Ein herzlicher Empfang

Tribüne
Ausgabe
2019/48
DOI:
https://doi.org/10.4414/saez.2019.18303
Schweiz Ärzteztg. 2019;100(48):1630-1631

Affiliations
Freischaffender Journalist

Publiziert am 26.11.2019

Rund ein Drittel der Ärztinnen und Ärzte in der Schweiz kommt aus dem Ausland. Weshalb haben sie sich für ein Leben hierzulande entschieden? Welches sind kulturelle Stolpersteine, die es zu umschiffen gilt? Und was halten sie von der Schweizer Gesundheitspolitik? Diesen und weiteren Fragen möchten wir in der neuen, in loser Folge erscheinenden Artikelserie «Grüezi Schweiz» nachgehen. In dieser Ausgabe stellen wir den Allgemeinmediziner und Kardiologen Adam Tageldin vor. Im Sudan aufgewachsen, hat er sich nach einer Ärztelaufbahn in Deutschland 2018 in der Schweiz niedergelassen.
Adam Tageldin kam nicht mehr aus dem Staunen. Der damals 14-jährige Gymnasiast stand an einer Strasse in der sudanesischen Hauptstadt Khartum. Über ihm hing an einem Haus das Schild einer Arztpraxis, auf dem stand: «Jeden Donnerstag kostenlose Behandlung». Das werde ich auch so machen, wenn ich einmal Arzt bin, dachte er – damit auch ärmere Menschen wieder gesund werden können. Dass er Arzt werden will, war für Adam Tageldin schon klar. Seine Begeisterung für die Medizin rührte von den Ärztinnen und Ärzten, die regelmässig in sein Dorf kamen, um die Kinder zu impfen. Als Jugendlicher half er freiwillig mit und wies den aus der Stadt anreisenden Ärzten den Weg in der ihnen unvertrauten Provinz Darfur.
Hat nie schlechte Erfahrungen gemacht bei seiner Integration in die Schweiz: Adam ­Tageldin, seit Frühling 2018 Allgemeinmediziner und Kardiologe in Egg bei Zürich.

Per Stipendium in die DDR

Mit der Aufnahmeprüfung für einen der wenigen Studienplätze in Medizin in Khartum klappte es nach dem Gymnasium allerdings nicht. Dafür erhielt er ein staatliches Stipendium, um im Ausland studieren zu können. So kam er 1988 nach Jena in die damalige DDR. Eine fremde Welt, in der er sich erst zurechtfinden musste – unter anderem mit einem Deutsch-Intensivkurs. Ein Jahr später erlebte er den Fall der Berliner Mauer hautnah mit. Für ihn persönlich änderte sich wenig: Zielstrebig schloss er sein Studium ab und war anschliessend in verschiedenen Spitälern im wiedervereinigten Deutschland als Assistenzarzt tätig. Dabei war für ihn klar, dass er nach dem Facharzttitel in den Sudan zurückkehren und dort als Arzt den Menschen helfen wollte.
Es sollte anders kommen. Zwar wurde Adam Tageldin Facharzt für Innere Medizin und kehrte 2005 nach Darfur zurück. Aber er fand das Grauen vor: Bürgerkrieg, zerstörte Dörfer, Massaker an der Zivilbevölkerung. «Nach zwei Monaten musste ich zu meiner eigenen Sicherheit fliehen», erzählt er. Er kehrte nach Deutschland zurück, bildete sich weiter, erwarb unter anderem den Facharzttitel Kardiologie und war als Oberarzt an verschiedenen Spitälern tätig.

Kein Bedarf an Kardiologen

Mit seiner Frau und den Kindern lebte er in Frankfurt am Main. Als er sich dort mit einer kardiologischen Praxis niederlassen wollte, merkte er, dass dies wegen eines Überangebots nicht möglich ist: «Da riet mir ein befreundeter sudanesischer Psychiater, es ihm gleichzutun und mich in der Schweiz niederzulassen.» Adam Tageldin kannte das Land von einigen Weiterbil­dungen und wusste um den Ärztemangel und das gute Gesundheitswesen.
Dann geht es Schlag auf Schlag. Er besucht einen Kurs, der ihn auf die Eröffnung einer Arztpraxis in der Schweiz vorbereitet, und meldet sich auf drei ausgeschriebene Praxen, für die eine Nachfolge gesucht wird – in Chur, Bülach und Egg bei Zürich. Im Mai 2018 zieht Adam Tageldin ins 8600-Einwohner-Dorf Egg. «Der administrative Aufwand war gross», blickt er auf die Praxisübernahme zurück. Nach drei Monaten hat er alle nötigen Papiere und Bewilligungen zusammen. Weil die Praxis seines Vorgängers klein ist, mietet er neue Räumlichkeiten, die er sich mit einem Internisten teilt.

