Neuere Arbeitsmodelle stärker umsetzen

Briefe / Mitteilungen
Ausgabe
2020/47
DOI:
https://doi.org/10.4414/saez.2020.19386
Schweiz Ärzteztg. 2020;101(47):1569

Publiziert am 17.11.2020

Neuere Arbeitsmodelle stärker umsetzen

Die Auswirkungen des New-Public-Managements im Gesundheitswesen sind, gelinde ­gesagt, katastrophal. Manager steuern das Personal mit Zielvorgaben, der Administrationsaufwand wächst ins Unermessliche, weil alles gemessen, kontrolliert, optimiert werden muss. Das Problem ist dabei, dass nicht wissenschaftlich untersucht wird, ob das Outcome nach all den Massnahmen besser ist. Denn schon die nächste Reorganisation verhindert die Analyse der vorangegangenen Reorganisation.
Die Spitalleitungen entwerfen Strategien. Unter­nehmensentwickler und Berater haben Hochkonjunktur. Ärzteschaft und Pflege hingegen fühlen sich zunehmend zu Befehlsempfängern degradiert. Wo es zu viele ­Vorschriften und zu ausgeprägte Machtstrukturen gibt, gehen Beziehungen kaputt und die Leute werden zynisch. Resignation, Des­illusionierung oder gar Aufgabe des Berufs sind weit verbreitet. Wo Menschen hingegen Verantwortung übernehmen und zusammen Lösungen finden können, fühlen sie sich zuständig und entwickeln Eigeninitiative.
Setzen sich Kaderärztinnen und -ärzte gegen die ökonomischen Vorgaben zur Wehr wie die Chefärzte der Spitäler Uster und Bülach, drohen Konsequenzen, worunter die Arbeitsbedingungen noch mehr leiden. Kaderärztinnen und -ärzte sollen ‘normale Angestellte’ werden. Dies allerdings bei unveränderter Erwartung, was die ausserordentliche Belastbarkeit und die oft extreme Arbeitsleistung anbelangt. In der Schweizerischen Ärztezeitung vom 28.10.2020 widerspiegelt sich dies in folgen­den Zahlen: «… bereits 47 Prozent aller Befrag­ten monieren verschlechterte Arbeitsbedingungen. Fast die Hälfte der befragten Kaderärztinnen und -ärzte (49%) erlebt die veränderten Strukturen als negativ. Neue ­Organisationsstrukturen (26%), höherer Ad­ministrations­aufwand (26%) sowie Spital­lei­tungen (23%) werden als Ursachen für die Verschlechterung ausgemacht.»
Was muss sich ändern? Arbeitszeiten von mehr als 60 Stunden auf Kaderebene sind unattraktiv und mit dem Privatleben heute nicht mehr vereinbar. Warum werden neuere Arbeitsmodelle in Spitälern nicht stärker umgesetzt? Die immer noch vorherrschende Meinung ist, dass je höher man auf Kaderebene steigt, desto reizvoller die Aussicht wird. Aber die Aufgaben sind fast nur noch administra­tiver Art und der Gestaltungsspielraum wird immer geringer. Deshalb fehlt den Spitälern zunehmend der Nachwuchs.
Vielerorts sind Unternehmen bzw. Spitäler noch immer wie vor 100 Jahren organisiert, und erwachsene Menschen werden wie kleine Kinder behandelt, denen man permanent auf die Finger schauen muss, so dass z.B. das Spesen-, Fortbildungs- oder Poolreglement Dutzende von Seiten umfasst. Mitarbeiter müssen für alles Formulare ausfüllen, und mehrere Instan­zen müssen die Ausgaben bewilligen, welche Ressourcenverschwendung! Bei einem der grössten Streamingdienste besteht das Spesenreglement aus einem einzigen Satz: Die Mitarbeiter sollen im besten Interesse des Unternehmens handeln. Hierbei ist es erstaunlich, wie viele Vorschriften und Kon­trollmechanismen man weglassen kann und sich die Produktivität damit sogar noch steigern lässt.
Diejenigen, die sparen und zusätzlich noch 12- bis 36-Stunden-Schichten anordnen für Leute, die den ganzen Tag in Ganzkörper-Schutzkleidung unterwegs sind, sollten vielleicht auch einmal einen Monat lang am besten auf der Intensivstation arbeiten.