«smarter medicine»: die «Top-5-Liste» der SGORL

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Ausgabe
2019/26
DOI:
https://doi.org/10.4414/saez.2019.17976
Schweiz Ärzteztg. 2019;100(26):880-881

Publiziert am 25.06.2019

Die Schweizerische Gesellschaft für Oto-Rhino-Laryngologie, Kopf- und Halschirurgie (SGORL), die sich ­einer qualitativ hochstehenden medizinischen Versorgung verpflichtet fühlt, will diese Verpflichtung mit der Publikation der 2018 erstellten Top-5-Liste festigen und nach aussen sichtbar machen. Angesichts der steigenden Kosten werden die finanziellen Ressourcen im Gesundheitssystem immer knapper. Bei immer neuen, zusätzlichen apparativen Untersuchungen gilt es, die zur Verfügung stehenden Mittel sinnvoll und verantwortungsvoll dort einzusetzen, wo Evidenz und Nutzen steigen, und dort zu unterlassen, wo dies ohne Qualitätseinbussen möglich ist.
Schon vor Jahren haben die American Academy of ­Otolaryngology-Head and Neck Surgery Foundation wie auch die Canadian Society of Otolaryngology-Head and Neck Surgery Choosing-wisely-Listen erstellt. Diese wurden im Vorstand der SGORL diskutiert und führten zur Entwicklung einer eigenen Liste. Die von der SGORL publizierte Top-5-Liste soll dazu beitragen, unnötige Behandlungs- oder Abklärungsschritte zu unterlassen und somit Kosten einzusparen, ohne die Qualität der Behandlung zu vermindern.
Die in Punkt vier aufgestellte Empfehlung zur Abklärung des akuten Schwindels wurde in Zusammen­arbeit mit dem Vorstand der Schweizerischen Neurologischen Gesellschaft (SNG) erarbeitet und offiziell vom Präsidium der SNG in der vorliegenden Form gutge­heissen und unterstützt. Die SGORL erachtet dies in­sofern als bedeutsam, als Patienten mit Schwindel­beschwerden in der Akutsituation auf Notfallstationen oft von beiden Fachdisziplinen – Hals-Nasen-Ohren-Ärzten und Neurologen – untersucht werden. Die gemeinsame Empfehlung wird von beiden Fachgesellschaften getragen und schafft Klarheit für die betroffenen Patientinnen und Patienten.
Mit der Veröffentlichung der Top-5-Liste trägt die SGORL dazu bei, die Überversorgung im Fall von häu­figen Hals-Nasen-Ohren-ärztlichen Symptomen oder ­Erkrankungen zu verringern und die Qualität der Behandlung dadurch zu steigern.

Zur Entstehung dieser Liste

Nach Diskussion und erster Adaptation der schon existierenden ausländischen ORL-Listen im Vorstand wurden die Vorsitzenden aller Arbeitsgruppen unter Leitung der Qualitätsbeauftragten der SGORL zur Mitarbeit eingeladen. Sie erhielten die Möglichkeit, aus den Arbeitsgruppen heraus relevante Punkte aufzugreifen und zu formulieren. Nach Eingang der Vorschläge wurden diese hinsichtlich ihrer Relevanz – unter dem Aspekt der Häufigkeit und der entstehenden Kosten – in gemeinsamen Treffen überprüft. Nach mehrmaligen Besprechungen wurden die jetzt publizierten und aufgeführten fünf Punkte ausgewählt. Die vollständige Liste wurde den Mitgliedern der SGORL an der Geschäftssitzung der Herbstversammlung am 15. November 2018 in Interlaken präsentiert und zur Diskussion gestellt. Mitglieder wie auch Vorstand haben die Liste in der nun vorliegenden Form gutgeheissen.
Die Schweizerische Gesellschaft für Oto-Rhino-Laryngologie, Kopf- und Halschirurgie gibt die fünf folgenden Empfehlungen ab:

1. Führen Sie zur Diagnostik einer ­Nasenfraktur ohne klinische Hinweise für eine zusätzliche Gesichtsschädel- oder Schädelbasisfraktur keine Röntgenaufnahmen durch.

