smarter medicine: «Top-5-Liste» für Dermatologie und Venerologie

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Ausgabe
2020/41
DOI:
https://doi.org/10.4414/saez.2020.19246
Schweiz Ärzteztg. 2020;101(41):1302-1303

Publiziert am 07.10.2020

Seit einigen Jahren hat sich auch die Ärzteschaft neben ihren medizinischen Kernkompetenzen zunehmend mit Kosten- und Qualitätsfragen zu beschäftigen. Obwohl die Schweiz erwiesenermassen über eines der weltweit besten Gesundheitssysteme verfügt und eine der höchsten Lebenserwartungen aufweist, sind die Gesundheitskosten überdurchschnittlich angestiegen. Neben medizinischen Innovationen und der demographischen Entwicklung (Überalterung der Bevölkerung, Zuwanderung) kann in bestimmten Bereichen auch eine gewisse Überversorgung zur Kostensteigerung beitragen.
Bereits 2011 wurde deshalb in den USA die «Choosing wisely»-Initiative lanciert. Auch in der Schweiz wurde eine entsprechende «smarter medicine»-Kampagne initiiert. Die sogenannten «Top-5-Listen» aus jeder klini­schen Fachdisziplin bilden die Basis. Die Listen enthalten je fünf medizinische Massnahmen, auf die in der Regel verzichtet werden kann bzw. welche sogar nutzlos sind.

Die Kampagne «smarter medicine»

Der Trägerverein «smarter medicine – Choosing Wisely Switzerland», der nebst medizinischen Fach- und Berufsorganisationen auch von Patienten- und Konsumentenorganisationen unterstützt wird, möchte die Öffentlichkeit für die Themen der Fehl- und Überversorgung sensibilisieren. Die Kampagne knüpft an die amerikanische Initiative «Choosing Wisely» an, die zum Ziel hat, nicht nur «kluge Entscheidungen» herbeizuführen, sondern auch die offene Diskussion zwischen Ärzteschaft, Patientinnen und Patienten sowie der Öffentlichkeit zu fördern.
Kernstück der Initiative sind die sogenannten «Top-5-Listen» der medizinischen Fachgesellschaften, die je fünf unnütze Behandlungen in ihrem Fachbereich aufführen. Zudem sind die bisher veröffentlichten Empfehlungen in einer für die Öffentlichkeit verständlichen Sprache verfügbar, um gemeinsame Entscheidungen zu treffen.
Weitere Informationen zum Trägerverein und eine Übersicht über die bestehenden Top-5-Listen sind zu finden unter www.smartermedicine.ch
Mit Blick auf den steigenden Kostendruck und die pa­tientengerechte medizinische Versorgung möchte die Schweizerische Gesellschaft für Dermatologie und Venerologie (SGDV) diese sinnvolle Kampagne ebenfalls mittragen. Sie hat dafür eigens die vorliegende Top-5-Liste entwickelt. Sie soll Qualitäts-, Sicherheits- und Kostenbewusstsein innerhalb der Ärzteschaft fördern.

Die Schweizerische Gesellschaft für Dermatologie und Venerologie gibt die folgenden fünf Empfehlungen ab:

1. Eine antimykotische Systembehandlung bei Nagelpilzverdacht nur bei Pilznachweis durchführen.

Eine Onychomykose wird meistens durch Dermatophyten (häufig Trichophyton rubrum und Trichophyton interdigitale) verursacht. Diese sind in der Regel gegenüber Standardbehandlungen mit Azolderivaten und Terbinafin sensibel, gegenüber Terbinafin wurden jedoch bereits Resistenzen beschrieben. Zusätzlich kann ein Nagelpilz auch durch Nicht-Dermatophyten wie Hefe- (Candida spp.) und Schimmelpilze (z.B. Fusarium spp. und Aspergillus spp.) entstehen. Während Hefepilze nur auf Azolderivate ansprechen, sind Schimmelpilze einer systemischen antimykotischen Standardbehandlung nicht zugänglich. Schliesslich können zahlreiche weitere Ursachen (z.B. Psoriasis, Lichen ruber, vaskuläre Insuffizienz, mechanische und chemische Irritationen etc.) zu dystrophen Nägeln führen. Um unnütze Therapien sowie das Risiko von medikamentösen Nebenwirkungen zu reduzieren, sollte deswegen vor einer antimykotischen Therapie die Pilzdiagnose mikrobiologisch bestätigt werden.

