Das Anordnungsmodell verkennt wesentliche Aspekte

Briefe / Mitteilungen
Ausgabe
2019/26
DOI:
https://doi.org/10.4414/saez.2019.17993
Schweiz Ärzteztg. 2019;100(26):889

Publiziert am 25.06.2019

Das Anordnungsmodell verkennt wesentliche Aspekte

Die Co-Präsidenten der Föderation der Schweizer Psychologinnen und Psychologen (FSP), Yvik Adler und Stephan Wenger, setzen sich bezüglich der von psychologischen Psychotherapeuten durchgeführten Psychotherapie neu für ein Modell ein, das demjenigen der Physiotherapie «nachempfunden» sei. So einfach, wie das von den Co-Präsidenten dargestellt wird, ist es allerdings nicht. Offenbar wird nicht erkannt, dass die Anordnung einer Physiotherapie – oder auch einer Ergotherapie – einer ärztlich gestellten Diagnose bedarf, sonst ist Anordnung im heutigen Sinn hinsichtlich der Abrechnung mit der Krankenkassen nicht gültig. Bezüglich der Physiotherapie ist es zwar so, dass alle Ärztinnen und Ärzte eine solche anordnen könnten, es aber wenig verantwortlich wäre, ohne genauere Abklärungen, welche in eine Diagnose münden, eine solche einfach anzuordnen. Gerade bei psychischen Beschwerden sind das Erkennen und der Ausschluss somatischer und pharmakologischer Ursachen sowie die Differenzialdiagnose von komorbiden anderen schweren psychischen Erkrankungen inklusive ihrer Frühstadien wichtig. Das braucht fachärztliches psychiatrisches Wissen, aber vor allem braucht es Zeit. Weiter folgt aus der Diagnose, die auf einer umfassenden bio-­psycho-sozialen Anamnese beruht, oft nicht (nur) eine Psychotherapie, sondern je nachdem eine Psychopharmakotherapie, eine Ergotherapie, eine psychosoziale Spitex, wobei letztere drei alle ärztlich verordnet bzw. angeordnet werden müssen. Nicht beachtet wird weiter, dass viele psychisch Erkrankte arbeitsunfähig sind und dies teilweise auch länger bleiben. Dies wird nur schon daran sichtbar, dass 2018 bei den durch Krankheiten bedingten IV-Renten 59% psychischer Natur waren. Die Attestierung der Arbeitsunfähigkeit, welche ärztlich erfolgen muss, ist anspruchsvoll, gerade bei psychischen Störungen. Sie ist vor allem auch dynamisch und kann nicht einfach einem Arzt «zurückdelegiert» werden, der von der Behandung abgekoppelt ist, wie es die Petition verlangt. Ähnliches gilt für eine sorgfältig durchgeführte Psychopharmakotherapie, die im Verlauf flexibel angepasst werden muss, was meist eine ärztliche Untersuchung benötigt. Gerade bezüglich der letzten beiden Aspekte braucht es also eine enge Zusammenarbeit zwischen dem die Arbeitsunfähigkeit attestierenden und die Medikamente verordnenden Arzt, dem Psychiater, und bei delegierter Psychotherapie der psychologischen Psychotherapeutin. Dies kann das Anordnungsmodell nicht leisten.