Weniger Administration, mehr Kommunikation

FMH
Ausgabe
2020/2122
DOI:
https://doi.org/10.4414/saez.2020.18953
Schweiz Ärzteztg. 2020;101(2122):666

Affiliations
Dr. med., Mitglied des FMH-Zentralvorstandes, Departementsverantwortliche Digitalisierung / eHealth

Publiziert am 20.05.2020

1971 verschickte der amerikanische Ingenieur Ray Tomlinson die weltweit erste E-Mail. Die neue elektronische Post füllte die Nische zwischen Anrufbeantworter und Briefpost. Der erste Standard für den zeitversetzten Versand von Nachrichten (RFC 196[1]) umfasste gerade mal vier Seiten, und die Community beschränkte sich auf wenige Personen innerhalb der amerika­nischen Universitäten, die einen Zugriff auf das ­ARPANET[2] hatten. Mittlerweile gibt es weltweit über 5 Milliarden aktive E-Mail-Adressen[3], und ­E-Mail ist im Gesundheitswesen eines der wichtigsten Kommunikationsmittel.
Beim Datenaustausch im Gesundheitswesen stehen heute nicht mehr Freitext-Nachrichten wie E-Mails, sondern steht der Austausch von strukturierten Daten und Formularen im Vordergrund. Diese können auch von Maschinen gelesen werden und ermög­lichen eine automatische Weiterverarbeitung in den Systemen des Empfängers. Heute verfügen faktisch alle Arztpraxen über digitalisierte Abrechnungssysteme und verschicken ihre Rechnungen elektronisch. Vom automatisierten und strukturierten Datenaustausch aus der elektronischen Krankengeschichte können wir aber weiterhin nur träumen [4]. Damit liesse sich nicht nur die de­moti­vierende Arbeit bei der Erfassung redundanter Informationen reduzieren, sondern wir könnten auch Zeit gewinnen für die direkte ärztliche Kommunikation mit den ­Patienten.
Neben Rechnungen werden zunehmend auch Kos­tengutsprachen und Verordnungen elektronisch und strukturiert verarbeitet. Verschiedene Akteure des Schweizer Gesundheitswesens haben sich im Forum Datenaustausch zusammengeschlossen, um Standards für den Datenaustausch zu definieren. Dabei werden sogenannte XML-Formulare für die jeweiligen Nachrichten festgelegt. Mittels der «eXtensible Markup Language» werden Daten so formatiert, dass sie sowohl von Menschen wie auch von Computern gelesen werden können. Diese XML-Formulare können von den Softwareherstellern in den Praxisinformationssystemen implementiert werden.
Es wäre nun ein kleiner Schritt, diese Formulare automatisiert in die jeweiligen administrativen und medizinischen Prozesse zu integrieren. Doch erst wenige Softwareanbieter offerieren diese Dienstleistung den Ärztinnen und Ärzten. Im Wissen, dass Fehler vor ­allem an Kommunikationsschnittstellen passieren, an denen Informationen «von Hand» übertragen werden, wäre dieser Schritt überfällig und wichtig für die Behandlungsqualität. In einer immer dynamischeren Welt der medizinischen Versorgung darf die Digita­lisierung sich nicht auf die standardisierte elektro­nische Kommunikation beschränken.
Gerade beim Datenaustausch zur Unterstützung ad­ministrativer Prozesse besteht Nachholbedarf. Eine kürzlic­h veröffentlichte Umfrage der FMH zeigt, dass der administrative Aufwand für die Ärzteschaft stetig ­zunimmt [5]. Die strikte Digitalisierung von Papier­formularen, im angelsächsischen Sprachraum als ­«Paper-Chart Thinking»[6] bezeichnet, führt nicht zum Erfolg: Die digitale Transformation bedingt das Verständnis für Praxisprozesse. Neben dem Formular müssen die vor- und nachgelagerten Prozessschritte integriert werden. Worin besteht der Sinn, ein digitales Formular zu verwenden, wenn bei Rückfragen Dokumente mangels Prozessdigitalisierung per E-Mail oder Post verschickt werden müssen?