Zur Dokumentation des Traumas wird eine Fotodokumentation empfohlen. Nur bei Verdacht auf eine zusätzliche Gesichtsschädel- oder Schädelbasisfraktur sollte ein Cone-beam CT oder eine Computertomographie erfolgen.

2. Führen Sie zur Diagnostik einer unkomplizierten akuten Rhinosinusitis keine Röntgendiagnostik durch.

Eine akute Rhinosinusitis ist eine klinische Diagnose und wird (gemäss Guidelines) durch mindestens zwei der akut aufgetretenen Symptome – eitrige Nasensekretion, Nasenobstruktion, Gesichtsschmerzen und/oder Geruchsminderung – definiert (Dauer bis zu 12 Wochen) und mit der Nasenendoskopie bestätigt. Bei Verdacht einer Komplikation einer Rhinosinusitis oder einer anderen zugrunde liegenden Diagnose wird die Durchführung eines Cone-beam CT oder einer Computer­tomographie empfohlen.

3. Verschreiben Sie bei einer unkomplizierten akuten Otitis externa keine systemischen Antibiotika.

Orale Antibiotika haben signifikante Nebeneffekte und decken im Gegensatz zu topischen Antibiotikatropfen die für die lokalen Infekte mehrheitlich verantwort­lichen Bakterien nicht ausreichend ab. Zudem können durch Vermeidung von oralen Antibiotika die Resistenzentwicklung sowie das Risiko opportunistischer Infekte vermindert werden.

4. Beim akuten Schwindel sind initial eine gezielte Anamnese und eine ­klinische Unter­suchung mittels ­Drei-Stufen-Test «HINTS» oder Lagerungsprüfung wegweisend, nicht eine primäre Bildgebung.

Bei der Beurteilung des akuten Schwindels gibt es ­einen Paradigmenwechsel weg von der auf Anamnese und Risikofaktoren basierenden Einschätzung hin zur klinischen Untersuchung mittels Drei-Stufen-Test «HINTS». Die Abkürzung steht für Kopfimpulstest, Nystagmusart, alternierender Abdecktest (Head Impulse, Nystagmus Type, Test of Skew). Bei Hinweisen auf eine zentrale Ursache des Schwindels ist eine zerebrale MRI-Bildgebung mit hochauflösenden Schichtungen im ponto-zerebellären Bereich indiziert.

5. Führen Sie zur Abklärung eines nicht pulsatilen Tinnitus bei Patienten mit symmetrischem Gehör, unauffälligem Ohrstatus und ansonsten unauffälliger Anamnese keine Bildgebung durch.

Der Nutzen der Bildgebung zur Abklärung des idiopathischen Tinnitus ist nicht erwiesen. Die Röntgendia­gnostik ändert das Management des Tinnitus kaum.

Die Kampagne «smarter medicine»

Der Trägerverein «smarter medicine – Choosing Wisely Switzerland», der nebst medizinischen Fach- und Berufsorganisationen auch von Patienten- und Konsumentenorganisationen unterstützt wird, möchte die Öffentlichkeit für die Themen der Fehl- und Überversorgung sensibilisieren. Die Kampagne knüpft dabei an die erfolgreiche amerikanische Initiative «Choosing Wisely» an, die zum Ziel hat, nicht nur «kluge Entscheidungen» herbeizuführen, sondern auch die offene Diskussion zwischen Ärzteschaft, den Patienten und der Öffentlichkeit zu fördern.
In den nächsten Monaten werden weitere medizinische Fach­gesellschaften sogenannte Top-5-Listen mit unnützen Behandlungen in ihrem Fachbereich publizieren.
Zudem hat der Verein im Oktober 2018 eine breite Kampagne für Patientinnen und Patienten lanciert: Die bisher veröffentlichten Empfehlungen sind neu in einer für Laien verständlichen Sprache verfügbar, um gemeinsame Entscheidungen zu unterstützen.
Weitere Informationen zum Trägerverein und eine Übersicht über die Top-5-Listen sind zu finden unter www.smartermedicine.ch
Trägerverein smarter ­medicine
c/o SGAIM
Monbijoustrasse 43
CH-3001 Bern
Smartermedicine[at]sgaim.ch