Ärztestatistik 2019: Die Arbeitskräfte könnten knapp werden

FMH
Ausgabe
2020/13
DOI:
https://doi.org/10.4414/saez.2020.18803
Schweiz Ärzteztg. 2020;101(13):449

Affiliations
Dr. med., Vizepräsident der FMH, Departementsverantwortlicher Daten, Demographie und Qualität

Publiziert am 24.03.2020

Je nach Fachrichtung und Region ist die medizinische Versorgungssituation jetzt bereits knapp. Wenn die heutigen Tendenzen ihre Fortführung finden, wird sich dies in Zukunft noch zuspitzen. Ein Drittel der praxisambulant tätigen Ärztinnen und Ärzte ist 60-jährig oder älter. In dieser Altersklasse finden sich vorwiegend hohe Arbeitspensen. Wenn Ärztinnen und Ärzte heute im Durchschnitt ein Arbeitspensum von 88% angeben, entspricht dies 48 Arbeitsstunden pro Woch­e, was doch immer noch deutlich über einem in der Schweiz üblichen Pensum von knapp 42 Stunden liegt. Wenn wir nun die aktuellen Versorgungszahlen betrachten, so finden sich in unserm Land mit 3,9 Ärzte-Vollzeitäquivalenten pro 1000 Einwohner vergleichbare Verhältnisse wie in unseren Nachbarländern. Unsere Ärztinnen und Ärzte arbeiten jedoch zeit­mässig deutlich mehr als 42 Stunden pro Woche. Wenn wir das Vollzeitäquivalent von 55 Stunden dann noch auf ein landesübliches Niveau von 42 Stunden umrechnen, so wären noch 3 Ärztinnen und Ärzte pro 1000 Einwohner mit einer landesüblich normalen Arbeitszeit verfügbar, was sogar deutlich unter den OECD-Schnitt zu liegen käme. Die Zunahme der Arbeitskräfte fiel 2019 im Vorjahresvergleich deutlich moderater aus. Gleichzeitig nehmen Teilzeitpensen eher zu. Vor dem Hintergrund dieser Überlegungen stimmt mich die hohe Auslandabhängigkeit unserer Fachkräfteversorgung doppelt nachdenklich. Mich stört dabei nicht nur die Tatsache, dass es in Zukunft immer schwieriger sein wird, die Fachkräfte in unser Land zu holen, da nämlich unsere Nachbarländer ebenfalls alles daran setzen, ihre Fachkräfte zu behalten, sondern auch der ethische Aspekt stört mich: Wir profitieren davon, dass andere Länder die Ausbildung bewerkstelligen und finanzieren. Ein Phänomen, das sich über unsere Nachbarländer bis in die Ferne von Entwicklungsländern kettenartig fortsetzt. Man nennt dies auch Brain-Drain. Wir haben also eine Pflicht, Gegenmassnahmen zu ergreifen. Diese liegen einerseits in einer Ausbildungsoffensive, andererseits müssen ­jedoch auch die Fachkräfte zielgerichteter und damit effizienter eingesetzt werden. Ich spreche hier in erster Linie die Tatsache der stetig zunehmenden adminis­trativen Belastung an. Denn diese führt dazu, dass wir uns über alle Berufsgruppen hinweg im Gesundheitswesen statt am Patientenbett immer häufiger am Computer wiederfinden, und der Roboter übernimmt dann unsere Arbeit an und mit unseren Patientinnen und Patienten. Einfache Rezepte gibt es nicht. Aber bereits eine systematische Aufgaben- und Prozessüberprüfung in den Unternehmungen des Gesundheitswesens wäre hilfreich. Das Volumen der rückgewinnbaren Ressourcen ist beträchtlich – ganz zu schweigen vom Gewinn an Arbeitszufriedenheit und Motivation. An dieser Stelle möchte ich es jedoch nicht unterlassen, unseren Kolleginnen und Kollegen mit ausländischem Diplom für ihre Unterstützung zu danken. Ohne sie könnte unser Gesundheitswesen schlicht nicht auf diesem sehr hohen Niveau funktionieren, welches wir alle schätzen, wie es verschiedene Erhebungen immer wieder zeigen. Dass es weiterhin möglich bleibt, dieses Niveau zu halten, ist lediglich mit innovativen Lösungen zu bewerkstelligen. Seitens FMH und seitens unserer angeschlossenen Organisationen haben wir auch hier bereits diverse Vorschläge eingebracht, welche mitunter auch ihren Weg in die Umsetzung finden. Wir geben nicht auf, denn sonst werden uns die Fachkräfte aus­gehen.