In welcher Rolle sehen sich Ärztinnen und Ärzte? Was ist ihnen wichtig, und was macht ihnen Angst? Wie verändern sich Image und Selbstverständnis? Mit solch grundsätzlichen Fragen beschäftigt sich im kommenden Januar das «forumsante.ch» in Bern. Altgediente und prominente Rednerinnen und Redner werden dort auftreten. Wie die gleichen Fragen junge Mediziner beantworten, war am Zukunftskongress «Medifuture» in Bern zu erfahren.
Welche Fachrichtung entspricht mir? Wird es eher ein grosses Spital oder eine Gruppenpraxis sein? Ein humanitärer Einsatz im Ausland vielleicht? Solche Fragen stehen für die rund 300 Medizinstudenten und jungen Ärztinnen im Vordergrund, wenn sie an die Zukunft denken und ihre Karriere planen. Und, ganz wichtig für den Nachwuchs: das Thema Work-Life-Balance.
Teilzeitarbeit ist wohl einer der meistgehörten Begriffe an diesem Kongress, den der Verband Schweizerischer Assistenz- und Oberärztinnen und -ärzte organisiert hat und der einmal mehr ausgebucht war.
Neue Selbstfindung
Die ältere Ärztegeneration hatte einen anderen Fokus – und ist jetzt daran, sich selber neu zu finden. Dies ist einer der Ausgangspunkte eines anderen Ärztekongresses. Der ehemalige FMH-Präsident Jacques de Haller organisiert das «forumsante.ch» in Bern seit einigen Jahren; das nächste findet im Januar statt. Seine Bestandesaufnahme gibt zu denken: «Unsere Monopolstellung ist von einer neuen Rolle abgelöst worden, als Arzt bin ich vom Entscheider zum Coach geworden – das kann man als Machtverlust verstehen.» Die Patienten haben neue Informationsquellen – zum Beispiel das Internet – und andere Bezugspersonen. Die administrativen Bürden werden immer grösser, und das Image des Berufs hat gelitten, unter anderem in der Politik. «Diese Veränderungen haben in der Ärzteschaft zu einer gewissen Bitterkeit und Desillusionierung geführt. Viele ältere Ärzte erlebe ich heute als ängstlich und nervös, ja sogar aggressiv.»
Die neue Generation
Am Kongress der jungen Ärzte ist die Stimmung entspannt. Am Stand der Schweizer Kinderärzte steht die junge Kinderärztin Nora Rufener. Auf ihren Armen ihr drittes Kind, ein halbjähriger, zum Glück gutgelaunter Bub. Rufener ist daran, zusammen mit einer Kollegin in Thun eine eigene Praxis zu eröffnen, beide Frauen werden dort 60% arbeiten. «Das bedingt eine gute Organisation und einen verständigen Partner», sagt die Ärztin und Mutter. «Im Spital wäre es für mich nicht möglich, so zu arbeiten, zu sehr hapert es da bei den Chefs und den Strukturen.»
Der 30-jährige Sportmediziner Justin Carrard vertritt die «Students & Junior Doctors» seines Verbands. «Das Privatleben dem Beruf opfern?», fragt er rhetorisch. «Nein, dazu ist die junge Ärztegeneration nicht mehr bereit.» Im Spital sei er älteren Kollegen begegnet, die 3 Monate lang 80- bis 100-Stunden-Wochen geschoben hätten. «Das Schlimmste daran ist: Alle erachten dies als normal.» Wer sich an die gesetzlich vorgeschriebenen 50 Stunden pro Woche halten wolle, sei als junger Arzt bisweilen einem grossen, anderen Druck ausgesetzt: «Die wollen die Besten. Und das sind diejenigen, die machen, was die Chefs von ihnen verlangen.» Junge Ärztinnen und Ärzte seien sich bewusst, sagt Sportmediziner Carrard, dass die eigene Gesundheit und damit ein guter Ausgleich zur Arbeit essenziell seien. «Wir haben Angst vor einem Burnout.»
Und das Einkommen?
Depressionen nehmen zu, auch bei Ärztinnen und Ärzten. Dies bestätigt Christian Kämpf, Chefarzt am Psychiatriezentrum Münsingen. Gleichzeitig kämpfe gerade die Fachrichtung Psychiatrie mit Nachwuchsproblemen. «Dies hat mit unserem Image zu tun, aber auch mit unserem Einkommen, gerade in den Spitälern.» Eine der Folgen sei, sagt Kämpf, dass nur noch etwa die Hälfte der Assistenzärztinnen und -ärzte aus dem deutschsprachigen Raum stammten, «und dies ist gerade in der Psychiatrie ein grosses, auch kulturelles Problem. Oft sind wir deshalb zu weit weg vom Patienten.»
Wie erlebt er die junge Generation? Wie wichtig ist ihr beispielsweise das Einkommen? Psychiater Kämpf denkt nach, schmunzelt und sagt dann: «Nun ja, sie sind selbstbewusster und fordernder als wir damals.»
21. forumsante.ch am 14. Januar in Bern
Am Dienstag, 14. Januar 2020 (9.30–13.15 Uhr), findet im Hotel Bellevue in Bern bereits zum 21. Mal das forumsante.ch statt. Die Tagung lädt ein zu einer vielschichtigen Diskussion über ein aktuelles Thema: «Medizinisches Rollenverständnis im 21. Jahrhundert – Zeit für eine neue Selbstfindung».
Renommierte nationale und internationale Referenten werden sich mit der Leitfrage auseinandersetzen, unter anderen:
• Bundesrat Alain Berset;
• Prof. Dr. med. Daniel Scheidegger, Präsident der Schweizerischen Akademie der Medizinischen Wissenschaften;
• Dr. med. Bertrand Kiefer, Chefredaktor der Revue médicale suisse;
• Prof. Dr. med. Frank-U. Montgomery, Chairman des Weltärztebunds.
Diskutiert werden soll aber nicht nur die Gegenwart: forumsanté.ch blickt immer einen Schritt voraus und bildet eine Plattform, um über konstruktive Ideen und pointierte Aussagen nachzudenken und gemeinsam über die Zukunft zu diskutieren.