Lob des Notfalldienstes
Kollege Henzi berichtet über die Last des Notfalldienstes, was mich veranlasst, Gedanken über die Lust des Notfalldienstes zu berichten, ein medizinisches Arbeitsfeld, interessant-spannend, das ich während vierzig Jahren beackerte, nicht aus ideologisch-ethischen Gründen, sondern als handwerkliche Bereicherung der Medizin.
Interessant-spannend, weil man am Nullpunkt der Koordinaten, «ab ovo» einer Krankheit mit dabei ist. Was jetzt zu tun ist, hic et nunc, was morgen. Eine Triage in «Alphüttenmedizin ohne Labor und Röntgen», welche vollen Einsatz des medizinischen Wissens und der Erfahrung bedarf.
Belanglose Bagatelle oder bedrohlicher Ernstfall? – was der Patient meist nicht beurteilen kann. Dabei hat der Hausarzt den Vorteil, seine Pappenheimer – frei nach Schiller – zu kennen, und kann bei Anruf zu Notfall vermuten, wie dringend die Situation ist.
Notfall empfand ich nie als lästige Störung des täglichen Fahrplans, sondern als Unterbruch der langweiligen Routine, nicht Belastung, sondern Abwechslung. Der Fahrplanwechsel wird von den terminbestellten Patienten gut toleriert: «Notfall … ah ja», besonders auch bei Agenda-Umstellung im grossen Stil, wegen Notfall-Hausgeburt.
Leitgedanke im Notfalldienst war mir immer das grosse Wort des unvergesslichen Prof. Wilhelm Löffler in Zürich: «Wie ziehe ich mich und den Patienten aus der Affäre», dabei habe man fünf Minuten Zeit: Wenn kürzer, denke der Patient, er überlegt nicht – wenn länger, er weiss es nicht.
Was früher kaum Erwähnung fand: die ökonomische Seite des Notfalldienstes. Ein Patient kommt notfallmässig wegen starker Bauchschmerzen: «Nein, das ist keine Blinddarmentzündung, die Spitaleinweisung erfordert.» Die NEIN-Diagnose im Notfalldienst ist enorm kostensparend, was von den Gesundheitsökonomen noch kaum beachtet wird.
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