Positionspapier von mediX-Ärztenetze (mediX schweiz) und mfe Haus- und Kinderärzte Schweiz

Die Rolle der Haus- und Kinderärzte bei der Covid-19-Bewältigung

Organisationen der Ärzteschaft
Ausgabe
2020/46
DOI:
https://doi.org/10.4414/saez.2020.19321
Schweiz Ärzteztg. 2020;101(46):1530-1531

Affiliations
a Präsident der mediX-Ärztenetze (mediX schweiz); b Präsident mfe Haus- und Kinderärzte Schweiz

Publiziert am 11.11.2020

Die Haus- und Kinderärzte nehmen in der Bewältigung von Infektionskrankheiten und speziell der Covid-19-Pandemie eine essentielle Rolle ein und sollen von den ­offiziellen Stellen konsequent in die Planung und Umsetzung miteinbezogen werden.
Haus- und Kinderärzte nehmen in der Bewältigung von Infektionskrankheiten und der Covid-19-Pandemie eine essentielle Rolle ein. Sie sind für die allermeisten Patienten die erste Anlaufstelle bei infektiösen Krankheiten und entscheiden, wer eine stationäre Behandlung benötigt, und betreuen die Patienten nach der Spitalentlassung weiter. Sie stehen am Anfang und am Ende der Betreuungskette und arbeiten mit den Spitälern eng zusammen.
Im Gegensatz zu reinen Testzentren können erkrankte Patienten in den Hausarztpraxen breiter abgeklärt, ­diagnostiziert und gezielt behandelt werden. Gegenüber Spitalambulatorien arbeiten Hausarztpraxen mit einem geringeren Aufwand und Einsatz der Mittel.
Am Anfang der Covid-19-Pandemie waren die Regu­lative und die Logistik für die Schutzmaterialien un­genügend koordiniert, was gerade bei Haus- und Kinderärzten zu Unsicherheit führte. Deshalb wird es im weiteren Verlauf der Pandemie wichtig sein, dass kantonsärztliche Konzepte vereinheitlicht werden. Ein ganz praktischer Grund hierfür ist, dass Haus- und Kinderärzte Patienten aus verschiedenen Kantonen betreuen. Die teilweise nach wie vor widersprüchlichen Verordnungen erschweren jedoch ihre Arbeit.
Wir machen mit diesem Positionspapier Vorschläge zu einer besseren Koordination der Massnahmen unter konsequentem Einbezug der Haus- und Kinderärzte. Dies ist umso wichtiger, als für den kommenden Winter aufgrund der saisonalen Influenza und der grippalen Erkrankungen mit einer deutlichen Zunahme von viralen Infekten und entsprechenden diagnostischen Abklärungen zu rechnen ist.
Den grössten Teil der klinisch-ambulanten Arbeit werden die Haus- und Kinderärzte erledigen. Die folgenden Ausführungen und Empfehlungen basieren auf der täglichen Erfahrung und qualitativen Evidenz der praktizierenden Grundversorger.
Daraus ergeben sich folgende Empfehlungen respektive Postulate:
1. Die erste Phase der Covid-19-Pandemie hat gezeigt, dass die Grundversorger eine zentrale Rolle in der Diagnostik, Beratung und Behandlung und später, falls vorhanden, der Beratung und Gabe eines Impfstoffes einnehmen. Sie kennen die Komorbiditäten und die Krankengeschichte ihrer Patienten. Deshalb sind sie an mehreren entscheidenden Stellen der Covid-19-Pandemie direkt oder indirekt involviert. Die Haus- und Kinderärzte sind auf allen Stufen in die Pandemieplanung und Krisenbewältigung einzubeziehen.
2. Die kantonalen Empfehlungen waren in der ersten Phase oft stark divergierend, was zu Unsicherheiten und unnötigem Mehraufwand geführt hat. Viele kantonale und eidgenössische Weisungen waren zu kompliziert und im Praxisalltag kaum umsetzbar. Die Schutzkonzepte waren teilweise nicht praxis­tauglich. Hausärzte können solche Divergenzen schnell kantonalen Behörden melden. Zum Beispiel schreibt der eine Kanton für die Abstrichentnahme einen Schutzmantel vor, der andere rät davon ab. Die Kantonsärzte legen für die ambulante Praxis in Absprache mit kantonalen und nationalen Behörden eine einheitliche Umsetzung des Pandemiekonzepts vor und koordinieren sich überkantonal. Das Ziel ist eine für die Grundversorgung kantonsunabhängige, einheitliche Verlautbarung. Die Regulative werden von der Konferenz der Kantonsärzte und vom BAG unter Mitarbeit der Haus- und Kinderärzte einheitlich gestaltet. Sie müssen praxistauglich sein. Die nie­dergelassenen Ärzte werden vor Inkraftsetzung in­formiert und wo ­nötig in die Erarbeitung miteinbe­zogen.
3. Wir stellten fest, dass die staatlichen Stellen oft keine Kenntnis über die Organisiation der Haus- und Kinderärzte und keine direkten Kontakte zu den offiziellen Vertretern der Grundversorger hatten. Die Haus- und Kinderärzte schweiz (mfe) benennen ihre Vertreter und Ansprechpartner für alle Gremien auf Kantons- und Bundesebene.
