Wenn die Morgenröte lila ist

Organisationen der Ärzteschaft
Ausgabe
2019/46
DOI:
https://doi.org/10.4414/saez.2019.18339
Schweiz Ärzteztg. 2019;100(46):1533-1534

Affiliations
Leiter Politik und Kommunikation / stv. Geschäftsführer Verband Schweizerischer Assistenz- und Oberärztinnen und -ärzte (VSAO)

Publiziert am 13.11.2019

Der Frauenstreik vom 14. Juni mobilisierte die Massen. Mit einem Antrag hatte der VSAO das Thema frühzeitig in der FMH lanciert, welche in der Folge die Anliegen der Frauen unterstützte. Denn Gleichstellung und Chancengleichheit sind auch für Ärztinnen noch immer nicht die Regel. Nach der breiten Solidarisierung braucht es nun aber mehr Massnahmen.
Unter dem Motto «Wenn Frau will, steht alles still» nahmen am 14. Juni 1991 in der Schweiz Hunderttausende an Protest- und Streikaktionen teil. Auslöser war das 10-Jahr-Jubiläum des Gleichberechtigungsartikels in der Bundesverfassung. Der Schweizerische Gewerkschaftsbund (SGB) hatte zum Protest gegen dessen zögerliche Umsetzung und anhaltende Ungleichheiten in Gesellschaft, Wirtschaft und Politik aufgerufen. Quer durchs Land beteiligten sich (vor ­allem) Frauen an Manifestationen und tauchten Strassen und Plätze in ein Meer aus lila Farbe.
Ein Tag nicht ohne Konsequenzen. So trat zum Beispiel 1996 das Gesetz über die Gleichstellung von Männern und Frauen in Kraft. Es stellte Regeln für die Umsetzung des Gleichstellungsartikels auf und enthielt ein Verbot der sexuellen Belästigung am Arbeitsplatz. Vieles liegt jedoch nach wie vor im Argen – der Anstoss zum neuen Frauenstreiktag vom vergangenen 14. Juni. Wer an diesem Tag zwischen Genf und Bodensee oder Basel und Chiasso unterwegs war, hätte vielerorts erneut meinen können, zu den offiziellen Landesfarben Weiss und Rot sei nun Lila dazugekommen. Gemäs­s Schätzungen verzeichneten die Anlässe wiederum mehrere hunderttausend Teilnehmende. So sprach etwa der SGB im Nachgang von deutlich über 500 000 Personen.
Frauenanliegen erleben seit dem nationalen Protesttag im Sommer eine neue Morgenröte. Dazu beigetragen hat auch der VSAO mit seinem Ansteckknopf, von dem mehr als 17 000 Exemplare verteilt wurden. (Bild: VSAO)

VSAO in Vorreiterrolle

Gleichstellung und Chancengleichheit sind auch für Ärztinnen noch immer nicht selbstverständlich. Zwar bilden sie laut der FMH-Ärztestatistik 2018 bei den ­unter 45-jährigen Berufsangehörigen bereits die Mehrheit – und erst recht bei den Medizinstudierenden. Auf den Ebenen leitende und Chefärzte hingegen ­zählen sie mit Anteilen von 24,5 bzw. 12,4 Prozent weiterhin meist zu den Ausnahmen. «An der Delegiertenversammlung der FMH haben wir deshalb be­antragt, dass sich die gesamte Ärzteschaft ­hinter die An­liegen des Frauenstreiks stellt», berichtet VSAO-Prä­sidentin Anja Zyska. Mit Erfolg: Der Vorstoss wurde ohne Gegenstimme gutgeheissen.
Doch der Verband liess es nicht bei Worten bewenden. So liess er für den Streiktag einen Ansteckknopf (siehe Bild) produzieren und verteilen. Über 17 000 Stück gingen weg, vor allem in Kli­niken. Diverse Sektionen machten mit eigenen Aktionen auf die Situation der Ärztinnen aufmerksam. Dazu zählten eine Videoproduktion über Teilzeit­arbeit, die (Mit-)Organisation, ­Unterstützung und Teilnahme an lokalen Veranstaltungen/Ständen sowie Newsletter, Flyer und Umfragen. Und die Sektion Zürich hat im Nachgang überdies einen Forderungskatalog an die Adresse der Zürcher Spitäler publiziert.

