Kommunikation zwischen Ärzteschaft und Versicherern

Weitere Organisationen und Institutionen
Ausgabe
2020/3334
DOI:
https://doi.org/10.4414/saez.2020.19085
Schweiz Ärzteztg. 2020;101(3334):979-980

Affiliations
Dr. med., Chefarzt Schweizerischer Versicherungsverband (SVV), MAS Versicherungsmedizin, Zürich

Publiziert am 12.08.2020

In einer Umfrage der Expertengruppe Versicherungsmedizin von Swiss Ortho­paedics im Jahre 2018 bei Ärztinnen und Ärzten sowie Versicherungen in der Schweiz werden sechs Punkte bemängelt resp. folgende Anliegen geäussert, auf welche im folgenden aus Sicht der Versicherer eingegangen wird.
1. Seitens der Versicherer werden zu viele Formulare eingefordert und es erfolgen viele Rückfragen. Dies wird als Misstrauensvotum empfunden und zeigt, dass die Fachkompetenz der Ärzteschaft von den Versicherern angezweifelt wird.
Die Privatversicherer möchten die Fälle mit möglichst wenigen Arztberichten führen. Meistens kommen sie mit dem ärztlichen Erstbericht aus. Bei Abklärungen der Leistungspflicht, Verzögerungen der Heilung oder der Arbeitswiederaufnahme werden zudem spezifische Spezialberichte oder Zwischenberichte verlangt. Die Krankentaggeldversicherer verlangen zum Teil auch den Arzt-Kurzbericht. Je klarer und nachvollziehbarer die Fragen in den Arztberichten beantwortet werden, umso weniger Nachfragen gibt es.
Tipp an die behandelnden Ärztinnen und Ärzte:
Überlegen Sie sich, wie unangenehm es für Sie ist, wenn Sie einen Arztbericht eines Berufskollegen erhalten, aus dem Sie nicht verstehen, was genau warum gemacht wurde und was weiter unternommen werden soll. Wenn Sie sich dessen bewusst sind, fällt es Ihnen leichter, die Berichte verständlich und mit den nötigen Informationen auszufüllen und damit Rückfragen zu vermeiden.
2. Der Prozess zu Entscheidungen dauert zu lange.
Je informativer und aussagekräftiger ein Arztbericht oder ein Dokumentationsbogen ausgefüllt ist, umso schneller kann sich die Versicherungsfachperson ein Bild machen und eine Entscheidung treffen. Bei Unklarheiten wird sie immer den beratenden Arzt zuziehen, der aber nicht ständig erreichbar ist. Falls wegen schlechter Dokumentation auch Letzterer keine Empfehlung zuhanden der Versicherungsfachperson abgeben kann, verzögert sich die Bearbeitung.
Tipp an die behandelnden Ärztinnen und Ärzte:
Überlegen Sie sich bei jedem Arztbericht, ob Sie als nichtbehandelnder Arzt mit den darin enthaltenen Angaben eine Empfehlung zuhanden der Versicherungsfachperson abgeben könnten.
3. Es fehlt an Transparenz darüber, wie die Entscheide zustande kommen.
Es sollten die Überlegungen der Versicherungsfachperson und des allenfalls beigezogenen beratenden Arztes dargelegt werden. Bei Entscheiden zugunsten des Versicherten erübrigt sich eine Begründung; bei Entscheiden zuungunsten des Versicherten sollten die Ausführungen verständlich und nachvollziehbar sein, so wie man es von den Arztberichten ebenfalls erwartet.
Tipp an die Versicherungsfachleute sowie an die behandelnden Ärztinnen und Ärzte:
Seien Sie so transparent wie nur möglich, denn dies fördert das gegenseitige Vertrauen innerhalb des Beziehungsdreiecks von Patient/Versicherter–Arzt–Versicherer.
4. Entscheide der Versicherer werden zum Teil den behandelnden Ärzten nicht mehr kommuniziert, insbesondere mit dem Argument des Datenschutzes.
In der obligatorischen Unfallversicherung nach UVG wie auch in der Invalidenversicherung und der Militärversicherung gilt das Naturalleistungsprinzip, was bedeutet, dass der Versicherer Schuldner der Leistungen des Arztes ist und nicht der Patient. Die Bericht­erstattung kann somit trotz Datenschutz problemlos direkt zwischen Arzt und Versicherer stattfinden. In allen anderen Versicherungszweigen, also KVG und allen Privatversicherungen, besteht das Vertragsverhältnis zwischen dem Versicherten und dem Versicherer. Der Versicherer garantiert lediglich die Arztkosten. Somit ist es die Regel, dass ein Versicherer die Entscheide dem Versicherten sendet und aus Gründen des Datenschutzes nicht dem Arzt. Im Haftpflichtbereich ist die Sachlage noch etwas komplizierter, da hier kein Vertragsverhältnis zwischen dem Patienten resp. Geschädigten und dem Versicherer besteht. Hier ist der Datenschutz unabdingbar, und es darf nur bei Vorliegen einer Vollmacht mit dem Arzt kommuniziert werden.
Tipp an die behandelnden Ärztinnen und Ärzte:
Überlegen Sie sich immer, in welchem Versicherungsbereich sich Ihr Patient für die jeweilige Behandlung befindet und für welchen Versicherungsbereich Sie einen Bericht ausstellen. Dies hat auf die Bezahlung Ihrer ärztlichen Leistung wie auch auf den Umgang mit dem Datenschutz einen wesentlichen Einfluss.
5.Es soll eine verfügbare konkrete Ansprechperson bekannt sein, die jeweils die Verantwortung für die Entscheide des Versicherers nach aussen tragen kann.
Im Allgemeinen wird ein Versicherungsfall nur durch eine zugewiesene Versicherungsfachperson geführt. Bei dieser Person fliessen dann auch alle Informationen zusammen. Durch Teilzeitarbeit oder Ferienabwesenheiten kann es ausnahmsweise vorkommen, dass mehrere Personen den Fall bearbeiten. Bei Entscheiden werden aber immer die involvierten Personen der Versicherungsgesellschaft namentlich benannt und auch deren Koordinaten bekanntgegeben, unter denen sie erreichbar sind.
Tipp an die behandelnden Ärztinnen und Ärzte:
Bei Unklarheiten sollen der Patient oder Sie der als Kontaktperson des Versicherers genannten Person schreiben oder telefonieren. Ist diese Person nicht vor Ort, so soll die Vertretung Auskunft geben, und falls dies ausnahmsweise nicht möglich ist, so ist ein Termin für das Telefonat festzulegen.
6.Der Zugang zu den beratenden Ärztinnen und Ärzten soll verbessert werden, da diese am ehesten eine medizinische Expertise mitbringen. Sachbearbeiterinnen sind in der Regel zu wenig kompetent.
Es ist verständlich, dass behandelnde Ärzte mit beratenden Ärzten diskutieren möchten. Vorgängig sollte aber der behandelnde Arzt abklären, ob dies der Patient überhaupt will. Im Kontakt mit Privatversicherern wie Krankentaggeld- oder insbesondere mit Haftpflichtversicherern ist eine Vollmacht aus Datenschutzgründen zwingend. Da die Fallführung bei den Versicherungsfachleuten liegt, müssen die behandelnden Ärztinnen in erster Linie mit der Administration der Versicherer korrespondieren oder telefonieren, insbesondere wenn es um tarifarische oder versicherungstechnische Fragen geht. Korrespondenz oder Telefonate mit dem beratenden Arzt sind nur dann angezeigt, wenn es um reine medizinische Fragen geht. Hierbei ist aber klar festzuhalten, dass der beratende Arzt lediglich beratend sein kann und keine Entscheidungsbefugnisse hat. Da die mandatierten beratenden Ärzte nicht ständig für die Versicherungs­gesellschaften arbeiten, muss für ein Telefongespräch ein Termin festgelegt werden, an welchem der beratende Arzt dann auch die Unterlagen des Falles vor sich hat. Es nützt nichts, den beratenden Arzt in der Praxis oder der Klinik anzurufen, da er aufgrund der grossen Anzahl der Versicherungsfälle den Einzelfall nicht im Detail präsent haben kann. Die beratenden Ärztinnen und Ärzte selbst müssen sich bereit erklären, mit behandelnden Ärztinnen und Ärzten in Kontakt zu treten, wenn es um die Diskussion von medizinischen Angelegenheiten geht.
Tipp an die behandelnden Ärztinnen und Ärzte:
Bleiben Sie bei Kontakten mit den Versicherern auf dem medizinischen Parkett und begegnen Sie den beratenden Ärztinnen und Ärzten als Berufskolleginnen und Berufskollegen, denn die allermeisten von ihnen sind klinisch tätig, und die anderen haben ebenfalls eine grosse klinische Erfahrung. Denken Sie sowohl an den Datenschutz wie auch daran, dass sich die versicherungsmedizinische Sicht nicht mit der medizinischen decken muss.

