Die Position des FMH-Zentralvorstands

Zertifizierungen zur Stärkung der Qualität in der Medizin

FMH
Ausgabe
2020/42
DOI:
https://doi.org/10.4414/saez.2020.19220
Schweiz Ärzteztg. 2020;101(42):1343-1344

Publiziert am 13.10.2020

Zertifizierungsverfahren bestätigen, dass eine Gesundheitseinrichtung vorbestimmte Standards erfüllt. Standards zielen darauf hin, ungerechtfertigte Unterschiede in der Versorgung zu reduzieren, die Patientensicherheit zu gewährleisten und schliesslich eine hohe Versorgungsqualität zu unterstützen. Die Bedeutung von Zertifizierungen nimmt aufgrund der zunehmenden Komplexität der Gesundheitsversorgung zu. Der FMH-Zentralvorstand begrüsst Zertifizierungsverfahren, die auf einer validen und evidenzbasierten Grundlage aufbauen, die ärztliche Organisationen miteinbeziehen und patientenzentriert sind. Weitere Untersuchungen zur Wirksamkeit von Zertifizierungen müssen zeigen, welchen Nutzen die Patienten davon haben und wie dieser in Relation zu den Kosten steht, gemäss dem gesetzlich geforderten WZW-Prinzip.

Die Ausgangslage

Zertifizierungen sind nützlich, um Standardprozesse und Rollenverteilungen klar und transparent zu definieren. Die Aussensicht hilft, Verbesserungspotenzial aufzudecken und somit auch Verbesserungen von Strukturen und Prozessen einzuleiten (z.B. kürzere Wartzeiten durch effizientere Praxisorganisation, Pandemievorbereitung), und sie unterstützt eine Qualitätskultur. Die Bedeutung des Nachweises der Behandlungsqualität im Gesundheitswesen ist in den vergangenen Jahren gestiegen, nicht zuletzt auch aufgrund der Forderung nach mehr Transparenz durch die Öffentlichkeit und Politik. Zertifizierungen sind ein Instrument, welches einen wichtigen Beitrag zur Transparenz und zur Stärkung der Qualität in der ­Medizin leisten kann. Zentral dabei ist, dass die Qualitätsindikatoren nachweislich einen Nutzen für die ­Patienten bringen. Der Nutzen von Zertifizierungen muss laufend überprüft und wenn nötig angepasst werden.

Die Argumente

Für die Unterstützung von Zertifizierungen stehen aus Sicht des Zentralvorstands der FMH folgende Aspekte im Vordergrund.

Die Qualitätsrelevanz ist ausgewiesen

Das Ziel und die Bedeutung einer Zertifizierung müssen klar beschrieben und deklariert sein. Eine Zertifizierung soll den Empfehlungen «Zertifizierung im medizinischen Kontext» der Schweizerischen Akademie der Medizinischen Wissenschaften entsprechen. Die Zertifizierungsstelle ist nachweislich für ihre Aufgabe qualifiziert und unabhängig. Die Standards sind ­evidenzbasiert, beziehen sich auf die aktuellen in der Schweiz anerkannten Guidelines und decken unbegründete Abweichungen in der Versorgung auf.

Feedbacksystem

Es gibt ein transparentes und definiertes System, wie die Einhaltung der Standards gemessen werden (Feedbacksystem). Die erhobenen Daten werden analysiert, validiert und gegebenenfalls im Sinne eines PDCA (Plan, Do, Check, Act)-Zyklus dazu verwendet, die Ergebnisse zu verbessern. Ebenfalls sollen die Auswirkungen von Zertifizierungen auf die Gesundheits­versorgung im übergeordneten Sinne und schliesslich bezüglich des Mehrwerts an der Patientenschaft aufgezeigt werden. Der Früherkennung vulnerabler Regionen und Gruppen kommt eine zunehmend grosse ­Bedeutung zu. Der ergebnisoffene und reflektierte Umgang mit den Resultaten unter Einbezug der Beteiligten ist entscheidend.

Implementierung

Um den Aufwand von Zertifizierungsverfahren möglichst effizient gestalten zu können, sollten diese auf bereits erhobenen und verfügbaren Daten des Behandlungsprozesses basieren. Zentrale Erfolgsfaktoren für eine Zertifizierung sind die positive Einstellung der Gesundheitsfachpersonen sowie die – über Hierarchien hinweg – partizipative Ausgestaltung des Zerti­fizierungsprogramms, welches auf für die Beteiligten relevanten Standards basiert. Zertifizierungsverfahren sollten mit regulatorischen Vorgaben abgestimmt und durch entsprechende Anreize und Finanzierung unterstützt werden.

Patientenzentriert, interprofessionell 
und interdisziplinär

Besonderes Augenmerk liegt auf der Patientensicherheit und damit dem zentralen Einbezug der Patienten, der nachhaltigen Zusammenarbeit aller Beteiligten und auf der Kontinuität der Versorgung (z.B. ist das Verfahren interdisziplinär und interprofessionell, ­Verantwortlichkeiten und Zuständigkeiten sind definiert und umgesetzt). Gefragt sind Programme, welche die Behandlungspfade und diese abbildenden relevanten Datenbanken zwischen Spitälern und Grundversorgung, zwischen somatischer und psychiatrischer Versorgung und zwischen Spitalversorgung, stationärer Langzeitpflege und häuslicher Pflege vernetzen.

Qualitätssicherung

Zertifizierungen unterstützen eine hohe Verbindlichkeit und können umfangreiche Aspekte der Versorgung ­abdecken. Sie können beispielsweise Gesundheitseinrichtungen dabei unterstützen, spezifische Behandlungspfade zu implementieren, die Compliance mit ­definierten Guidelines zu erreichen oder valide Daten zu erheben.

Unsere Empfehlungen

– Der Zentralvorstand der FMH begrüsst Zertifizierungsverfahren, die auf einer validen und evidenzbasierten Grundlage basieren und deren Qualitäts­relevanz ausgewiesen ist.
– Die Wahl des Zertifizierungsverfahrens muss auf die Zielsetzung und die Herausforderungen der ­jeweiligen Patientinnen und Patienten, Gesundheitsfachpersonen und Gesundheitseinrichtungen abgestimmt sein. Ein Top-down-Ansatz ist nicht zielgerichtet. Die Eignung von Zertifizierungen kann je nach Fachrichtung unterschiedlich ausfallen. Die Expertise der ärztlichen Organisationen ist miteinzubeziehen.
– Zertifizierungsverfahren sollen so in den Praxis­alltag integriert werden, dass sie den Arbeitsfluss idealerweise unterstützen, zumindest jedoch nicht behindern.
– Es gibt ein transparentes und definiertes System, wie die Ergebnisse betreffend Einhaltung der Standards gemessen, validiert und interpretiert werden (Feedbacksystem). Die Resultate werden analysiert und dazu verwendet, nebst deren Einhaltung auch die Standards selbst zu verbessern.
– Besonderes Augenmerk liegt auf der Patienten­sicherheit, dem zentralen Einbezug der Patienten, der nachhaltigen Zusammenarbeit aller Beteiligten und auf der Kontinuität der Versorgung (z.B. ist das Verfahren interdisziplinär und interprofessionell, Verantwortlichkeiten und Zuständigkeiten sind bruchfrei definiert und umgesetzt).
– Weitere Untersuchungen zur Wirksamkeit von Zertifizierungen sollen zeigen, welchen Nutzen die Pat­ienten davon haben und wie dieser in Relation zu den Kosten steht, getreu dem gesetzlich geforderten WZW-Prinzip, welches auch hier anzuwenden ist.
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