Resultate einer vom Bundesamt für Gesundheit in Auftrag gegebenen Studie

Mehr Licht im Dunkel der gemeinwirtschaftlichen Leistungen?

FMH
Ausgabe
2019/2930
DOI:
https://doi.org/10.4414/saez.2019.17983
Schweiz Ärzteztg. 2019;100(2930):967-969

Affiliations
Dr. phil., wissenschaftlicher Mitarbeiter, Abteilung Stationäre Versorgung und Tarife, FMH

Publiziert am 16.07.2019

Seit 2009 gilt die neue Spitalfinanzierung, welche mehr Wettbewerb im stationären Spitalbereich zum Ziel hat. Eine vom Bundesamt für Gesundheit (BAG) in Auftrag gegebene Studie über Art und Ausmass der Finanzierung gemeinwirtschaftlicher Leistungen (GWL) der Spitäler zeigt erneut kantonale Unterschiede auf. Die drei Bereiche Forschung und universitäre Lehre, Weiterbildung und ambulante Leistungen machen gesamtschweizerisch die grössten Anteile aus. Die Identifizierung wettbewerbsverzerrender Effekte setzt eine einheitliche Definition und Erfassung der GWL voraus.
Der Gesetzgeber strebte mit der Anfang 2009 in Kraft getretenen Revision des Bundesgesetzes über die Krankenversicherung (KVG) im Bereich der Spitalfinanzierung eine Reduktion des Kostenwachstums im stationären Spitalbereich an. Mittels erhöhter Transparenz hinsichtlich der Finanzierung und Qualität der erbrachten Leistungen sowie einer grösseren Wahlfreiheit der Versicherten sollte der Wettbewerb zwischen den Spitälern gefördert werden. Konkrete Massnahmen beinhalteten unter anderem die Einführung leistungsorientierter Fallpauschalen in der Akutsomatik oder die Orientierung der Spitalplanung an gesamtschweizerisch einheitlichen Kriterien. Als dauerhafter Stein des Anstosses in den Diskussionen um die Effektivität von effizienzsteigernden Massnahmen und die Gewährleistung gleich langer Spiesse im zunehmenden Wettbewerb erwiesen sich kantonale Subventionen wie etwa Vergütungen für gemeinwirtschaftliche Leistungen (GWL). So waren GWL beispielsweise in den letzten Jahren Gegenstand von gleich drei parlamentarischen Vorstössen [1].
Teils als Reaktion auf diese Vorstösse wurden auch das Ausmass und die Art der GWL im Rahmen der kürzlich vom Bundesamt für Gesundheit (BAG) abgeschlossenen Evaluation [2] zu den Auswirkungen der KVG-Revision von 2009 untersucht. Vertreterinnen der FMH-Abteilungen Stationäre Versorgung und ­Tarife sowie Daten, Demographie und Qualität konnten hierbei in verschiedenen vom BAG eingesetzten Begleitgruppen unverbindlich Stellung nehmen. Nach einer kurzen Erläuterung der Bedeutung von GWL sollen im Folgenden ausgewählte Resultate der Ecoplan-Studie vorgestellt werden, welche unter anderem die kantonale Finanzierung der GWL genauer untersucht hat [3].

Transparente GWL sind Voraussetzung für faire Spitalvergleiche

Artikel 49 Abs. 3 KVG hält fest, dass Vergütungen in Form von leistungsbezogenen Fallpauschalen keine Kostenanteile für GWL enthalten dürfen. Als Beispiele für solche Leistungen nennt das Gesetz die Aufrechterhaltung von Spitalkapazitäten aus regionalpolitischen Gründen sowie die Forschung und universitäre Lehre. Dem Gesetzgeber ging es hier offenkundig darum, auszuschliessen, dass Gelder der obligatorischen Krankenpflegeversicherung (OKP) zweckentfremdet werden. Es bestehen jedoch umgekehrt auch Befürchtungen, dass Spitäler, die mehr als kostendeckende Kantonszahlungen für ihre GWL erhalten, diese zur ­Finanzierung ungedeckter Kosten für KVG-pflichtige Leistungen verwenden könnten. Dies würde einen schweizweiten Effizienzvergleich der Spitäler unterminieren und hätte wettbewerbsverzerrende Auswirkungen. Neben dem Erhalt ineffizienter Strukturen würde zudem der Anreiz zur vermehrten interkantonalen Kooperation und überregionalen Spitalversorgungsplanung reduziert. Mit klar ausgewiesenen GWL wird demgegenüber für den Steuerzahler besser nachvollziehbar, welche jährlichen Kosten er für den Erhalt «seines» lokalen Spitals aufwenden muss. Schliesslich sind im Hinblick auf eine möglichst sachgerechte ­Tarifgestaltung die einheitliche Definition und transparente ­Erfassung der GWL auch deshalb zentral, weil nicht korrekt abgegrenzte OKP-pflichtige Leistungen die Kostengewichte der verschiedenen Fallpauschalen verzerren können [4].
Abbildung 1: Kantonale Finanzierungsbeiträge in Form von GWL im Jahr 2016 (in CHF pro Patient). Keine Angaben verfügbar für die Kantone Jura, Neuenburg, Waadt und Wallis. (Quelle: Eigene Darstellung basierend auf Ergebnissen der Studie [9].)

