Gatterwäng

Zu guter Letzt
Ausgabe
2019/48
DOI:
https://doi.org/10.4414/saez.2019.18323
Schweiz Ärzteztg. 2019;100(48):1642

Affiliations
Dr. med., ehemaliger medizinischer Chefarzt Spital Wetzikon, Mitglied FMH

Publiziert am 26.11.2019

Schmeichelhaft, wie in Frankreich die 80-jährigen Jubilare zu 4 × 20 (quatre-vingt) verjüngt werden. Schon den 70. Geburtstag beschönigen dort Messieurs Dames mit soixante-dix, während unsere welschen Senioren aufrichtiger gestehen, dass sie schon septante auf dem Buckel haben.
Das «gatterwäng» stammt aus jener Zeit, als Obelix und seine Gallier nur bis 20 zählen konnten, wozu sie alle ihre Finger und Zehen gebrauchten. Beide Hände und Füsse ergaben zusammen 20, und eben 80, wenn vier Männer zusammensassen. Gatterwäng.
Wenn sich heute 25 Achtzigjährige an ihrem Klassentreffen zum Erinnerungsbild sammeln, verkörpern sie gemeinsam volle 2000 Jahre Lebenserfahrung, ganze zwei Jahrtausende post christum natum. Ein Jahr ­bedeutet für sie nur noch 1,25% ihrer ganzen Lebenszeit. Ihr 4-jähriger Enkel muss hingegen einen Viertel seines bisherigen Daseins abwarten, bis er wieder ­Geburtstagskerzen ausblasen darf. Darum wartet der Kleine unendlich lange auf den nächsten Geburtstag, während der Grossvater das Gefühl hat, schon nach wenigen Monaten wieder ein Jahr älter ­geworden zu sein. Seine müden Augen und Ohren ­melden ihm, dass die Vögel immer schneller vorbeifliegen und die jungen Leute viel zu rasch und zu leise sprechen ...
Trendig wäre es, den persönlichen Lebenszeit-Zähler immer wieder neu zu starten, so wie den manipulierten Kilometerzähler eines Oldtimers. Man kann heute alle Revisionen (Hüftgelenke, Stents, Augenlinsen, Zahnimplantate) mit anderen Gesundheitsdaten auf einem Chip festhalten, der subkutan platziert wird. «Es geht mir unter die Haut» hat damit einen ganz neuen Sinn bekommen. Noch wird darauf verzichtet, auch das persönliche Verfalldatum hinter dem linken Ohr mit einem QR-Code einzutätowieren.
Auf die Geburtstagstorte lassen sich keine 80 Kerzen stecken, auch nicht, wenn sie fast so dünn wie Zahnstocher sind. Deshalb könnten wie beim Mikadospiel verschiedenfarbige Kerzen höhere Zahlen symbolisieren, z.B. rot = 50, blau = 20, grün = 10, gelb = 5 Jahre. Anschaulich wäre auch eine einzige dicke Kerze mit Jahrringen, auf der biographisch wichtige Daten durch farbige Stecknadeln oder Fähnchen markiert würden.
Senioren betreiben als Autofahrer ein tägliches Hirntraining und halten ihre Reflexe wach. Viele brauchen auch in höherem Alter zumindest am Lenkrad keinen Steuerberater, zumal in modernen Wagen viele Funk­tionen automatisiert sind. Kuppeln und Zwischengas sind schon im letzten Jahrhundert dem linken Fuss abgenommen worden, und längst gibt es Servolenkung, Parkierhilfen, Tempomat und GPS und bald einmal selbstfahrende Elektromobile.
Nur der eigene Body verhält sich zusehends wie ein ­altes, starrläufiges Militärfahrrad, das uns mit vielen Ersatzteilen und nur dank täglichem Salben ermöglicht, auf dem knarrenden Sattel noch einige Zusatzrunden zu wagen. Wer sich geistig und körperlich durch regelmässiges Training fit und buschper hält, ist aber selber schuld, wenn er in den überfüllten ­Wagen des ÖV 20 Jahre jünger eingeschätzt wird und als Turbogreis von den an ihrem Handy klebenden ­jungen Girls keinen Sitzplatz angeboten erhält. Gatterwäng!
Hoffen wir, dass uns allen in der Nachspielzeit des ­Lebens möglichst lange keine gelbe oder gar rote Karte gezeigt wird. Happy Birthday!
Dr. med. Bernhard Gurtner
Eggstrasse 76
CH-8620 Wetzikon
gurtner.bernhard[at]bluewin.ch