Aktive Integration

Von Anfang an bemüht er sich um die Integration im Dorf, schickt etwa der Lokalzeitung einen Text, um sich vorzustellen. Seine Praxis ist rasch gut besucht. Sowohl die Patientinnen und Patienten seines Vorgängers wie auch neue Patienten suchen ihn auf. Die Bevölkerung schätzt seine vielfältige Ausbildung – plötzlich gibt es einen Kardiologen im Dorf, und die Reise nach Zürich erübrigt sich. Schnell schliesst er Freundschafen im Dorf. Soeben ist er dem lokalen Gewerbeverein beigetreten und bereits angefragt für Referate zu Gesundheitsthemen.
«Auch mit dem Schweizerdeutschen klappt es schon sehr gut», erzählt er lachend. Sobald auch seine Frau mit den Kindern von Frankfurt nach Egg umzieht, will er mit ihr noch einen Schweizerdeutsch-Kurs besuchen – und für seine Patienten zudem Italienisch lernen. Vorerst ist er noch auf der Suche nach einem Wohnhaus in Egg. Dabei darf er auf tatkräftige Mithilfe zählen: «Ich habe mehrere Patienten, die mir E-Mails mit interessanten Objekten schicken.»
Seine dunkle Hautfarbe ist in der Schweiz ebenso wenig ein Thema, wie sie es zuvor in Deutschland jemals war. «Ich habe nie schlechte Erfahrungen gemacht», sagt Tageldin. Die Offenheit, mit der er empfangen wird, kommt nicht von ungefähr. Adam Tageldin ist es selber wichtig, den Menschen herzlich zu begegnen. Das heisst vor allem auch: zuhören. «Man weiss ja, dass dies an sich schon heilsam ist», sagt er. Und wer den Menschen herzlich begegne, werde diese Herzlichkeit ebenfalls geschenkt bekommen, so seine Erfahrung.

Hoffnung für Sudan

Die Begeisterung für die Schweiz ist bei Adam Tageldin deutlich spürbar. Er mag die multikulturelle, sprach­liche Vielfalt des Landes und freut sich darauf, in den Alpen wandern zu gehen, sobald er Zeit dazu findet. Das Gesundheitssystem der Schweiz erlebt er als hervorragend. Vor allem schätzt er die Kommunikation, die viel ausgeprägter sei als in Deutschland, sowohl die Kommunikation zwischen den Ärzten – etwa in Ärztenetzen – wie auch diejenige zwischen Ärzten und Spitälern.
Gibt es auch etwas, was die Schweiz vom Ausland lernen kann? Adam Tageldin winkt ab – da wüsste er nichts. Die Situation sei derart anders als etwa in seinem Heimatland Sudan. Diesbezüglich allerdings hat er Hoffnung: Die neue Regierung wolle weniger Geld ins Militär und mehr ins Gesundheitswesen investieren. Er hofft, dass der Sudan es der Schweiz gleichtut und die Gesundheitsversorgung dezentraler gestaltet. Zu oft müssten Patientinnen und Patienten bisher stundenlang in die Provinzhauptstädte reisen, um sich behandeln zu lassen. «Nicht selten kommen sie völlig erschöpft und schon im Endstadium einer Erkrankung dort an und versterben kurz danach», erzählt er.
Adam Tageldin will mithelfen, die medizinische Infrastruktur in ländlichen Gebieten aufzubauen. Deshalb hängt am Haus seiner Praxis heute kein Schild «Am Donnerstag kostenlose Behandlung», wie er sich das als Jugendlicher vorgestellt hatte. «Mit der obligatorischen Krankenversicherung ist das in der Schweiz auch nicht nötig», sagt er. Aber er will eine Hilfsorganisation gründen und einen Teil seines Einkommens und zusätzliche Spenden dafür einsetzen, ländliche Gesundheitsstationen mitzufinanzieren. Damit in Zukunft auch im Sudan die Medizin für alle zugänglich ist.
Für unsere Serie «Grüezi Schweiz» suchen wir ausländische Ärztinnen und Ärzte, die uns einen Einblick in ihr Leben und ihren Berufsalltag gewähren. Wir freuen uns über eine Kontaktaufnahme: mscholer[at]emh.ch
adrianritter[at]gmx.ch