Grosse Spannbreite bei den Finanzierungs­beiträgen

Im Rahmen ihrer Studie befragte Ecoplan Anfang 2019 unter anderem alle Kantone zu deren Finanzierungsbeiträgen für GWL. 22 Kantone stellten die gewünschten Daten bereit. Für die Kantone Jura, Neuenburg, Waadt und Wallis liegen keine Daten vor [5]. Für alle 22 verfügbaren Kantone zusammengenommen beliefen sich die Gesamtausgaben im Jahr 2016 auf 1,17 Milliarden CHF, wobei vier Kantone mit einem Universitätsspital (Basel-Stadt, Bern, Genf und Zürich) obenaus schwangen [6].
Abbildung 1 weist demgegenüber die relativen kantonalen Finanzierungsbeiträge pro Kanton und Patient für das Jahr 2016 aus [7]. Es fällt zum einen die grosse Spannbreite auf und zum anderen, dass der Kanton Genf mit 3975 CHF vergleichsweise hohe Finanzierungsbeiträge leistete. Ebenfalls relativ deutlich über dem schweizerischen Durchschnitt lagen die Kantone Freiburg und Basel-Stadt. Werden die kantonalen Zahlungen ins Verhältnis zur Anzahl versicherter Personen gesetzt, so besetzt Basel-Stadt vor Genf den ersten Rang und der Abstand zu den restlichen Kantonen fällt noch etwas ausgeprägter aus [8]. Bei den übrigen Kantonen ergeben sich bei dieser Betrachtungsweise ebenfalls kleine Rangverschiebungen.

Abgeltungen für Forschung und ­universitäre Lehre dominieren

Aus Abbildung 2 wird ersichtlich, dass 2016 Beiträge für Forschung und universitäre Lehre mit 470,9 Mio. CHF die weitaus wichtigste Leistungskategorie darstellte. Auch für Weiterbildung wurde von den Kantonen mit 179,1 Mio. CHF ein grosser Betrag ausbezahlt. Aus tarifpolitischer Sicht bemerkenswert erscheint zudem, dass Vergütungen für ambulante Leistungen mit 107,3 Mio. CHF zu Buche schlugen. Diese dürften primär Ausdruck nicht kostendeckender Tarife (insbesondere Tarmed) im spitalambulanten Bereich sein.
Werden die Kantonsbeiträge nach Leistungskategorie und Kanton aufgeschlüsselt sowie pro versicherte Person berechnet, ergibt sich – ohne die fehlenden Kantone Jura, Neuenburg, Waadt und Wallis – folgendes Bild: Basel-Stadt wies mit 676 CHF die bei Weitem höchsten Pro-Kopf-Aufwendungen im Bereich Forschung und universitäre Lehre auf. Demgegenüber waren es im Kanton Genf 224 CHF, im Kanton Bern 105 CHF und im Kanton Zürich 68 CHF [11]. Im Übrigen zeigt sich, dass der Kanton Genf auch in den Bereichen Weiterbildung, Vorhalteleistungen und Rechtsmedizin vergütungsmässig an vorderster Front steht. Auch wenn ein direkter Vergleich nur beschränkt möglich ist, so zeigt sich doch, dass die Ergebnisse der vorliegenden Studie hinsichtlich der Grössenordnung, Struktur und kantonalen Unterschiede bei den GWL im Grossen und Ganzen im Einklang mit früheren Studien stehen [12].

