Zu guter Letzt Suizid?

Briefe / Mitteilungen
Ausgabe
2020/0102
DOI:
https://doi.org/10.4414/saez.2020.18519
Schweiz Ärzteztg. 2020;101(0102):19-20

Publiziert am 08.01.2020

Zu guter Letzt Suizid?

Christine Clavien weist darauf hin, dass die Suizidrate in Grossbritannien dramatisch abgenommen habe, nachdem es nicht mehr möglich war, «einfach in der eigenen Küche Selbstmord zu begehen, indem man den Kopf in den Backofen steckt». Dies, weil zwischen 1955 und 1971 Kohlenmonoxid produzierende Gasherde durch neuere ersetzt wurden. Sie schliesst daraus, dass Entscheide – auch Entscheide, sich umzubringen – stark davon abhängen, wie leicht umzusetzen sie sind. Mit anderen Worten: Wird es einem erleichtert, Suizid zu begehen, steigt deren Zahl.
Der Autorin, Ethikerin an der Universität Genf, geht es nun aber nicht, wie man meinen könnte, um Suizid-Prävention. Vielmehr bemängelt sie, dass genauso wie das Ausmerzen der Kohlenmonoxid-Gasherde Suizide verhinderte, auch höhere Hürden für assistierten Suizid solche verhindern würden. Sie argumentiert dabei mit einem eigenartigen Autonomie-Begriff. Höhere Hürden für assistierten Suizid würden nämlich die «autonome Wahl» des Patienten beeinträchtigen. – Mit Verlaub: Durch das Verbot von Kokain oder von Bankraub wird die Autonomie des Kokain-Konsumenten bzw. des potentiellen Bankräubers auch eingeschränkt.
Es fragt sich schon, was wir als Gesellschaft, aber auch als Ärztinnen und Ärzte wollen: Uns daran gewöhnen, dass Suizid eine ganz normale Todesart ist, oder grösstmögliche Einschränkung von Suiziden aus dem Wissen heraus, dass die allermeisten, die einmal versuchten, sich umzubringen, schliesslich nicht an Suizid zu Tode kommen. Offensichtlich lernen sie wieder, ihrem Leben Sinn und Positives abzugewinnen. Es scheint sich demnach zu lohnen, den Menschen hin und wieder vor sich selber zu schützen, «Autonomie» hin oder her. Wir Ärzte brauchen keine Ethiker, die uns in dieser Hinsicht entgegen der Erkenntnisse der Suizidforschung «beraten».