2. Entzündliche Dermatosen primär mit ­topischen und nicht mit systemischen ­Kortikosteroiden behandeln.

Grundsätzlich kann zwar der kurzfristige Einsatz ­systemischer Kortikosteroide schwere Symptome ­lindern, allerdings droht nach deren Absetzen nicht selten ein rasches Rezidiv oder sogar eine Verschlechterung (sogenannter Reboundeffekt). Eine Langzeit­behandlung mit systemischen Kortikosteroiden kann unter Umständen schwerwiegende kurz- und längerfristige Nebenwirkungen verursachen. Ausnahmen von dieser Regel können schwere Arzneimittel- und anaphylaktische Reaktionen sowie generalisierte oder therapieresistente Dermatosen sein.

Zur Entstehung dieser Liste

Innerhalb des Vorstandes sowie der Arbeitsgruppe «Kommunikation und Strategie» der Schweizerischen Gesellschaft für Dermatologie und Venerologie (SGDV) wurden mögliche Ansätze und Erfahrungen aus der Praxis für die Entwicklung einer Top-5-Liste zusammengetragen. Diese wurden mittels medizinischer Literatur geprüft und untermauert. Die Mitglieder der SGDV wurden anschliessend gebeten, ihre Rückmeldungen und Kommentare abzugeben. Die finalisierte Liste wurde schliesslich vom Vorstand der SGDV überprüft und genehmigt.

3. Serologische Testungen zur Diagnostik von Herpes-simplex-Virus-Infektionen der Haut vermeiden.

Positive serologische Reaktionen sind meistens Ausdruck einer chronischen Infektion, dies ist bei einem Grossteil der Bevölkerung der Fall. Bei einer primären akuten Infektion kann der Antikörpertiter hingegen noch falsch negativ ausfallen. Bei lokalen Rezidiven sind in der Regel weder IgM-Antikörper noch nennenswerte Anstiege der IgG-Antikörper nachweisbar.

4. Bei dermatochirurgischen Eingriffen die Antikoagulation in der Regel nicht absetzen.

Das Blutungsrisiko ist bei Hauteingriffen, inklusive einfacher Lappenplastiken, generell klein, und es existieren keine Berichte über lebensgefährliche Blutungen. Die Gefahr thromboembolischer und thrombo­tischer Komplikationen nach Ab- oder Umsetzen von Thrombozytenaggregationshemmern und Antikoagulanzien ist deswegen in der Regel höher zu gewichten als ein blutungsbedingtes Operationsrisiko. Die wissenschaftliche Datenlage unterstützt dieses Vorgehen insbesondere bei einer Monotherapie mit Antikoagulanzien oder Thrombozytenaggregationshemmern. Bei kombinierten, mit erhöhtem Blutungsrisiko assoziierten Therapien (beispielsweise ASS und Clopi­do­grel) sowie bei den diesbezüglich weniger gut unter­­suchten neueren oralen Antikoagulantien (Faktor-­Xa-­
Hemmer) ist ein individuelles und risiko­adaptiertes Vorgehen in Absprache mit Gerinnungsspezialisten erforderlich. Erwähnenswert ist, dass die frühere Technik des «Bridgings» von oraler Antikoa­gulation auf Hepa­rin das Blutungsrisiko sogar erhöht. Die wissenschaftlichen Fakten zeigen also, dass in den meisten Situa­tionen die Antikoagulation für einen hautchir­urgischen Eingriff nicht unterbrochen werden muss. In Ausnahmefällen («grosse Chirurgie») muss individualisiert vorgegangen werden.

5. Bei Hauteingriffen ohne zusätzliche ­Risikofaktoren auf perioperative Antibiotika­prophylaxe verzichten.

Das Risiko von Wundinfektionen bei dermatologischen Interventionen ist im Allgemeinen gering. Eine perioperative Antibiotikaprophylaxe muss insbesondere bei kontaminierten resp. infizierten Wunden sowie bei gewissen Risikofaktoren evaluiert werden. Bei Lappenplastiken an gewissen Lokalisationen wie beispielsweise an der unteren Nasenhälfte, den Lippen, am Ohr, in der Leistenregion, am Unterschenkel und am Fuss reduziert eine antibiotische Prophylaxe das chirurgische Wundinfekt-Risiko. Dies gilt auch für zweizeitige Eingriffe, ulzerierte oder verkrustete Hautbefunde. Bei Immunsuppression im Rahmen von ­Medikamenten, systemischen Erkrankungen und Malnutrition wird ebenfalls eine Antibiotikaprophylaxe empfohlen. Ein weiterer Grund dafür können Infek­tionen an anderen Lokalisationen oder Träger von Methicillin-resistentem oder -sensiblem Staphylococcus aureus (MRSA/MSSA) sein. Zusätzlich erfordert ein ­hohes Endokar­ditisrisiko (mechanische Herzklappenprothesen, St. n. Endokarditis, gewisse kongenitale Herzvitien) bei Schleimhauteingriffen und Eingriffen an kontaminierten Hautbefunden eine spezifische Prophylaxe.
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