Nachholbedarf in Sachen Ärztegesundheit

FMH
Ausgabe
2020/38
DOI:
https://doi.org/10.4414/saez.2020.19213
Schweiz Ärzteztg. 2020;101(38):1171-1172

Affiliations
a Wissenschaftliche Mitarbeiterin / stv. Leitung der Abteilung Public Health FMH
b Leiterin Abteilung Public Health FMH
c Dr. med., Mitglied des FMH-Zentralvorstandes, Departementsverantwortlicher Public Health, Gesundheitsberufe und Heilmittel

Publiziert am 15.09.2020

Mit dem Slogan «la santé des autres dépend de la nôtre» [1] hat das Unterstützungsnetzwerk für Ärztinnen und Ärzte in Québec (PAMQ) 1990 einen zentralen Aspekt der ärztlichen Tätigkeit konzise zusammengefasst. Die eigene Gesundheit der Ärztinnen und Ärzte ist ein zentrales Gut und hat Auswirkungen auf die Qualität der Patientenversorgung. Im ärztlichen Arbeitsalltag und seinen Rahmenbedingungen gibt es bezüglich der Berücksichtigung dieser Tatsache noch Nachholbedarf.
Ärztinnen und Ärzte setzen sich jeden Tag für die Gesundheit ihrer Patientinnen und Patienten ein und gehen dabei bis an ihre Grenzen und darüber hinaus. Der eigenen Gesundheit Rechnung zu tragen ist jedoch genauso Pflicht und Recht für Ärztinnen und Ärzte. Das Genfer Gelöbnis wurde im Oktober 2017 aktualisiert und verpflichtet Ärztinnen und Ärzte, zur eigenen Gesundheit Sorge zu tragen. In der offiziellen deutschen Übersetzung steht: «Ich werde auf meine eigene Gesundheit, mein Wohlergehen und meine Fähigkeiten achten, um eine Behandlung auf höchstem Niveau leisten zu können» [2]. In der Schweiz ist der Gesundheitsschutz zudem auch rechtlich verankert. So muss der Arbeitgeber «alle Anordnungen erteilen und alle Massnahmen treffen, die nötig sind, um den Schutz der physischen und psychischen Gesundheit zu wahren und zu verbessern» [3].
Leider scheint es auch heute noch so, dass die Voraussetzungen im anspruchsvollen medizinischen Berufsalltag so gestaltet sind, dass es vielen Ärztinnen und Ärzten schwerfällt, auf die eigene Gesundheit zu achten. Selbsttherapie, Selbstdiagnostik und ausgeprägter Präsentismus sind weit verbreitet und dem Fakt geschuldet, dass die Arbeitslast so hoch ist, dass ein Ausfall bei der Arbeit nicht kompensiert werden kann. Die Stiftung Arztgesundheit aus Deutschland weist Infektionen, körperliche und psychische Überlastung, Traumatisierung, Suchterkrankungen und Arztsuizid als grösste Risikofaktoren für Ärztinnen und Ärzte aus [4]. Der mangelhafte Umgang mit der eigenen Gesundheit hat einerseits Auswirkungen auf das eigene Wohlbefinden; eigene Erkrankungen werden immer wieder falsch eingeschätzt oder zu spät erkannt und behandelt. Andererseits beeinflusst die eigene Gesundheit auch die Versorgung von Patientinnen und Patienten. Die effektive und qualitativ hochwertige Patientenversorgung ist abhängig von der Gesundheit und Zufriedenheit der behandelnden Ärztinnen und Ärzte [5].
Einer der Gründe für den schwierigen Umgang mit der eigenen Gesundheit liegt wohl in den hohen Erwartungen, die Ärztinnen und Ärzte an sich selbst stellen bzw. die an sie gestellt werden. Der Anspruch, im eigenen Fachgebiet alles zu wissen, keine Fehler zu machen und gleichzeitig Patientinnen und Patienten stets mit der grössten Aufmerksamkeit zu behandeln, geht einher mit der Vorstellung, dies auch wirtschaftlich und effizient zu leisten. Gleichzeitig haben sie den Anspruch, auch ausserhalb des ärztlichen Alltags aus­geglichen und glücklich zu sein, eine Beziehung zu pflegen, Kinder grosszuziehen und eigene Hobbys zu pflegen. Diese Ziele sind schlicht nicht in Einklang zu bringen und erst recht nicht nur durch eine Person zu erfüllen.
Diese Ausgangslage führt in eine Spirale, die nichts ­Gutes erahnen lässt. Denn die Überlastung und Vernachlässigung der eigenen Gesundheit von Ärztinnen und Ärzten führen im Endeffekt dazu, dass die Qualität der eigenen Arbeit leidet, obwohl durch das gelebte Verhalten angestrebt wird, dass Patientinnen und ­Patienten eine optimale Behandlung erhalten. Anspruch und Wirklichkeit gehen in diesem Fall auseinander. Ein adäquater Umgang und ein Bewusstsein für Pflicht und Recht auf die eigene Gesundheit sowie die Auswirkungen auf die Behandlung müssen gefördert werden. Hier besteht eindeutig Handlungsbedarf auf unterschiedlichen Ebenen.