Ein wichtiger Schlüssel heisst Teilzeit

VSAO und FMH publizierten zudem eine gemeinsame Medienmitteilung. «Darin verlangen wir zeitgemässe Arbeitsbedingungen», sagt Anja Zyska. «Das heisst, dass die Vereinbarkeit von Beruf, Familie und Freizeit zu garantieren ist, vor allem durch regelmässige Einsatzzeiten, Teilzeitstellen, betriebsnahe Kinderkrippen mit langen Öffnungszeiten oder Flexibilität beim Arbeitspensum.»
Sarina Keller, ab Anfang Dezember Leiterin Weitbildung und Recht, führt aus, wie sich der VSAO selber engagiert: «Wir entwickeln im Projekt Förderung Teilzeit massgeschneiderte Lösungen für Kliniken, damit diese vermehrt reduzierte Pensen anbieten. Daneben planen wir ein Konzept zur Förderung der Gleichstellung in der Weiterbildung, unter anderem durch Teilzeitangebote, und befassen uns mit dem Arztbild der Zukunft. Schliesslich wird dieses immer mehr von Frauen geprägt.»
Bereits seit Langem etabliert sind die Mitgliederberatung bzw. Massnahmen zu Fragen der Diskriminierung, vor allem rund um befristete Arbeitsverträge, Schwangerschaft und Mutterschutz, ein kostenloses Telefon­coaching mit der Fachstelle UND sowie – gemeinsam mit anderen Ärzteorganisationen – das Nachwuchs-Mentoringprogramm «Coach my Career». Im Weiteren zeigt der VSAO immer wieder Flagge bei sozialpolitischen Vorstössen, zum Beispiel mit der Unterstützung der Volksinitiative für einen Vaterschaftsurlaub. Demnächst wird er seine Haltung zum Thema Elternzeit und zu den politischen Bestrebungen in diese Richtung beraten.
«Nicht zuletzt muss aber die administrative Belastung sinken, wie wir es mit unserer Kampagne ‘Medizin statt Bürokratie!’ verlangen und anhand von kon­kreten Beispielen auch Lösungen dafür aufzeigen», ergänzt Sarina Keller. «Das würde die Attraktivität des Arztberufs steigern und zugleich die Kosten senken.» Im nächsten Jahr schliesslich ist die dritte grosse Mitglieder­umfrage zu Arbeitszeiten/Arbeitsbelastung ­geplant. Dabei sollen Fragen rund um die Anliegen des Frauenstreiks einfliessen.

Das Wichtigste in Kürze

• Am 14. Juni 2019 fand in der Schweiz erneut ein Frauenstreiktag statt.
• In dessen Vorfeld hatte der VSAO an der Delegiertenversammlung der FMH beantragt, dass sich die gesamte Ärzteschaft hinter die Anliegen des Frauenstreiks stellt; der Vorstoss wurde ohne Gegenstimme gutgeheissen.
• Für den Streiktag liess der VSAO einen Ansteckknopf (siehe Bild) produzieren und verteilen, über 17 000 Stück gingen weg.
• In einer gemeinsamen Medienmitteilung von VSAO und FMH verlangen die Verbände, dass die Vereinbarkeit von Beruf, ­Familie und Freizeit zu garantieren ist, vor allem durch regel­mässige Einsatzzeiten, Teilzeitstellen, betriebsnahe Kinderkrippen mit langen Öffnungszeiten oder Flexibilität beim Arbeitspensum.

L’essentiel en bref

• Le 14 juin 2019 une nouvelle grève féministe a été organisée en Suisse.
• Dans ce contexte, lors de l’assemblée des délégués de la FMH, l’ASMAC a demandé que l’ensemble du corps médical se range derrière les revendications de la grève féministe; cette démarche a été approuvée, aucune voix ne s’est élevée contre.
• Pour cette journée de grève, l’ASMAC a fait fabriquer des badges (voir photo), dont plus de 17 000 ont été distribués.
• Dans un communiqué de presse commun, l’ASMAC et la FMH exigent une garantie de la compatibilité entre vie professionnelle, famille et loisirs, notamment grâce à des heures de travail régulières, à des postes à temps partiel, à des crèches à proximité des entreprises, avec de longues heures d’ouverture ou à un temps de travail flexible.