In memoriam Ewald Weibel

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Ausgabe
2019/2728
DOI:
https://doi.org/10.4414/saez.2019.18008
Schweiz Ärzteztg. 2019;100(2728):934-935

Publiziert am 02.07.2019

Ewald Weibel, ein Grandseigneur der schweizerischen Wissenschaft und Wissenschaftspolitik und prägende ­Figur der Schweizerischen Akademie der Medizinischen Wissenschaften SAMW, ist Anfang Jahr von uns gegangen.
Er bleibt uns als Mensch, als akademischer Lehrer, als Mentor, als scharfsinniger Forscher und als integrer Geist in Erinnerung.
Ewald Weibel
So stand es sehr treffend in der Todesanzeige. All dies, aber noch viel mehr, bedeutete er auch für die SAMW, die diese Würdigung initiiert hat. Als Präsident von 1997 bis 2000, als Vizepräsident in den Jahren 2000 bis 2004 und ab 2004 als Einzel- und Ehrenmitglied des Senats prägte und gestaltete er die Akademie über Jahrzehnte mit. So hatte Ewald Weibel den tragischen, völlig unerwarteten Tod des amtierenden Generalsekretärs im Jahr 1998 als Chance genutzt, um die SAMW von Grund auf zu erneuern. Er professionalisierte das bis dato im Ehrenamt geführte General­sekretariat und schenkte einem jungen Führungsteam sein volles Vertrauen, die Geschäfte der Akademie in neue Bahnen zu lenken. Dieser Aufbruch in eine neue Zeit zeigte sich explizit auch im neuen Erscheinungsbild, das 1999 angepasst wurde: Das Signet – eine Schlange als Symbol der medizinischen Heilkunst umringt von einem lateinischen Motto – blieb bestehen, wurde jedoch grafisch modernisiert und das Motto «Medici et Professoribus» umgewandelt in «Scientiae Medicinali et Societati». Damit hatte die SAMW unter der Führung von Ewald Weibel erkannt, dass die Öffnung aus dem alleinigen Dienst für die medizinische Profession hin zu Patienten und zur Gesellschaft notwendig und zeitgemäss ist.
Die bis heute bestehenden Grundpfeiler der SAMW, die Förderung der evidenzbasierten medizinischen Wissenschaft einerseits und die medizinische Praxis und deren Auswirkungen auf die Gesellschaft andererseits, hat Ewald Weibel durch verschiedene innovative, wegweisende Projekte auf- und ausgebaut. Unter seiner Ägide entstanden zahlreiche medizin-ethische Richt­linien, die brennende Themen der Jahrtausendwende aufnahmen, etwa Xenotransplantation, Sterilisation geistig behinderter Menschen oder Intensivmedizin. Auf seine Initiative hin hat die SAMW frühzeitig die wissenschaftliche Integrität in der medizinischen und biomedizinischen Forschung als relevantes Thema erkannt und die medizinischen Fakultäten in ein Verfahren bei Fällen von Unlauterkeit eingebunden. Durch seine Unterstützung wurde das Projekt «Neuorientierung der Medizin» lanciert. Die SAMW gewann an Ansehen als unbestechliche Wissenschaftsorganisation mit einem hohen Sensorium für medizinisch-ethische Fragen und stärkte damit ihre Position sowohl innerhalb der Ärzteschaft als auch anderer Gesundheits­berufe in Politik und Gesellschaft.

Von der Wissenschaft in die Praxis

Ewald Weibel war und blieb ein Vollblutwissenschaftler. Für seine herausragenden Leistungen erhielt er unzählige Auszeichnungen und Ehrungen aus aller Welt, darunter verschiedene Ehrendoktorate und Medaillen von renommierten Universitäten. Besonders erwähnenswert sind der Marcel-Benoist-Preis, den er 1974 für seine bahnbrechenden Arbeiten auf dem Gebiet der funktionellen Morphologie der Lunge erhielt, und die Ehrenmitgliedschaft der «American Academy of Arts and Sciences», die ihm im Jahre 2000 zugesprochen wurde. Wie wichtig seine Forschungsarbeiten und sein Wissen für die Praxis waren, zeigte sich in den zahl­reichen Einladungen als Referent bei klinisch ausgerichteten Kongressen, darunter über Jahre bei der «American Thoracic Society» und der «European Respiratory Society».
Geehrt wurde Ewald Weibel stets für seine Arbeiten zum Verständnis der funktionellen Morphologie. In seinem Forschungsgebiet, den Beziehungen zwischen Struktur und Funktion der Lunge und schliesslich des ganzen Organismus, war Ewald Weibel ein Pionier. Solche Beziehungsstudien waren aber nur möglich durch die Quantifizierung der Strukturen, die Morphometrie. Hierzu entwickelte Ewald Weibel eine mathematisch-statistische Methode, die Stereologie, die heute weltweit in der Forschung über Struktur-Funktionsbeziehungen in allen Geweben und Organen angewendet wird. Erst dadurch wurde es möglich, die zahlenmässig erfassten licht- und elektronenmikro­skopischen Strukturen mit gemessenen Funktionen zu vergleichen.
Ewald Weibel war auch ein Pionier in der Licht- und ganz besonders in der Elektronenmikroskopie. Das Institut für Anatomie ist dank ihm heute das Mikroskopiezentrum der Universität Bern. Erwähnenswert sind auch die Bücher, die er zu dieser Thematik geschrieben hat, etwa «Morphometry of the Human Lung» 1963, «The Pathway for Oxygen» 1984 und «Symmorphosis: On Form and Function in Shaping Life» 2000.
Er investierte viel, um Möglichkeiten zu schaffen, Grundlagenwissen in klinische Anwendung zu überführen. Dazu arbeitete er über viele Jahre hinweg eng mit Klinikern zusammen. Auch praktizierende Ärztinnen und Ärzte folgten fasziniert seinen Ausführungen über Struktur-Funktionsbeziehungen. Er hatte die fantastische Gabe, seine wissenschaftlichen Befunde und Daten einfach und klar zu vermitteln. Nicht zuletzt besuchten über Jahre unzählige Studierende begeistert seine Vorlesungen. Ewald Weibel war nicht nur ein herausragender Wissenschaftler, sondern auch ein begnadeter Lehrer.
Wer das Privileg hatte, mit Ewald Weibel zusammenzuarbeiten, erlebte ihn immer auch als Mensch. Er beeindruckte durch seine fast unerschöpfliche Energie, seine natürliche Autorität, seine Begeisterung für das eigene wissenschaftliche Fachgebiet genauso wie allgemeine wissenschaftlich-medizinische Fragen, sein Gespür für Wesentliches, seinen messerscharfen Geist, aber auch durch sein grosses Herz, seinen Charme, seine persönliche Anteilnahme und seinen Sinn für Humor.
Eine Persönlichkeit wie Ewald Weibel hinterlässt ­grossen Respekt und Dankbarkeit bei allen, die das ­Privileg hatten, mit ihm einen Teil des Weges zu gehen.
Danke, Ewald!
Margrit Leuthold, Generalsekretärin der SAMW 1998–2006
Werner Stauffacher, 
Präsident der SAMW 2000–2004
Peter Gehr, Professor emeritus,
Ko-Direktor, Institut für Anatomie der Universität Bern 2003–2010