Im neuen Lernzielkatalog PROFILES für das Studium der Humanmedizin, der seit dem 1. Januar 2018 gilt, ist abgebildet, dass die Problematik erkannt ist [6]. In zwei Lernzielen wird die Gesundheit von Ärztinnen und Ärzten entsprechend gewichtet:
– GO 7.2 «Be aware of their own limits, and seek super­vision when appropriate.»
– GO 7.9 «Allocate personal time and resources effectively in order to balance patient care, learning needs, and private activities outside the workplace, and to sustain their own health; recognize excessive stress; recognize their own substance misuse or personal illness in order to protect patients.»
Mit der Anpassung der Lernziele wird bereits im Studium ein Rahmen geschaffen, der Klinik, Public Health und Ethik verbindet und somit die ärztliche Tätigkeit in ein Umfeld verortet, das auch der Realität entspricht und den integrativen Ansatz verfolgt. Damit ist auch ein notwendiger Wertewandel eingeleitet.
Als Berufsverband ist auch die FMH im Bereich der Ärztegesundheit aktiv. In einer internen Arbeitsgruppe werden die bereits bestehenden Angebote im Bereich der Ärztegesundheit der FMH stärker koordiniert und der Auftritt gegen aussen geschärft (siehe Tab. 1).
Tabelle 1: Bestehende Angebote zur Ärztegesundheit der FMH.
AngebotKurzbeschrieb
ReMedUnterstützungsnetzwerk für Krisensituationen sowie die ­Vermittlung von präventivem Wissen und Erfahrung mit ­24-Stunden-Helpline: www.swiss-remed.ch
Coach my CareerGenerationenübergreifendes Mentoring-Angebot für den ärztlichen Nachwuchs. Insbesondere für die Planung der ­Weiterbildung und beruflichen Entwicklung.
Prevention for doctorsVeranstaltungen zur Sensibilisierung für einen adäquaten Umgang mit Belastungen des Ärzte­alltags. Leitung der breit abgestützten Arbeitsgruppe zur Umsetzung von diversen Projekten.
BerufsentwicklungAnalyse der Bedürfnisse der ärztlichen Nachwuchskräfte und Beobachtung des medizinisch-­demographischen Wandels. Entwicklung neuer Dienstleistungen für die Mitglieder der FMH.
Aus der Veranstaltungsreihe «Gesunde Ärzte: vom Studium bis zur Pensionierung» ist eine Arbeitsgruppe hervorgegangen. Die Mitglieder der Arbeitsgruppe ­setzen sich zusammen aus Vertretern diverser Ärzteorganisationen und weiterer relevanter Stakeholder: Swiss Medical Students Association swimsa, Verband Schweizerischer Assistenz- und Oberärzte/-innen VSAO, Schweizerisches Institut für Weiter- und Fort­bildung SIWF, Staatssekretariat für Wirtschaft SECO, Haus- und Kinderärzte Schweiz mfe, Junge Hausärztinnen und Hausärzte Schweiz JHaS, Verbindung Schweizer Ärztinnen und Ärzte FMH. Gemeinsam werden relevante Projekte zur Ärztegesundheit umgesetzt. «Für die Gesundheit von Ärztinnen und Ärzten zu sorgen ist dabei kein fragwürdiger Luxus einer elitären Berufsgruppe oder eine Überpsychologisierung ärztlicher Berufspraxis, sondern unverzichtbare Voraussetzung für eine hochwertige Patientenversorgung» [7]. Individuelle und strukturelle Anpassungen werden zukünftig der Schlüssel sein, um dem offensichtlichen Handlungsbedarf zu begegnen und einen medizinischen Arbeits­alltag zu ermöglichen, der die Gesundheit von Ärztinnen und Ärzten nicht gefährdet. Denn um eine Behandlung auf höchstem Niveau leisten zu können, braucht es eine entsprechende Gestaltung der Arbeit und die Achtung der eigenen Gesundheit.
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public.health[at]fmh.ch
1 Programme d’aide aux médecins du Qébec, http://pamq.org/fr/ (Zugriff am 21.8.2020).
2 Weltärztebund, Deklaration von Genf, aktualisiert an der Generalversammlung des Weltärztebundes, Chicago, Oktober 2017.
3 ArGV 3 Art. 2: Grundsatz.
4 Stiftung Arztgesundheit: Flyer «Geht’s Ihnen noch gut?».
5 Wallace JE, Lemaire JB, Ghali WA. Physician wellness: a missing quality indicator. Lancet. 2009;374:1714–21.
6 PROFILES, https://www.profilesmed.ch/ (Zugriff am 21.8.2020).
7 Aus KVSH, Nordlicht aktuell 2008.