Unwesentliche Meinungsverschiedenheit

Briefe / Mitteilungen
Ausgabe
2019/44
DOI:
https://doi.org/10.4414/saez.2019.18334
Schweiz Ärzteztg. 2019;100(44):1458

Publiziert am 29.10.2019

Unwesentliche Meinungs­verschiedenheit

Sehr geehrte Frau Kind, sehr geehrte Herren Kollegen Beck und Bruggmann
lhre Replik weckt den Eindruck, unser Artikel «Harm reduction – keine wirksame Strategie zur Tabakbekämpfung» [1] stehe im Widerspruch zu Ihrer Auffassung von harm ­reduction. Die Meinungsverschiedenheit scheint mir definitorisch, unwesentlich.
Seit es E-Zigaretten gibt, wird «Schadensminderung» von ihren Promotoren als DAS ARGUMENT verwendet. Die Industrie prägte dazu den Begriff «potentially reduced risk products, PRRPs», die ihr Tabakgeschäft in Zukunft ersetzen sollen. Damit zielt sie darauf, unser Parlament davon zu überzeugen, diese Produkte im Tabakproduktegesetz weniger strengen Regeln zu unterwerfen, als was für die Partnerstaaten der WHO – Rahmenkonvention (FCTC) – verpflichtend ist: dass Werbe-, Promotions- und Sponsoringverbote für Tabak- und Nikotinprodukte «umfassend» sein müssen, damit deren Lücken nicht ­erlauben, die Präventionsbemühungen zu ­unterwandern (Art. 5.3 der FCTC). Denn die kommerzielle Logik des Tabak- und Nikotingeschäftes gründet sich auf folgende Fakten: 1. Es beruht auf der Nikotinsucht der Kunden. 2. Um «Nicht-mehr-Kunden» (Kranke, Gestorbene, Ex-Raucher) zu ersetzen, müssen Junge in die Nikotinsucht rekrutiert werden. 3. Neurekrutierung von Kunden ist ohne Publikumswerbung und Promotion nicht möglich. Diese besteht aber in der Banalisierung der Nikotinsucht. Von Promotoren der PRRPs und in­strumentalisierten Experten wird zwar beteuert, dass sie ausschliesslich Rauchern/-innen helfen wollen, vom Tabak frei zu werden; diese Behauptung aus dem Munde der Indus­trie kann aber unmöglich ehrlich gemeint sein. Denn das würde bedeuten, dass Markt und ­Geschäft in einer Generation austrocknen ­werden.
Die instrumentalisierte «Schadensminderung» ist nicht, was Sie in Ihrem Artikel ­beschreiben. Sie, wie auch wir, nehmen an, dass sehr abhängige Raucher/-innen, die sich (noch) nicht vom Tabakrauchen befreien können, sich mit dem ausschliesslichen Gebrauch von E-Zigaretten weniger schaden. (Wobei das Ausmass X dieser Schadensminderung mit keinerlei Daten belegt ist.) Diese individuelle Schadensminderung bedarf keiner Publikumswerbung und Promotion; Beratung durch Sucht-, Rauchstoppexperten oder im Spezialgeschäft genügt. Denn die Regulierung des Tabak- und Nikotinmarktes kann den Jugendschutz nicht allein mit einem Verkaufsverbot an Jugendliche umsetzen; dieses bedingt auch ein lückenloses Werbeverbot. Die PR-Botschaft «Nichts für Junge, aber weniger riskanter Lifestylegenuss für mündige Raucher!» ist die wirksamste Strategie der Drogenhändler, um Junge anzufixen und damit die Schar ihrer Kunden zu erweitern.
Wie absolut zentral Verbote von Werbung, Promotion und Sponsoring für Drogen sind, wird augenfällig, wenn man die Investitionen der Tabakindustrie in die E-Zigarette JUUL und in das Cannabisgeschäft betrachtet, die sich dadurch einen saftigen Ersatzmarkt erhofft. Aber auch Schweizer Hanfbauern, Cannabishändler sowie CBD- und THC-Extrakte-mischer scheinen mit der «Legalisierung» der Pflanze boomende Geschäfte zu wittern. Die aber, wie der Tabak, zu einem Problem der ­öffentlichen Gesundheit werden, wenn den Geschäftemachern nicht ein gesetzlicher Jugendschutz Schranken setzt, der als zentrales Element gemäss FCTC umfassende Verbote von Werbung, Promotion und Sponsoring umfassen muss.