Wo soll die Evidenzlast bei der Einführung neuer Technologien liegen?

Replik zum Artikel von Franz Recker

Tribüne
Ausgabe
2019/3132
DOI:
https://doi.org/10.4414/saez.2019.18041
Schweiz Ärzteztg. 2019;100(3132):1039-1040

Publiziert am 31.07.2019

Mit Interesse haben wir den Beitrag von Prof. Dr. med. Franz Recker zum Bericht des Swiss Medical Board (SMB) betreffend roboterassistierte Operationsverfahren gelesen [1]. Hiermit möchten wir zu dem Gesagten Stellung nehmen; und zudem eine Frage aufwerfen, die die Beweislast bei der Einführung neuer medizinischer Technologien betrifft.

Zum Inhalt des SMB-Berichts

Wir wollen darauf hinweisen, dass der SMB-Bericht nicht nur die roboterassistierte laparoskopische Pro­statektomie, sondern auch die roboterassistierte laparoskopische Hysterektomie behandelt, bei der die Evidenzlage für den Einsatz von Robotern noch schwächer ist [2]. Andere roboterassistierte Eingriffe, wie zum Beispiel die bariatrische Chirurgie, wurden im Bericht nicht erwähnt, da für diese keinerlei randomisierte Studien vorlagen.

Unsere Antworten im Einzelnen

Gerne gehen wir im Folgenden auf die vom Autor vorgebrachten Argumente ein.
– Bei den drei zitierten Publikationen von Cooperberg, Hohwü und Ontario handelt es sich nicht wie vom Autor geschrieben um Metaanalysen, sondern um gesundheitsökonomische Studien.
– Die teilweise berechtigte Kritik des Autors an der Studie von Yaxley wurde im SMB Assessment Report diskutiert [3].
– Der Autor spricht von einem hohen Blutverlust bei der offenen Prostatektomie (1,3 Liter), der durch die Benutzung von «onkologisch fragwürdigen Cell Savern [...] kaschiert wird». Aus der im SMB-Bericht analysierten Literatur sowie den darin beschriebenen Outcomes kann leider kein Schluss betreffend die onkologische Fragwürdigkeit oder Häufigkeit der Anwendung von Cell Savern gezogen werden. Urologische Fachexperten vertreten die Meinung, dass vermutlich der Chirurg der relevantere Faktor ist, verglichen zum Instrument.
– Der Autor erwähnt, dass der Wiedereintritt in den ­Arbeitsprozess bei der roboterassistierten laparo­skopischen Prostatektomie «13–36 Tage früher» erfolgt. Die Analysen im SMB-Bericht basieren auf Daten von publizierten randomisierten Studien; für die von Herrn Prof. Dr. med. Recker erwähnten Daten fehlt leider die entsprechende Literaturreferenz.
– Der Autor hält fest, dass die seines Erachtens aussagekräftigste LAPPRO-Studie nicht in unsere Analyse einbezogen wurde. Dies ist richtig, haben wir uns doch ausschliesslich auf Daten von randomisierten Studien bezogen. Ob bei der Abwägung von Effizienz und Risiko einer Behandlung Daten von unkontrollierten, aber qualitativ hochwertigen Beobachtungsstudien ergänzend zu randomisierten klinischen Studien herangezogen werden sollen, ist tatsächlich immer wieder ein Thema, das auch im Expertenrat des SMB intensiv diskutiert wird, besteht doch bei nicht-randomisierten Studien immer das Risiko für das Auftreten von systematischen Störfaktoren («confounding factors» und «biases»), für die es teilweise schwierig bzw. unmöglich ist, eine statistische Korrektur durchzuführen. Die LAPPRO-Studie wird allerdings im Anhang des Berichtes des SMB-Assessment- Teams erwähnt (Seiten 185–186).
– Der Autor bemerkt, dass die Lernkurve für Aus­zubildende bei roboterassistierter laparoskopischer Prostatektomie kürzer sei im Vergleich zur offenen Operation. Dies ist ein berechtigtes Argument. Im SMB-Bericht wurde unter «Limitationen» explizit angesprochen, dass keine ausrei­chende Datenbasis bestand, um solche Aspek­te quantitativ zu berücksichtigen, umso mehr als diese von vielen verschiedenen Faktoren abhängen, wie z.B. Schulung, Zahl der assistierten Eingriffe und Qualitätsmonitoring.

Eine andere Frage steht im ­Vordergrund

Viel wichtiger als die Diskussion der oben erwähnten Punkte ist allerdings die grundlegende Frage, wo die Evidenzlast bei der Einführung neuer medizinischer Technologien liegen soll. Aktuell ist es, wie im vorliegenden Beispiel, häufig so, dass HTA-Gremien, Krankenversicherer, Regulatoren und alle anderen poten­ziell betroffenen Interessengruppen dazu aufgefordert sind, zu beweisen, dass die neue Technologie der herkömmlichen nicht unterlegen sei – und dies führt genau zu den oben erwähnten Debatten. Viel sinnvoller wäre es jedoch, wenn neue Technologien vor oder während ihrer Einführung von überzeugenden klinischen Studien begleitet würden, die die Evidenzlast bei den Innovatoren ansiedeln, wie dies ja zum Beispiel bei der Medikamentenentwicklung seit Langem der Fall ist. Da dem aber in der Praxis bei neuen medizinischen Technologien (noch) nicht so ist, bestehen meistens keine Datengrundlagen für solide evidenzbasierte Entscheide.

Fazit

Es sollte ernsthaft erwogen werden, dass medizintechnische Innovationen, soweit sie nicht schon bei ihrer Einführung medizinisch und gesundheitsökonomisch evidenzbasiert dokumentiert sind, spätestens ab dem Zeitpunkt der klinischen Einführung in prospektiven Registern mit vordefinierten Endpunkten begleitet werden. Somit könnten nach einigen Jahren, falls die nötigen randomisierten Studien immer noch nicht vorliegen, medizinisch und ökonomisch begründete Entscheide betreffend Wirksamkeit, Wirtschaftlichkeit und Risiko solcher Innovationen zumindest basierend auf gut dokumentierten, unabhängigen Registerdaten getroffen werden.
Prof. Christoph A. Meier
Swiss Medical Board
Stampfenbachstrasse 30
Postfach
CH-8090 Zürich
info[at]swissmedicalboard.ch
 1 Recker F. Roboterassistierte Prostatektomie – eine Auslege­ordnung. Schweiz Ärzteztg. 2019;100(31–32):1037–39.