Tipp an die Versicherer:
Wenn ein behandelnder Arzt sich die Mühe und die Zeit nimmt, einer fallführenden Versicherungsfachperson zu schreiben oder zu telefonieren, und um ein Gespräch mit dem beratenden Arzt bittet, so ist dies Zeichen eines grossen Engagements vonseiten des behandelnden Arztes in einem komplexen Fall. Handelt es sich um ein medizinisches Problem, so ist der beratende Arzt beizuziehen und so bald wie möglich ein Besprechungstermin festzulegen. Handelt es sich nicht um ein medizinisches Problem, so ist dies dem behandelnden Arzt zu erklären und aufzuzeigen, dass der beratende Arzt dazu nicht notwendig ist.
Tipp an die beratenden Ärztinnen und Ärzte:
Als beratender Arzt steht es in Ihrer Pflicht, bei Bedarf mit behandelnden Ärztinnen und Ärzten in Kontakt zu treten und über Uneinigkeiten in medizinischen Belangen zu diskutieren. Begegnen Sie ihnen kollegial und erklären Sie Ihren Standpunkt aus versicherungsmedizinischer Sicht. Sollte sich in der Diskussion ergeben, dass Sie Ihren Standpunkt überdenken und zu einer anderen Empfehlung an die Versicherungsgesellschaft gelangen, so versprechen Sie nichts, denn schlussendlich entscheidet die versicherungsinterne Fachstelle.

Ausführlicher Bericht

Dieser Beitrag ist ein kurzer Zusammenzug eines längeren Berichtes. Die ausführliche Langversion kann unter https://www.svv.ch/de/medinfo eingesehen und die Umfrage und deren Resultate können angefordert werden bei:
Dr. Bruno Soltermann 
Schweizerischer Versicherungsverband SVV, 
bruno.soltermann[at]svv.ch
Dr. med. Bruno Soltermann, MAS Versicherungsmedizin
Chefarzt Schweizerischer Versicherungsverband (SVV)
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