Feedback als Qualitätsinstrument

FMH
Ausgabe
2019/40
DOI:
https://doi.org/10.4414/saez.2019.18241
Schweiz Ärzteztg. 2019;100(40):1326-1328

Affiliations
a Prof. Dr. phil., Direktorin Hochschule für Angewandte Psychologie FHNW, Fachhochschule Nordwestschweiz
b Dr. med., ehem. Mitglied Steuerungsausschuss SAQM, ehem. Präsident der Kommission Qualität von SGAIM und mfe

Publiziert am 02.10.2019

Der Qualitätsentwicklung im Gesundheitswesen kommt eine wachsende Be­deutung zu, um die Qualität systematisch zu verbessern oder bei begrenzten ­Ressourcen aufrechtzuerhalten. Zentral dafür ist Feedback als integraler Bestandteil des sogenannten PDSA-Zyklus, auf dem viele Qualitätsmanagementkonzepte aufbauen. Wesentlich ist dabei, dass der Inhalt und die Form des Feedbacks von den relevanten Akteuren akzeptiert werden.
Lernen und Entwicklung, aber auch die konsistente ­Erbringung optimaler Resultate sind ohne Feedback unmöglich. Dies weiss jede Spitzensportlerin, jeder Konzertpianist und eigentlich jede und jeder von uns von Kindesbeinen an. Und dies gilt auch im Gesundheitswesen. Ein eindrückliches Beispiel hierfür liefert eine Studie zu Teams in der Herzchirurgie, die die Komplikationsrate beim Umstieg auf ein neues operatives Verfahren schneller senkten, wenn die Teammitglieder offen Rückmeldung gaben und dies auch explizit gewünscht bzw. die Teammitglieder hierzu aufgefordert waren [1]. In diesem Beispiel haben die erfolgreichen Teams selbst leistungsrelevante Indikatoren entwickelt, gezielte Veränderungen im Prozess ausprobiert und auf ihre Effektivität hin analysiert und vor allem eine offene Feedbackkultur explizit eingefordert und gelebt. Ohne Feedback keine Entwicklung; oder zumindest geht das Lernen wesentlich länger.

Feedback als zentrales Element der Qualitätsentwicklung

Die Feedbackkomponente ist es, was Qualitätsentwicklung im Kern ausmacht – oder zumindest ausmachen sollte. Die meisten Qualitätsmanagementkonzepte wie zum Beispiel the model for improvement [2], Lean [3], Six Sigma [4] und Total Quality Management [5] basieren auf dem Grundgedanken eines iterativen Regelkreises, in dem ein Ist-Zustand mit einem Soll-Zustand verglichen wird, bei Abweichungen entsprechend steuernd eingegriffen wird und wiederum ein Abgleich des mit diesen Veränderungen erzielten Ist-­Zustands mit dem Soll-Zustand erfolgt. Im Gesundheitswesen hat sich angepasst aus anderen Branchen der sogenannte PDSA-Zyklus etabliert [6], der eine ­iterative Abfolge von Plan, Do, Study, Act vorsieht und beispielsweise die Grundlage der Qualitätsarbeit in Qualitätszirkeln (s. Box 1), aber auch für grösser an­gelegte Qualitätsentwicklungsprozesse (z.B. auf nationaler Ebene) bildet.

Der PDSA-Zyklus

Das Ziel des PDSA-Zyklus besteht darin, schnellst­möglich zu lernen, ob eine Intervention in einem ­spezifischen Setting die erwünschte Wirkung entfaltet, und falls nicht, entsprechende Anpassungen vorzunehmen, um den angestrebten Effekt zu erzielen und aufrechtzuerhalten. Der PDSA-Zyklus zielt also auf ­Lernen ab, nicht auf spezifische Outcomes.

