Hat der Amtsschimmel bald ausgewiehert?

Sprachenstreit im Bundeshaus

FMH
Ausgabe
2019/25
DOI:
https://doi.org/10.4414/saez.2019.17989
Schweiz Ärzteztg. 2019;100(25):828

Affiliations
Rechtsanwalt, Geschäftsführer des Schweizerischen Instituts für ärztliche Weiter- und Fortbildung SIWF

Publiziert am 18.06.2019

3000 Ärztinnen und Ärzte lassen sich ihr ausländisches Diplom von der Medizinalberufekommission (MEBEKO) anerkennen – jährlich. Jeder dritte Mediziner in der Schweiz hat inzwischen ein ausländisches Arztdiplom. Die Zahl ausländischer Ärztinnen und Ärzte aus Ländern, in denen weder Deutsch, Französisch noch Italienisch gesprochen wird, hat in den letzten 10 Jahren stark zugenommen. Parallel dazu die Kommunikationsprobleme. Wenn die Verständigung zwischen Arzt und Patient – oder auch im Team – nicht funktioniert, können schnell lebensgefährliche Situationen auftreten. Aus diesem Grund haben sich die FMH und das SIWF im Rahmen des Medizinalberufegesetzes (MedBG) vehement für eine griffige Regelung zur Sicherstellung der Sprachkompetenz eingesetzt – mit zwiespältigem Erfolg: Zwar ist jetzt ein Nachweis «der für die jeweilige Berufsausübung notwendigen Sprachkenntnisse» im MedBG verankert. Niemand hatte jedoch erwartet, dass der Bundesrat in der Ausführungsverordnung nur die folgenden drei Möglichkeiten zum Nachweis der Sprachkompetenz akzeptiert: ein höchstens sechs Jahre altes international anerkanntes Sprachdiplom (mind. Niveau B2), ein in der entsprechenden Sprache erworbener Aus- bzw. Weiterbildungsabschluss oder Arbeitserfahrung als Arzt in der jeweiligen Sprache im Umfang von mindestens drei Jahren.
Mit dieser leider zu wenig durchdachten Regelung werden ausgerechnet Schweizer Ärztinnen und Ärzte schikaniert, die in einer anderen Sprachregion tätig sein möchten. Sie müssen auch bei vorliegendem Maturitätsabschluss in der betreffenden Sprache noch ein zusätz­liches Sprachdiplom erwerben. Beispielhaft beschreibt Dr. Ulrich Nägeli in diesem Heft seinen kafkaesken Kampf mit den Behörden, welche seine weit über dem geforderten Niveau B2 liegenden Italienischkenntnisse nur unter Vorlage eines international anerkannten Sprachdiploms im Register eintragen wollen (siehe Seite 860). Herr Nägeli ist kein Einzelfall. Die unsinnigen bürokratischen Hürden betreffen potentiell alle Schweizer Ärztinnen und Ärzte, welche in einer anderen Sprachregion tätig sein möchten. Dabei wäre die Lösung so einfach: Der Bundesrat müsste die Verordnung nur mit einem Satz ergänzen, wonach für den Sprachnachweis auch das schweizerische Maturitätszeugnis genügt. Eine entsprechende Motion von Nationalrätin Regine Sauter vom 25.9.2018 hat der Bundesrat allerdings als «nicht opportun» abgelehnt. Er hat damit nicht dem Willen des Parlamentes entsprochen, das bei den Beratungen der Gesetzesvorlage die Schweizer Maturität als genügenden Nachweis betrachtete. Die Maturitäts-Sprachprüfungen entsprechen dem Niveau B2. Im Lehrplan für Mittelschulen des Kantons Bern ist für Französisch sogar das Niveau B2/C1 verankert.
Besonders betroffen sind die Tessiner, welche in aller Regel ein Ausbildungsdiplom auf Deutsch oder Französisch erwerben, weil sie ihr Studium nördlich des Gotthards abschliessen. Wollen sie im Heimatkanton tätig sein, sind sie absurderweise gezwungen, ihre eigene Muttersprache zuerst kostenpflichtig im Register eintragen zu lassen! Zur Beseitigung dieser Diskriminierung hat Nationalrat Marco Chiesa am 6.3.2019 eine weitere von allen Tessiner Nationalräten unterzeichnete Motion eingereicht mit der Forderung, die Anerkennung der Sprachkenntnisse zu vereinfachen und gratis anzubieten.
Beide Motionen haben es bisher nicht auf die Traktandenliste des Nationalrates geschafft, und sie könnten das Schicksal vieler anderer unbehandelter Motionen teilen: Nach zwei Jahren werden sie automatisch abgeschrieben.
Hoffnung keimt dafür von anderer Seite auf. Der Ständerat hat am 3.6.2019 über die seit Jahren diskutierte Zulassungsregelung einen denkwürdigen Entscheid gefällt: Er begnügt sich nicht mit den im MedBG geregelten Sprachnachweisen, sondern fordert explizit eine in der Schweiz abgelegte Sprachprüfung (C1). Und das Beste: «Die Nachweispflicht entfällt für Ärztinnen und Ärzte, die über eine Schweizer Maturität verfügen […]» Sollte der Nationalrat der ständerätlichen Vorlage zustimmen, wäre es mehr als opportun, wenn der Bundesrat die Verordnung entsprechend anpassen würde. Der Amtsschimmel hätte dann endgültig ausgewiehert.