Interview mit der SIWF-Geschäftsleitung

Die Fortbildung als berufliche Weiterentwicklung

FMH
Ausgabe
2020/1516
DOI:
https://doi.org/10.4414/saez.2020.18797
Schweiz Ärzteztg. 2020;101(1516):528-531

Publiziert am 07.04.2020

Die Geschäftsleitung des SIWF: Giatgen A. Spinas, Jean Pierre Keller, Raphael Stolz, Werner Bauer und Christoph Hänggeli (v.l.n.r.).
Bild: Tobias Schmid/SIWF
Das SIWF befasst sich ja mit Weiterbildung und Fortbildung. Welcher Bereich stand bei den Aktivi­täten des Instituts im Jahr 2019 im Vordergrund?
Christoph Hänggeli: Quantitativ ist es stets die Weiterbildung, die im Vordergrund steht: die Bearbeitung und Genehmigung der Weiterbildungsprogramme aller Fach­gesellschaften, die Anerkennung und Kategorisierung der Weiterbildungsstätten und die Vergabe der Facharzttitel. Das ist der Auftrag des Medizinal­berufegesetzes an uns als verantwortliche Organisation. Die Fortbildung gewinnt aber gegenwärtig deutlich an Gewicht.
Welche Gründe gibt es dafür?
Raphael Stolz: Wir sind daran, die Fortbildungsplattform auszubauen. Sie soll es allen aktiven Ärzten ermöglichen, ihre individuelle Fortbildung mit wenig Aufwand zu dokumentieren und alle drei Jahre ein Fortbildungsdiplom zu erhalten.
Fortbildungsplattform, Fortbildungsdiplom? Wozu?
Raphael Stolz: Als Ärzteschaft müssen wir einen klugen Mittelweg zwischen selbstverantwortlich gestalteter Fortbildung einerseits und einer auch gegen aussen glaubhaften Dokumentation andererseits finden. Die elektronische Fortbildungsplattform existiert bereits und ermöglicht den Eintrag der besuchten Veranstaltungen, eine vernünftige Kontrolle durch die Fachgesellschaft und das Ausdrucken des Fortbildungs­diploms. Dieses ist der zweckmässigste Nachweis der erfüllten Fortbildung. Das Sammeln von Teilnahmebestätigungen in einer Schuhschachtel ist keine zeit­gemässe Alternative mehr. Die Plattform soll in den kommenden Jahren verbessert und für die Nutzer vereinfacht werden.
Wird die Erfüllung der Fortbildungspflicht ­kontrolliert? Von wem?
Werner Bauer: Wir möchten ein System, das möglichst frei ist und möglichst wenig Reglementierung, Bürokratie und «Kontrolliererei» mit sich bringt. Freiheit ist aber immer mit Pflichten verbunden. Im Fall der Fortbildung besteht die Verpflichtung in den 150 Stunden (Credits), die innert dreier Jahre absolviert und doku­mentiert werden müssen. Die Fachgesellschaften sind dafür zuständig, die Plausibilität der Angaben zu prüfen, bevor sie ein Fortbildungsdiplom ausstellen. Sanktionen können aber weder das SIWF noch die Fachgesellschaften aussprechen. Formelle Kontrollin­stanzen sind die kantonalen Gesundheitsdirektionen, welche die Berufsausübungsbewilligung von der nachgewiesenen Fortbildung abhängig machen können.
Sie haben erwähnt, dass die Fortbildung gerade jetzt an Gewicht gewinne. Wieso?
Christoph Hänggeli: Die Behörden wollen sicher sein, dass die ärztliche Fortbildung ihren Zweck erfüllt, weshalb die Plattform «Zukunft ärztliche Bildung» (ge­tragen vom Bundesamt für Gesundheit und von der Gesundheitsdirektorenkonferenz) dem SIWF das Mandat übertragen hat, bis im Herbst 2020 den Stand der Fortbildung in der Schweiz zu analysieren.
Was beinhaltet dieses Mandat? Sind allenfalls Konsequenzen absehbar?
