Die Stunde der Ärzte hat geschlagen

Briefe / Mitteilungen
Ausgabe
2020/35
DOI:
https://doi.org/10.4414/saez.2020.19141
Schweiz Ärzteztg. 2020;101(35):1028

Publiziert am 25.08.2020

Die Stunde der Ärzte hat geschlagen

Besinnt man sich an das 20. Jahrhundert zurück, wird man sich grosse kulturelle und politi­sche Leistungen vergegenwärtigen, aber auch die schrecklichsten Kriege, die je von Menschen geführt worden sind. Die wirtschaftliche Expansion in der Folge täuschte darüber hinweg, dass in dieser Epoche der Güter­vermehrung weltweit Millionen von Menschen an Armut, Hunger und Krankheiten litten. Die Menschheit ist noch kaum dieser Epoche entronnen, da neue schwere Prüfungen auf sie warten, die wiederum zu Krieg und einem Zerfall aller kulturellen Errungenschaften führen könnten. Die wissenschaft­lichen und ökonomischen Fortschritte der Menschheit führten nicht nur zu Wohlstand, sondern ebenso zu einer Störung der vitalen Gleichgewichte, welche an der Basis der Entwicklung des Naturgeschehens stehen. Die Ausbreitung des Menschen über den Planeten führte zu dessen Ausbeutung und einer zuneh­menden Zerstörung der natürlichen Gleichgewichte und Lebensgrundlagen.
In den ersten zwanzig Jahren des 21. Jahrhunderts wollte man kaum erkennen, dass sich die Menschheit in einer zunehmend gefährlichen Situation befand. Plötzlich ergriff die Menschheit das Bewusstsein, besser für die Zukunft vorsorgen zu müssen und die Reserven nicht weiterhin rücksichtslos zum Nachteil der nächsten Generationen abbauen zu können. Seit wenigen Jahren hat sich nun in der Weltbevölkerung eine Alarmstimmung ausgebreitet bei der Beobachtung der zunehmend gefähr­lichen Veränderungen in der Natur. Man erkannte, dass die Natur, die den Menschen ernähr­te, an Rückbildungserscheinungen zu leiden angefangen hatte. Die Aussichten für das Überleben der Menschheit auf dem Planeten würden sich verringern, sofern keine globalen Reformen zum Schutze der Natur ein­geführt würden. Die Folgen der Zerstörung der natürlichen Gleichgewichte begannen sich plötzlich unerwartet schnell zu manifestieren. Die Veränderungen in der Natur fingen auch an, sich durch neue Krankheiten wie z.B. HIV oder Covid-19 zu manifestieren. Seit einem halben Jahr befindet sich die Menschheit global in einem Abwehrkampf gegen das Corona-Virus. Es kann vorausgesehen werden, dass neue Prüfungen auf die Menschheit zukommen, gegenüber welchen man heute eher die Augen verschliesst, während man alle Mittel auf die Beherrschung der heutigen Situation konzen­triert. Man hat den Eindruck, dass die Menschheit gegenwärtig alle verfügbaren Mittel ausschöpft zur Beherrschung der heutigen Notlage.
Man kann sich nicht vorstellen, wie die Menschheit neuen Schwierigkeiten begegnen würde, seien es neue Krankheiten, Flüchtlingsströme oder wirtschaftliche Zusammenbrüche. Eine Reservenstrategie ist gegenwärtig unsichtbar. In dieser Zeit der gesellschaftlichen Notlage und einer unsicheren Zukunft sollten sich die Ärzte global und überkonfessionell ihrer Rolle neu bewusst werden. Der Arzt muss ein Anker bleiben für die ganze Bevölkerung, die mannigfacher Unterstützung bedarf, ebenso gut im technischen wie im moralischen Sinn. Der Arzt muss die neutrale Rolle eines überkonfessionellen Beraters und Beschützers für die bedrohten Menschen übernehmen, die überall nach Hilfe suchen werden. Durch eine Verstärkung der Rolle des Arztes in der Gesellschaft ist es auch möglich, neue Konflikte zu vermeiden, durch Gruppierungen, welche die Schwächesituation der Menschheit für sich auszunützen versuchen könnten.