4. Während der initialen Phase gab es Lieferengpässe bei den Labor- und Schutzmaterialien. Die Haus- und Kinderärzte werden bezüglich spezifischer Dia­gnostik und Schutzmaterialien nach einem vorbereiteten Konzept logistisch unterstützt, falls über die offiziellen Bezugskanäle nicht genügend Materialien bestellt werden können.
5. Viele niedergelassene Ärzte waren für die Pandemie ungenügend oder sogar schlecht vorbereitet und haben sich aus verschiedenen Gründen nicht an der Primärversorgung der Covid-19-Pandemie beteiligt. Wir ermutigen Haus- und Kinderärzte, dass sie unter Berücksichtigung der räumlichen Verhältnisse und ihres eigenen Gesundheitszustands Covid-19-Dia­gnos­tik anbieten und Covid-19-Patienten behandeln. Die Vergütungskriterien für die Diagnostik sind einfach und klar geregelt und sollen nicht laufend geändert werden.
6. Die hausärztliche Erfahrung zeigt, dass viele Patienten der Grippeimpfung gegenüber kritisch bis ablehnend eingestellt sind. Die Impfung bekommt unter der Covid-19-Pandemie einen noch wichtigeren Stellenwert, weil wir die Anzahl Grippefälle so tief wie möglich halten sollten. Die Grippeimpfung soll entsprechend den BAG-Kriterien so konsequent wie möglich empfohlen und in den Praxen angeboten werden.
7. Die Informationskanäle der offiziellen Stellen zu den niedergelassenen Ärzten mussten in vielen Kantonen erst aufgebaut werden. Die kantonalen Stellen haben dann rasch begonnen, die Kapazitäten in den Praxen zu erfassen. Die Gesundheits­direktionen sind in der Lage, die Haus- und Kinderärzte direkt zu infomieren, und wissen über die Ressourcen der Haus- und Kinderärzte Bescheid (welche Praxen machen Coronatests und haben freie Kapazitäten).
8. Die anfänglichen Unklarheiten über Zuständig­keiten und Kompetenzen führten teilweise zu unkoordiniertem Vorgehen und Mehrspurigkeiten. Die Haus- und Kinderärzte sind im lead bezüglich ­Patientenführung (Befundmitteilung und Nachbetreuung).
9. In der ersten Welle wurden von den kantonalen Stellen rigorose Isolationsvorschriften für die Alters- und Pflegeheimpatienten angedordnet. Wir wis­sen aus unseren damit gemachten Beobachtungen, dass wir die Besuchsrechte in Zukunft differenzierter und individuell abgestützt gestalten müssen. Dies entspricht auch einem Policy Brief der natio­nalen Covid-19-Science-Taskforce. Die Haus- und Kinderärzte und Altersheim-/Pflegeheimärzte sind in die Entschei­dungen über Besuchsrestriktionen (Schutzkonzepte) in den Heimen miteinzubeziehen. Die Einschränkungen sollen auf dem tiefstmöglichen Niveau gehalten werden.
10. Das BAG und die kantonsärztlichen Dienste waren für das Meldewesen schlecht vorbereitet und von einer digital einheitlichen Lösung weit entfernt. Wir haben nach einem halben Jahr Pandemie immer noch teilweise Faxmeldungen im Einsatz. Die administrativen Arbeiten für die Haus- und Kinderärzte sind auf ein Minimum zu beschränken; insbesondere ist das Meldewesen digital und koordiniert (BAG und Kantone) zu gestalten.
11. Die Forschung hat sich bis jetzt weitgehend auf die stationären Covid-19-Fälle konzentriert und die Reallife-Situation in der ambulanten Versorgung vernachlässigt. Die universitären Institute für Hausarztmedizin (IHAM) müssen miteinbezogen und die wissenschaftliche Begleitung muss gefördert werden, dies mit dem Ziel, die Grundversorgung im Pandemie-Management zu stärken.

Das Wichtigste in Kürze

• Haus- und Kinderärzte sind für die allermeisten Patienten die erste Anlaufstelle bei infektiösen Krankheiten und entscheiden, wer eine stationäre Behandlung benötigt, und betreuen die Patienten nach der Spitalentlassung weiter.
• Die mediX-Ärztenetze (mediX schweiz) und mfe Haus- und Kinderärzte Schweiz machen mit diesem Positionspapier Vorschläge zu einer besseren Koordination der Massnahmen unter konsequentem Einbezug der Haus- und Kinderärzte.
• Insgesamt elf Empfehlungen bzw. Postulate stellen die beiden Vereinigungen in diesem Artikel vor.
Dr. med. Felix Huber
Facharzt für Allgemeine Innere Medizin FMH
Präsident der mediX-Ärztenetze (mediX schweiz)
mediX Praxis Altstetten
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Dr. med. Philippe Luchsinger
Facharzt für Allgemeine Innere Medizin FMH
Präsident mfe Haus- und Kinderärzte Schweiz
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