Auswirkungen von GWL auf die ­Benchmarking-relevanten Kosten

Vielleicht nicht gänzlich überraschend gab eine deutliche Mehrheit der befragten Kantone (18 von 22) und eine etwas weniger ausgeprägte Mehrheit der Spitäler (71 von 112) an, dass die kantonale Finanzierungstätigkeit im Bereich GWL keinen Einfluss auf die Benchmarking-relevanten Kosten hätte, zumal diese Vergütungen ertragsseitig und nicht kostenseitig verbucht würden [13]. Diese Sicht der Dinge könnte durch den Umstand, dass inzwischen der stationäre Spitalbereich zu 91% mit den Beiträgen für stationäre Spitalleistungen finanziert wird, eine gewisse Unterstützung finden [14]. Für eine abschliessende Beurteilung dieser Frage fehlen aber nach wie vor adäquate Daten. Es ist jedoch interessant, dass sich die Spitäler in dieser Hinsicht ­weniger eindeutig geäussert haben. Dies dürfte daher rühren, dass nicht alle Spitäler gleichermassen in den Genuss kantonaler Abgeltungen für GWL kommen und dadurch die tarifpolitische Bedeutung der GWL «spürbarer» wird. Denn durch die fehlende Einheitlichkeit bei der Definition und Ermittlung der GWL wird die Abgrenzung der anrechenbaren Kosten für OKP-pflichtige Leistungen erschwert. Dies wiederum beeinflusst die Güte der Tarifstruktur und die Vergleichbarkeit der Fallnormkosten zwischen den Spitälern.
Abbildung 2: GWL nach Leistungskategorie im Jahr 2016 (in Mio. CHF, ganze Schweiz).
Ohne die nicht verfügbaren GWL-Beiträge der Kantone Jura, Neuenburg, Waadt und Wallis. uL+F: universitäre Lehre und Forschung; DL: Dienstleistungen (Quelle: Eigene Darstellung basierend auf Daten der Studie [10].)

Eine einheitliche Definition und ­Erfassung der GWL ist notwendig

Die vorliegende Studie hat weitere Anhaltspunkte zu den kantonalen Unterschieden beim Ausmass und der Struktur der GWL-Vergütungen geliefert. Sie hat aber auch aufgezeigt, dass die Datenlage nach wie vor ungenügend ist und deshalb die ermittelten Zahlenwerte sowie daraus abgeleitete Schlüsse mit Zurückhaltung betrachtet werden müssen. Wettbewerbsverzerrende Effekte durch eine intransparente Finanzierung der GWL können so weiterhin vermutet, aber nicht exakt beziffert werden. Eindeutiger Handlungsbedarf besteht demnach hinsichtlich einer einheitlichen Definition und Erfassung der GWL. Damit können wettbewerbsverzerrende Effekte besser identifiziert und gegebenenfalls minimiert werden.
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 1 Geschäft 16.3623 «Transparenz bei der Spitalfinanzierung durch die Kantone» (Motion eingereicht im Ständerat durch die Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit); Geschäft 16.3842 «Transparenz in der Spitalfinanzierung. Ausschreibungspflicht für gemeinwirtschaftliche Leistungen» (Motion eingereicht im Nationalrat von Verena Herzog); Geschäft 18.3149 «Die gemeinwirtschaftlichen Leistungen bestimmen» (Postulat eingereicht im ­Nationalrat von Sebastian Frehner).
 3 Ecoplan (2019). Finanzierung der gemeinwirtschaftlichen Leistungen, Anlagenutzungskosten und Defizitdeckungen der Spitäler durch die Kantone, Bern: Bundesamt für Gesundheit.
 4 Widmer P, Telser H, Uebelhart T (2016). Die Spitalversorgung im Spannungsfeld der kantonalen Spitalpolitik: Aktualisierung 2015, S. 36.
 5 Als Grund für die Nichtteilnahme wurde insbesondere die fehlende rechtliche Grundlage für die Lieferung der gewünschten Daten angeführt (Ecoplan 2019, S. 45, 46).
 6 Ecoplan (2019, S. 47).
 7 Die Studie präsentiert auch Daten für das Jahr 2015. Die Resultate sind sehr ähnlich, auch wenn sich zwischen 2015 und 2016 eine leicht rückläufige Tendenz ergibt.
 8 Ecoplan (2019, S. 54).
 9 Ecoplan (2019, S. 58).
10 Ecoplan (2019, S. 64)
11 Ecoplan (2019, S. 67).
12 Von Stokar T, Vettori A, Gschwend E, Boos L (2016). Finanzierung der Investitionen und gemeinwirtschaftlichen Leistungen von Spitälern. Machbarkeitsstudie im Rahmen der Evaluation der KVG-Revision Spitalfinanzierung. Felder S, Meyer S, Selcik F, Gmünder M (2018). Tarif- und Finanzierungsunterschiede im akutstationären Bereich zwischen öffentlichen Spitälern und Privatkliniken 2013–2016. Gutachten im Auftrag der Privatkliniken Schweiz (PKS).
13 Ecoplan (2019, S. 73, 74).
14 Roth S, Pellegrini S (2018). Evolution des coûts et du financement dans le système de soins depuis la révision du financement hospitalier. Etude réalisée sur mandat de l’Office fédéral de la santé publique (OFSP) (Obsan rapport 73), Neuchâtel: Observatoire suisse de la santé, S. 19.