Hürden fürs selbstbestimmte Sterben

Briefe / Mitteilungen
Ausgabe
2020/07
DOI:
https://doi.org/10.4414/saez.2020.18637
Schweiz Ärzteztg. 2020;101(07):214-215

Publiziert am 11.02.2020

Hürden fürs selbstbestimmte Sterben

Mit Sandkörnern ins Getriebe der Suizidwil­ligen will die Ethikerin Christine Clavien [1] erwirken, dass die Inanspruchnahme eines begleiteten Suizids erschwert wird. Sie geht dabei in ihrer Überlegung von der seinerzei­tigen Abnahme der «Selbstmorde» (sic!) nach dem in England erfolgten Entzug von Kohlenmonoxid im Leuchtgas aus. Dass grössere Hürden beim Zugang zur Suizidbeihilfe zur Zunahme von gewaltsamen Suiziden führen könnten, scheint ihr kein Problem zu sein. Der Psychiater Walter Meili [2] sieht in Menschen, die den Altersfreitod in Erwägung ziehen, behandlungsbedürftige Patienten mit ­einer schweren Depression. Aber dass die Zusicherung der Möglichkeit, zu einem gewissen Zeitpunkt selbstbestimmt und in humaner Art und Weise aus dem Leben zu scheiden, eine Art «Lebensversicherung» sein kann, wird bei beiden Schreibenden nicht in Betracht gezogen. Sehr einfühlsam hingegen ­beschreibt die Pflegefachfrau Anita Lanz [3] ihre Begleitung eines todgehweihten Patienten. Nachdem er sein Sterbedatum festgelegt hatte, schied er friedlich aus dem Leben, ohne die angebotene Beihilfe in Anspruch nehmen zu müssen. Was stört eigentlich gewisse (jüngere und gesunde) Mitmenschen an der Tat­sache, dass ein Mensch nach langer Lebenszeit (und mitunter langer Leidenszeit) die Möglichkeit eines selbstbestimmten Sterbens mit einer Sterbehilfe-Organisation (und oft im Beisein seiner Liebsten) in Anspruch nehmen möchte? Diesen aus ferner und gesunder Warte schreibenden Gutmenschen empfehle ich, zum Beispiel den Film «Mar Adentro» von Alejandro Amenábar anzusehen und das Buch «Ein ganzes halbes Jahr» von Jojo Moyes zu lesen. Aber allein die Lektüre des oben genannten Beitrags der Pflegefachfrau Lanz mit der behutsamen Beschreibung eines geplanten Todes könnte zumindest darüber nachdenken lassen, ob die Anliegen einer unbedingten Lebensverlängerung so gerechtfertigt sind, wie gewisse Verfechter das meinen.