Die Kosten sinken – und die Prämien?

FMH
Ausgabe
2019/37
DOI:
https://doi.org/10.4414/saez.2019.18179
Schweiz Ärzteztg. 2019;100(37):1211

Affiliations
Dr. med., Präsident der FMH

Publiziert am 10.09.2019

In den letzten Tagen fanden die spektakulären Nachrichten zu den Gesundheitskosten – die zuvor lange weitgehend unkommentiert blieben – etwas mehr Aufmerksamkeit: Welche spektakulären Neuigkeiten? Die mit Prämiengeldern finanzierten Gesundheits­leistungen der obligatorischen Krankenpflegeversicherung sind im Jahr 2018 erstmals seit Einführung des KVG gesunken – und zwar um 0,3% [1].
Während also der durchschnittliche Versicherte im Jahr 2018 seiner Krankenversicherung weniger Kosten verursachte als 2017, stiegen gleichzeitig seine Prämien um 3,6%. Dies, weil die Kostenprognose für 2018 – wie schon für das Vorjahr – deutlich zu hoch lag: Die Prämienmitteilung des Bundes hatte prognostiziert, dass die Standardprämie für 2018 wegen wachsender Gesundheitskosten um 4,0 Prozent steigen müsse [2]. Der grösste Krankenkassenverband pflichtete bei, dass diese Erhöhung in dem «von santésuisse aufgrund der Kostenentwicklung erwarteten Rahmen» liege [3]. Der Verband hatte sich zuvor auch dagegen ­gewehrt, absehbare Einsparungen bei der Prämienfestlegung zu berücksichtigen: santésuisse behauptete, dass die Ärzteschaft «Mindereinnahmen mit einer Mengenausweitung kompensieren» würde [4].
Die Zahlen zum Jahr 2018 widerlegen nicht nur die pessimistischen Kostenprognosen von Bund und santé­suisse, sie strafen auch einmal mehr diese oft wiederholte Anschuldigung Lügen: Obwohl immer mehr Behandlungen ambulant erfolgen – und damit die Bruttokosten des stationären Bereichs um 2,8% sanken [1] –, sanken die Bruttokosten der ambulanten Ärzte ebenfalls (–0,7%) [5]. Die Ärzteschaft hat also einen ­wesentlichen Beitrag zu dieser Kostendämpfung geleistet – was durchaus auch anerkannt werden könnte.
Es wäre jedoch zu kurz gegriffen, den Kostenrückgang deshalb auf den Tarifeingriff des Bundesrats zurückzuführen. Bereits 2017 – also vor seinem Eingriff – stiegen die Leistungskosten mit 2% deutlich unterdurchschnittlich und folgten damit einem langfristigen Trend in Richtung Kostendämpfung: Während in den ersten zehn Jahren nach Einführung des KVG (1997–2007) der durchschnittliche jährliche Zuwachs der Leistungskosten pro Versicherten noch 4,6% betrug, weist das BAG für die Jahre 2008 bis 2018 nur noch eine durchschnittliche Steigerung von 2,7% aus [1]. Damit unterbietet das Kostenwachstum der letzten zehn Jahre bereits heute die vom Bundesrat ab 2021 angestrebte «verbindlich vorgegebene Wachstumsrate von 3,3 Prozent» [6] und erfüllt sogar sein erst «für die zweite Fünfjahresperiode» ab 2026 vorgesehenes «Globalziel von 2,7 Prozent» [6, 7].
Schlagzeilen wie «Gesundheitskosten erstmals gesunken» oder «Sparziele im Gesundheitswesen bereits ­unterboten» suchte man dennoch lange vergebens in unserer Medienlandschaft. «Bad News» erhalten mehr Aufmerksamkeit und sind für die Medien besonders attraktiv. Dies nutzen diejenigen Akteure, für welche «Bad News» ein nützliches Vehikel sind: Wie könnten Krankenversicherer ihre politischen Forderungen besser einbringen als mit der Androhung erheblicher Prämiensteigerungen? Wie liesse sich umfangreiche staatliche Regulierung und Budgetierung einfordern, wenn nicht mit der Ansage einer «Kostenexplosion»? Wie könnte man besser für eine «Kostenbremse» mobilisieren als mit einem angeblich bevorstehenden «finan­ziellen Kollaps» [8] des Gesundheitswesens?
Wer Positives berichtet, macht sich zudem verdächtig, Probleme relativieren zu wollen. Natürlich dürfen Verbesserungen nicht den Blick auf das verstellen, was es weiter zu verbessern gilt. Lösungen verlangen jedoch differenzierte Betrachtungen, wie wir sie auf Seite 1212 beisteuern. Wer sich der Bevölkerung als Retter präsentieren möchte, wer mehr politische Einflussnahme sucht, muss hingegen Bedrohliches betonen, vor dem er uns schützen kann. Positives über Kostendämpfung nützt solchen Interessen nicht – dafür umso mehr den Prämienzahlern.