Werner Bauer: Mit dem Mandat wird das SIWF beauftragt, den gegenwärtigen Stand der Fortbildung zu überprüfen und allfällige Defizite mit Konsequenzen für die Qualität der ärztlichen Versorgung aufzudecken. Es sind rund 25 Einzelfragen, auf die wir eine plausible Antwort finden müssen. Zum Beispiel wird die Frage gestellt, ob die Ärztinnen und Ärzte wirklich diejenigen Fortbildungen besuchen, deren sie bedürfen, oder ob sie Themen wählen, die sie speziell ansprechen, die sie aber eigentlich gar nicht so nötig hätten. Im Zusammenhang damit müssen wir dazu Stellung nehmen, ob «self assessments» anzubieten wären, mit denen eine Standort­bestimmung der aktuellen Kompetenzen ermöglicht würde. Diese müsste dann die Auswahl der Fortbildungsthemen beeinflussen. Wir sind daran, den Bericht zu erarbeiten, und führen dazu eine Literaturrecherche, eine breite Umfrage und Fokusgespräche durch. Wir hoffen, glaubhaft zeigen zu können, dass die Fortbildungspflicht ernst genommen, im Wesentlichen erfüllt und dokumentiert wird. Für sinnvolle Verbesserungen sind wir natürlich offen, aber wir wollen sie in der Verantwortung der Ärzteschaft umsetzen und den Behörden keinen Anlass geben, zusätzliche Verfügungen zu erlassen und die Kontrollbürokratie auszubauen.
Sehen Sie längerfristige Perspektiven für die Fortbildung?
Giatgen Spinas: Und ob! Die Fortbildung muss neben der Sicherstellung der fachlichen Kompetenz in Zukunft auch die berufliche Weiterentwicklung zum Ziel haben. Auch international geht die Fortbildung in diese Richtung. Man spricht von «continuing profes­sional development». Wie in anderen Berufen müssen wir davon ausgehen, dass das Tätigkeitsspektrum einer Ärztin oder eines Arztes zum Zeitpunkt ihrer/seiner Pensionierung nicht mehr das gleiche sein wird wie bei Abschluss ihrer/seiner Facharztweiterbildung. Das Erlernen neuer Methoden oder auch eine Verlagerung beruflicher Aktivitäten muss möglich sein.
Was bedeutet dies für die Fachgesellschaften 
und das SIWF?
Giatgen Spinas: Eine Herausforderung! Es muss ja auf eine vernünftige Weise sichergestellt werden, dass ­berufliche Veränderungen machbar sind und neue Techniken erlernt werden können – immer aber unter Sicherstellung der geforderten Qualität.
Wohl wiederum ein Spagat zwischen beruflicher Freiheit und notwendiger Kontrolle.
Jean Pierre Keller: Eine Möglichkeit, diesen Anfor­derungen gerecht zu werden, bieten die EPAs, die «entrustable professional activities». Dabei handelt es sich um definierte Kompetenz-Sets, welche Fähigkeiten, Kenntnisse und die damit verbundene berufliche Haltung beinhalten. Wer diese nachweislich erworben hat, erhält die «entrustability» bestätigt und ist be­rechtigt, die entsprechende Tätigkeit selbständig aus­zuführen. Ein Beispiel ist das Management eines Notfall­patienten mit akuten Bauchschmerzen auf der Spitalaufnahmestation, wobei eben die Anamnese, die klinische Untersuchung, die Differentialdiagnose, das Verordnen der ersten notwendigen Untersuchungen, die Notfalltherapie, die Kommunikation – alle Kompetenzen – dazu­gehören. Ein anderes Beispiel könnte die Beherrschung einer Intervention oder eines Eingriffs sein, wiederum mit allen Anforderungen, die dazugehören. Bestätigt wird eine EPA dann, wenn jemand von verschiedenen Evaluierenden wiederholt beobachtet und schliesslich in allen Aspekten als kompetent be­urteilt worden ist.
Das tönt einleuchtend, aber aufwendig.
Jean Pierre Keller: Das ist so. Die EPAs, weltweit im Begriff, sich zu etablieren, sind auch schon in den schweizerischen Lernzielkatalog für das Medizinstudium einge­baut worden. Der nächste Schritt ist nun die Anwendung in der Weiterbildung, und schliesslich ist es denkbar, dass diese Methodik eben auch zu ­einem tauglichen Instrument für die berufliche Weiterentwicklung wird.
Gerade dieses Beispiel zeigt, was die Arbeit für das SIWF so faszinierend macht: Das Spektrum reicht von der Lösung aktueller Probleme bis zur Gestaltung der ärztlichen Bildung in der Zukunft.

Vollständige Fassung SIWF-Geschäftsbericht

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