.
Zur Bezugnahme auf den Artikel von Giacometti et al. (2013, [1]): Zumindest ein Coautor von damals (Prof. E. Seifritz) nimmt heute dezidiert Stellung gegen das Anordnungsmodell. Die Aussage von Giacometti et al. stützt sich auf eine demographische Hochrechnung, dass beim aktuellen Bevölkerungszuwachs und der zu erwartenden Pensionierung der Babyboomer-Jahre im Jahr 2023 1000 Psychiater in der Schweiz fehlen sollen. Irren ist bekanntlich menschlich. Zum einen werden seither jährlich 200–240 neue Fachärzte diplomiert und zum anderen arbeiten Psychiaterinnen bedeutend länger als andere Fachärztinnen. Einerseits weil sie bei geringerem Jahreseinkommen und schlechter Altersvorsorge länger arbeiten müssen, andererseits, weil sie ihre Arbeit interessant finden und im Alter die klinische Erfahrung nicht einfach schreddern, sondern ihre langjährigen Patientinnen weiter betreuen wollen.
Zu den Zahlen: Diese sind problemlos belegbar und sowohl in Deutschland als auch in der Schweiz einsehbar. Wie Frau Jerg auf 3312 Psychologinnen kommt, ist wenig nachvollziehbar. Im PsyReg sind 7600 eidg. anerkannte Psychotherapeutinnen aufgeführt. Heterogen ausgebildet? Ja! Es gibt 36 beim BAG akkreditierte Weiterbildungsgänge für Psychologinnen mit Uni- und FH-Abschluss. Für die klinische Praxis ist lediglich 1 Jahr obligatorisch.
Wenn die beiden Autorinnen davon ausgehen, dass sich mit dem Anordnungsmodell in der Schweiz tariflich nichts verändern werde, ist das ziemlich blauäugig. Die Tarife werden gegenüber dem Delegationsmodell massiv absinken. Die Hospitalisationsraten werden wahrscheinlich merklich steigen und die ambulante Versorgung von Schwerkranken wird durch ein Globalbudget schlechter. Deshalb ist die Unterstützung der Petition durch pro mente sana und VASK gelinde gesagt unlogisch.
Die Psychiaterinnen müssen sich jedoch sehr wohl an der eigenen Nase nehmen. Sobald sie aus der Klinik in die eigene Praxis gehen, meiden sie Schwerkranke und ziehen sich hinter ihre Praxismauern im Seefeld zurück, um Neurotiker zu behandeln und möglichst keine delegiert arbeitenden Psychotherapeutinnen anzustellen. Die Sozialpsychiatrie wird tunlichst institutionellen Anbietern überlassen. So werden wir sowohl als Ärzte als auch als Psychotherapeuten nicht mehr ernst genommen. Dieser Imageverlust wird von der eigenen Fachgesellschaft noch durch undemokratische Strukturen und den Abbau von Weiterbildungsqualität befeuert.
1 Giacometti-Bickel G, Landolt K, Bernath C, Seifritz E, Haug A, Rössler W. In 10 Jahren werden 1000 Psychiaterinnen und Psychiater fehlen. Schweiz Ärzteztg. 2013;94(8):302–4.
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