Box 1: Beispiel der Arbeit in einem hausärztlichen ­Qualitätszirkel orientiert am PDSA-Zyklus

In einer Falldiskussion stellen wir fest, dass wir Urinuntersuchungen unterschiedlich handhaben. Einige stützen sich diagnostisch auf Teststreifen ab, andere machen oft Sediment­analysen, weitere machen bakteriologische Untersuchungen. Die Unterschiede sind so gross, dass nicht alles gemäss Lehre richtig sein kann.
Im nächsten Schritt beschäftigen wir uns mit dem Stellenwert der Streifentests: Diese dienen dem Screening, nicht der Diagnose. Das heisst, möglichst keine falsch negativen Resultate unter Inkaufnahme von falsch positiven, weshalb positive Befunde mit einer anderen Methode validiert werden sollten. Dem stehen Aufwand und Kosten gegenüber. Nach eingehender Analyse und Diskussion wird klar, dass die Klinik einbezogen werden muss, mit Geschlecht und Alter, Beschwerden der Patienten, Häufigkeit des Auftretens und spezifischer Situation (was in den Leitlinien in der Regel einbezogen ist).
Schlussfolgerung: Einige machen viele Zusatzuntersuchungen und nehmen den Aufwand in Kauf, andere zu wenige, was zu einer grösseren Diskrepanz führt. Die Klinik definiert, wo die Zusatzuntersuchungen in jedem Fall angezeigt sind.
In einer späteren Wiederaufnahme der Diskussion zeigt sich, dass sich die Strategie in den einzelnen Praxen stark angeglichen haben.
In diesem Regelkreis ist jedoch nicht verankert, wozu und in welcher Form ein Feedback erfolgt. Die spezi­fischen Indikatoren, Feedbackmechanismen sowie der Zeitpunkt, zu dem ein Feedback erfolgt, sind wesentlich für das Optimierungspotenzial.

Feedback wozu?

Folgt man der Logik des PDSA-Zyklus, bezieht sich Feedback generell auf eine Abweichung vom Soll-­Zustand. Zum einen ist also der Soll-Zustand inklusive geeigneter Indikatoren(sets) zu dessen Messung zu ­definieren. Zum anderen ist festzulegen, was eine ­relevante «Abweichung» charakterisiert.
Instrumente der Qualitätsentwicklung im Gesundheitswesen zielen auf eine Versorgung ab, die sicher, rechtzeitig, effektiv, effizient und gerecht ist (insbesondere hinsichtlich des Zugangs zu Versorgung) und eine positive Kosten-Nutzen-Relation aufweist. Über die Definition jedes dieser Zielkriterien lässt sich trefflich streiten, und die Vergangenheit hat gezeigt, dass bereits die Entwicklung der Indikatorensets zur Messung von Qualität im Gesundheitswesen ohne Feedback aus der Praxis ins Leere läuft bzw. in der Anwendung schlussendlich keine Akzeptanz findet.
Relevante Abweichungen können sowohl in positiven als auch in negativen Abweichungen vom Soll-Zustand bestehen. Meist werden nur negative Abweichungen rückgemeldet und isoliert betrachtet. Der Kontext ist jedoch wesentlich, wenn aus der Abweichung gelernt werden soll. Handelt es sich um eine einmalige Abweichung, hat sich ein Trend in diese Richtung abgezeichnet, oder ist ein zeitliches Muster erkennbar? Haben sich die Rahmenbedingungen verändert oder gab es konkurrenzierende Ziele, zu deren Gunsten Ressourcen verschoben wurden? Ohne solche Zusatzinformation ist eine einzelne Abweichung oft nicht interpretierbar.
Lernpotenzial bieten jedoch auch Fälle, in denen das Ziel übertroffen wurde oder über lange Zeit keine relevanten Abweichungen auftraten. Was läuft in diesen Abteilungen anders, dass konsistent positive Abweichungen stattfinden? Geht dies vielleicht zu Lasten ­anderer Ziele (z.B. Effizienz auf Kosten der Sicherheit), oder hat sich hier etwas etabliert, das andere im Sinne von Best Practice übernehmen könnten? In der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Sicherheit in verschiedenen Industrien hat sich zudem gezeigt, dass in Organisationen, denen es über einen langen Zeitraum gelingt, ihre Leistung zuverlässig ohne relevante Abweichungen zu erbringen, nicht nur mechanisch ­bestimmte Guidelines und Protokolle abgearbeitet werden, sondern dass diese Organisationen einen ­Fokus auf Lernen und Verbesserung legen.

