Das Führen von Spitälern

Briefe / Mitteilungen
Ausgabe
2020/5152
DOI:
https://doi.org/10.4414/saez.2020.19464
Schweiz Ärzteztg. 2020;101(5152):1738-1739

Publiziert am 15.12.2020

Das Führen von Spitälern

Der Artikel von Urs Brügger und Bettina ­Nägeli kommt der Problematik der heutigen Spitalführung viel näher als vermutlich be­absichtigt. Die Autoren halten fest, dass die besondere Herausforderung der CEO-Tätigkeit darin besteht, eine Expertenorganisation im Spannungsfeld Medizin–Ökonomie zu führen, und dass das Führen der Chefärztinnen und Chefärzte Fingerspitzengefühl erfordert, da diese als Experten in erster Linie ihrer fachlichen Disziplin verpflichtet seien und daher autonome Arbeitsbedingungen fordern. Solche an sich hilfreichen Modelle aus der Managementlehre als gegebene Realität darzustellen führt dazu, dass CEOs mit vor­gefassten Meinungen und fixierten Rollen­bildern auf ihre Kadermitarbeiter zugehen. Es schränkt die psychologische Flexibilität und die emotionale Agilität massiv ein; beides Kerneigenschaften für die erfolgreiche Führung moderner und komplexer Unternehmen.
Tatsächlich ist das System Spital heutzutage enorm komplex. Die Führung findet in einer multidimensionalen Matrixstruktur statt. Um diese steuern zu können, müssen Strukturen bestehen, um die interdisziplinären Teams zu führen, welche die Betreuung der Patienten vom Eintritt bis zum Austritt (in modernem Deutsch: den Patientenpfad) verantworten. Gleichzeitig müssen aber auch die Disziplinen (Ärztinnen und Ärzte, Pflegefachleute, Therapeutinnen und Therapeuten usw.) über die verschiedenen interdisziplinären Teams hinweg geführt werden können, etwa um die Qualität von Pflegestandards oder eine einheitliche Dokumentation zu gewährleisten. Schliesslich gilt es auch noch interdisziplinäre Spezialstationen wie zum Beispiel Intensivstationen oder Operationsabteilungen, welche die Patientenversorgung nur für eine gewisse Zeit übernehmen, in die Struktur einzubetten. Die höheren ärztlichen und pflegerischen Kadermitarbeiter sind längst nicht mehr nur Experten in ihrem Fachgebiet, sondern haben praktisch alle eine mehr oder weniger fundierte Ausbildung in Ökonomie und Management. Chefärztinnen und Chefärzte genauso wie Pflegedirektorinnen und Pflegedirektoren haben heutzutage neben ihrer Verpflichtung, den Patienten zu helfen, alle auch ein Verständnis für betriebswirtschaftliche Realitäten. Durch ihre zum Teil langjährige Tätigkeit am Patienten in verschiedenen Spitälern bringen sie ein tiefes Grundverständnis für die Komplexität des Spitals mit und sind sich gewohnt, multidirektional zu denken und zu handeln. Inzwischen ist auch die Generation Y, bald auch die Generation Z, in den oberen Führungsetagen angekommen und bringt andere Hintergründe und soziale Skills mit.
Die Kunst in der obersten Führung besteht darin, das Wissen und die Erfahrung all dieser Kadermitarbeiterinnen und -mitarbeiter als Ressource zu erkennen und Bedingungen zu schaffen, damit sich diese im Sinn der Unternehmensziele entfalten können. Das ist eine enorme Herausforderung, welche eine grosse Offenheit, hohe Flexibilität und Agilität und ein echtes Interesse am Gegenüber erfordert.
Es ist mir wichtig festzuhalten, dass die Entlassung eines Chefarztes nicht immer – wie im Artikel suggeriert wird – auf fehlende ­Akzeptanz der Unternehmensziele durch ­einen machthungrigen Chefarzt zurückzuführen sind, sondern durchaus auch Folge der Überforderung der höchsten Führungsebene sein können, mit dessen hoher Kompetenz in medizinischen, menschlichen und ökonomischen Belangen umzugehen.