T wie Töff oder Terrier

Horizonte
Ausgabe
2021/03
DOI:
https://doi.org/10.4414/saez.2021.19174
Schweiz Ärzteztg. 2021;102(03):106

Affiliations
PD Dr. med., Lex Iatrik, Versicherungsmedizin, Luzern

Publiziert am 20.01.2021

Mit Terrier ist einfach die Gattung Hund gemeint. Wäre der Buchstabe M, so würde es wohl Möpse heis­sen, Sie wissen schon, diese kleinen Kreaturen mit den eingedrückten Nasen, die in neuester Zeit auch junge Paare haben, anstelle von …
Und genau da beginnt die Geschichte: Meine Mutter, Küngolt Heim-Aebli [1], war während 15 Jahren Kolumnistin in der Frau, es gibt sie nicht mehr. Ihre Kolumne «Peterli und seine Geschwister» erzählte in dieser Zeitschrift für die Frau die Geschichte von unserer Chir­urgenfamilie. Der Peterli war mein Bruder Matthias, ich war der Lukas, und auch alle andern Geschwister erhielten eine neue Identität. Und so wusste die ganze Schweiz, jedenfalls alle, die es in­teressierte, was die sechs Heim-­Kinder alles so erlebten, taten, auch Schandtaten. Und dann schrieb sie einmal – sie, als Mutter von vielen Kindern –, dass sie Hunde eigentlich als Kinderersatz ansehe: «Hunde und nochmals Hunde!» Das war ein unverzeihliches Sakrileg, und Sie wissen ja, was dann nach so einer durchaus ehrlich gemeinten Äusserung passiert. Es gab damals noch kein Twitter, Shitstorms waren unbekannt, Hatemails wurden keine verschickt – aber man wurde entlassen! Das passiert auch heute noch, Influencerinnen und Influencer können davon ein Lied singen. Und bei Lukas, dem Nebendarsteller in der Peterli-Saga, könnte sich dieses Schicksal nun mit dieser Kolumne wiederholen – on verra.

Easy Rider-Nachfahren

Lukas quert als knapp Ü70er (wieso gibt es eigentlich ein Glanzheft mit dem Titel plus50 – was ist denn schon 50?) immer noch gerne mit seinem Carbon-Mountainbike, ohne e, logisch, was für eine Frage! – aber doch leichter (und teurer) als die früheren Tour-de-Suisse-3-Gänger, die höheren und tieferen Alpenpässe. Früher schluckte man am Grimsel oder Umbrail den Staub, heute sind es andere Partikel, die einem in die Nase steigen. Sie stammen (häufig) von Töffs, gelenkt von Easy Rider-Nachfahren (Film von Dennis Hopper mit Peter Fonda, 1969), und begleitet sind sie meist von einem ohrenbetäubenden Geknatter. Es werden immer mehr – die Jungen, vielleicht noch mit einem blauen L an der Nummer, und die grau melierten Herren. Es gibt auch immer mehr Frauen – Gleichberechtigung sieht anders aus! Meist kommen sie dann in Rudeln, Einzelkämpfer sind selten.
Vor vielen Jahren hatte man einen Töff, weil man sich ein Auto (noch) nicht leisten konnte, heute lässt man das zusätzliche Auto am strahlend schönen Wochenende ganz einfach in der Garage stehen.
1952 bereiste der junge Che Guevara, damals noch Medizinstudent, mit seinem Kollegen, einem Biochemiker, auf einer Norton 500cc einen Teil Südamerikas. Aus seinem Tagebuch wurde ein Film: The Motorcycle Diaries (Walter Sallas, 2004). In seinem Erleben der ­sozialen Unterschiede und Ungerechtigkeiten ist unschwer eine weitere Motivation für sein Engagement in der späteren kubanischen Revolution zu finden. Mit anderen Worten, dieser Road­trip auf einem Töff war im wahrsten Sinn des Wortes nachhaltig. Von Nachhaltigkeit in der heutigen Töff-szene zu sprechen ist euphemistisch. Und wenn man sie sieht, zu Hunderten auf dem Parkplatz oben auf dem Pass, dann zweifelt man grad auch noch am einstigen Gefühl von «Born to Be Wild» (Steppenwolf 1968). Da haben Hedonismus pur und Konformität die Wildheit längst verdrängt. Hedonismus in der heutigen Zeit kann auch als asoziale Krankheit bezeichnet werden, die in Corona-Zeiten eine spezielle Blütezeit erlebt, und ganz offensichtlich ist sie unheilbar.
Und wenn in einem Zeitungsartikel über eine neue «Maschine» noch geschrieben wird: «Weniger ist manchmal mehr. Dem würde auch die beunruhigte Ehefrau zustimmen», dann ist auch grad noch eine Prise Sexismus dabei!
heim.dominik[at]bluewin.ch
1 Heim-Aebli Küngolt – Fluntern erzählt. flunternerzaehlt.ch → Menschliches und Tierisches.