Verschiedene Formen von Feedback

Im Gesundheitswesen hat sich eine Vielzahl von Feedback-Mechanismen etabliert. Vielfach wird hierbei auf quantitative Indikatoren gesetzt, die aus ­Routinedaten gezogen und in regelmässigen Intervallen rückgemeldet werden. Nicht immer sind hierbei die Merkmale effektiven Feedbacks gegeben: dass das Feedback spezifisch sein sollte, an den korrekten Adressaten gerichtet (der die entsprechenden Veränderungen vornehmen kann) und zeitnah erfolgen sollte. Entsprechend ist zu überlegen, welche zusätzlichen Quellen von Feedback genutzt werden können, um in rascheren Zyklen zu lernen oder evtl. sogar unmittelbar in einem laufenden Prozess Anpassungen vorzunehmen.
In der Literatur zu Patientensicherheit wird zunehmend die Bedeutung des Feedbacks von Kolleginnen und Kollegen, aber auch Patientinnen und Patienten zu sicherheitsrelevanten Bedenken unter dem Label «Speaking Up» diskutiert [1]. Situationen, in denen Personen Sicherheits-Checks auslassen oder umgehen, Warnhinweise oder Alarme übergehen, sicher­heits­relevante Regeln nicht einhalten oder umgehen, sich riskant verhalten, Fehler machen oder möglicherweise im Begriff sind, einen Fehler zu machen, wären alles hervorragende Anlässe für Feedback. Leider besteht in diesen Situationen jedoch oft Unsicherheit, wie man sich dazu positioniert und verhält. Wie und wann ­äussert man Sicherheitsbedenken («das ungute Gefühl») so, dass die andere Person das auch annehmen kann? Dies führt dazu, dass bekannte Schwachpunkte oft nicht thematisiert werden [7] – zumindest nicht mit den relevanten Akteuren. Da Feedback in unserer Gesellschaft nicht immer positiv besetzt ist und oft mit Kritik an der Person gleichgesetzt wird, fällt es schwer, einander Feedback zu geben. Damit reduzieren sich nicht nur die Lernchancen, sondern auch die Chance, einen potenziell unsicheren Prozess zu stoppen und damit sowohl Kollegen als auch Patienten zu schützen.

Innovation Qualité: der Preis für ­Qualitätspioniere

Innovation Qualité heisst der Preis der Schweizerischen Akademie für Qualität in der Medizin der FMH. Die SAQM prämiert ­damit Qualitätsprojekte aus dem Schweizer Gesundheitswesen, die sich in der Praxis bewährt haben, und verschafft der Fachdiskussion zukunftsweisende Impulse. Die Preiskategorien Feedback als Qualitätsinstrument und Patientensicherheit sind mit je 15 000 Franken, die Kategorie Ärzteorganisationen mit 10 000 Franken dotiert. Bewerben Sie sich noch heute mit Ihrem Projekt für die Innovation Qualité! Anmeldeschluss ist der 9. Dezember 2019, die Preisverleihung findet am 30. April 2020 in Bern statt. Weitere Informationen finden Sie auf: www.innovationqualite.ch
Prof. Dr. Tanja Manser
Fachhochschule Nordwestschweiz
Hochschule für Angewandte
Psychologie FHNW
Riggenbachstrasse 16
CH-4600 Olten
tanja.manser[at]fhnw.ch
1 Edmondson AC. Speaking up in the operating room: How team leaders promote learning in interdisciplinary action teams. J Manag Stud. 2003;40(6):1419–52.
2 Langley GJ, Moen R, Nolan KM, et al. The improvement guide: a practical approach to enhancing organizational performance. San Francisco: Jossey-Bass; 2009.
3 Toussaint JS, Berry LL. The promise of Lean in health care. Mayo Clin Proc. 2013;88(1):74–82.
4 Schroeder RG, Linderman K, Liedtke C, Choo AS. Six Sigma: Definition and underlying theory. J Oper Manag. 2008;26(4):536–54.
5 Brannan KM. Total quality in health care. Hosp Mater Manage Q. 1998;19(4):1–8.
6 Reed JE, Card AJ. The problem with Plan-Do-Study-Act cycles. BMJ Qual Saf. 2016;25(3):147–52.
7 Maxfield D, Grenny J, McMillan R. Silence kills: the seven crucial conversations in healthcare. 2005; available at: www.silencekills.com/UPDL/SilenceKillsExecSummary.pdf