Richtlinien für Triage bei Engpässen auf Intensivstationen

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Ausgabe
2020/1516
DOI:
https://doi.org/10.4414/saez.2020.18840
Schweiz Ärzteztg. 2020;101(1516):536

Affiliations
lic. iur., MAE, Leiterin Ressort Ethik und Stv. Generalsekretärin SAMW

Publiziert am 07.04.2020

Das Tempo, mit dem sich das Coronavirus (SARS-CoV-2) verbreitet, führt zu einem Massenzustrom von Patientinnen und Patienten in die Akutspitäler. Wenn die Ressourcen auf den Intensivstationen nicht mehr ausreichen, werden Rationierungsentscheidungen nötig. Die Schweizerische Akademie der Medizinischen Wissenschaften und die Schweizerische Gesellschaft für Intensivmedizin (SGI) haben gemeinsame Richtlinien für die Triage veröffentlicht.
In einer ersten Phase kann die herausfordernde Si­tuation in den Spitälern mit Beschränkungen von Wahleingriffen, Verlegung von Patienten auf die Intermediate Care Units oder Ausweiten von Behandlungsplätzen mit Beatmungsmöglichkeiten aufgefangen werden. Wenn die Ressourcen nicht mehr ausreichen, werden Rationierungsentscheidungen nötig. Dabei ist die Belastung für das medizinische Personal sehr hoch. Umso wichtiger ist es, dass gesamtschweizerisch vergleichbare Kriterien für die Aufnahme und den Verbleib auf der Intensivstation zur Anwendung kommen. Die am 20. März 2020 veröffentlichten Richtlinien schaffen diese Basis. Sie werden, wenn es die Erfahrungen in der Praxis oder neue wissenschaftliche Erkenntnisse erfordern, laufend angepasst.
Die Richtlinien ergänzen die medizin-ethischen Richtlinien «Intensivmedizinische Massnahmen» (2013) und betreffen somit nur einen kleinen Teil der am Coronavirus erkrankten Patienten, namentlich die schwerstkranken, die auf eine Intensivbehandlung angewiesen sind. Covid-19-Erkrankte und andere Patienten, die ­intensive Pflege benötigen, werden nach denselben Kriterien behandelt.

Kurzfristige Prognose entscheidend

Hauptkriterium für die Triage ist die kurzfristige Pro­gnose. Bei der Aufnahme auf die Intensivstation haben also diejenigen Patienten die höchste Priorität, deren Prognose im Hinblick auf das Verlassen des Spitals mit Intensivbehandlung gut, ohne diese aber ungünstig ist; Patienten also, die am meisten von der Intensiv­behandlung profitieren.
Das Alter per se ist kein Kriterium, das zur Anwendung gelangen darf. Es misst älteren Menschen weniger Wert bei als jüngeren und verletzt in diesem Sinne das verfassungsrechtlich verankerte Diskriminierungsverbot. Das Alter wird jedoch indirekt im Rahmen des Hauptkriteriums «kurzfristige Prognose» berücksichtigt, denn ältere Menschen leiden häufiger unter Co-Morbiditäten. Im Zusammenhang mit Covid-19 ist das Alter ein Risikofaktor für die Sterblichkeit und muss daher berücksichtigt werden.
Zusätzliche Kriterien wie Losverfahren, «first come, first served», Priorisierung von Menschen, die einen hohen gesellschaftlichen Wert haben etc. dürfen gemäss Richtlinien nicht zur Anwendung gelangen.

Empfehlungen für Palliative Care

Die Infektion mit dem Coronavirus bedroht die ganze Bevölkerung; am stärksten gefährdet für schwere und tödliche Verläufe sind jedoch ältere Menschen, die multimorbid und gebrechlich sind. Schwerste Erkrankungen mit ungünstiger Prognose und Sterbesituationen erfordern gute Palliative Care für die Betroffenen. Die aktuelle Pandemiesituation und die Veröffent­lichung der Richtlinien zu den Triageentscheidungen haben die Fachgesellschaft Palliative Geriatrie (FGPG) veranlasst, ergänzend praxisbezogene Empfehlungen zu verfassen. Die SAMW begrüsst diesen Schritt.
Die Triage-Richtlinien und die Empfehlungen Pal­liative Care sind auf Deutsch, Französisch, Italienisch und Englisch auf der SAMW-Website veröffentlicht: samw.ch/de/coronavirus
Michelle Salathé m.salathe[at]samw.ch