Mehr Zeit für Erfahrungsaustausch

Zu guter Letzt
Ausgabe
2021/0102
DOI:
https://doi.org/10.4414/saez.2021.19441
Schweiz Ärzteztg. 2021;102(0102):40

Affiliations
Dr. med., Medizinischer Direktor Stadtärztlicher Dienst Zürich, Vorstand VLSS

Publiziert am 05.01.2021

Eine junge Kollegin wollte ihre Anstellung wechseln, kein ungewöhnlicher Wunsch. Sie hat ein Stellenangebot bekommen und wäre nach 2,5 Monaten in ihrer ersten Anstellung ausgeschieden. Sie war hochmotiviert und willigte ein. Unter Abwägung der Interessen des Betriebes und ihrer möglichen Zukunftspläne konnte ich ihr aufzeigen, dass sie mögliche Nachteile «erleidet». Sie war überrascht, als ich ihr mitteilte, dass für die SIWF-Anerkennung der Weiterbildungszeiten meist eine dreimonatige Periode am Stück notwendig sei. Sie hatte sich noch nicht damit beschäftigt, war dankbar für die Rückmeldung und wechselte dann nach drei Monaten. Auch ihr damaliger Chefarzt war dankbar für die 14 zusätzlichen Tage. Er gewann mehr Zeit, eine entsprechende Nachfolge zu suchen.
In den letzten Jahren habe ich immer wieder Kurz­beratungen durchgeführt und mich wiederholt gefragt: Gehört es nicht zu unseren Aufgaben, junge Kolle­gen/-innen im Hinblick auf ihre berufliche Entwicklung und Ziele zu beraten? Für mich ein JA – ohne Wenn und Aber.
Rückblickend reifte bei mir die Entscheidung für die Facharztrichtung im dritten Weiterbildungsjahr. Ich habe im Kopf, dass dies auch Befragungen von Assistenzärztinnen und -ärzten belegen, die sich meist im dritten oder vierten Jahr entscheiden. Es ist wichtig, gerade in den ersten Jahren Unterstützung zu erfahren, da die jungen Kollegen sich in einem für sie neuen Umfeld zurechtfinden müssen, neue Teams kennenlernen und meist auch erstmalig mit ihren Grenzen im medizinischen Alltag konfrontiert werden. Hier sehe ich es als unsere Aufgabe, entsprechende Angebote vorzuschlagen. Ob diese im Rahmen von standardisierten Gesprächen nach Vorgaben des SIWF stattfinden oder ad hoc in einem persönlichen Gespräch bei einem Kaffee, sei situativ zu entscheiden. Diese Hilfestellung sollte aus meiner Sicht in die Hände von ­erfahrenen Kolleginnen gelegt werden, die beispielsweise auch Unterstützung bei einer Anschlussanstel­lung anbieten können. Wir haben zumeist ein Netz, dass für die Weiterentwicklung der jungen Berufskollegen von Nutzen sein kann. Sie dürfen nicht nur von unseren fachlichen Erfahrungen in der Medizin profitieren, sondern ebenso von unseren Verbindungen. Umso wichtiger erscheint es mir, ihnen aufzuzeigen, dass Erfahrung und Verbindungen für sie ein «Tür­öffner» sein können. Nicht immer gelingt dies, da die Pläne anderer von unseren eigenen Vorstellungen ­oftmals abweichen. Dies sollte man akzeptieren ­können. Die Ratsuchenden nehmen sich den Teil, den sie brauchen. Erinnern wir uns an unsere Unter­stützer/­-innen ...
Noch immer viel zu wenig umgesetzt sehe ich die sogenannte «Kaderplanung». Man hat eine Funktion inne, wird befördert, und damit ist es häufig getan. So erreichen manche viele Karrierestufen ohne die dringend benötigte, unabhängige Führungsausbildung. Oft fehlen die Werkzeuge, um den eigenen Führungsstil entwickeln können. Alle Lesenden wissen, dass in unserer ärztlichen Ausbildung, auch später in der Weiterbildung, diese Techniken des Gespräches, der wertschätzenden Kommunikation kaum gelehrt und deutlich untervertreten sind. Welche Chance haben diese Kolleginnen, sich zu entwickeln, uns zu unterstützen und zu hinterfragen ohne externe, unabhängige Unterstützung? Damit möchte ich nicht sagen, dass es einen CAS oder Master braucht, um führen oder Verantwortung in leitender Funktion ausführen zu können.
Zwischenzeitlich höre ich jedoch von Kolleginnen, dass sie für ihre Assistenzärzte keine Zeit aufbringen können. Sie seien bereits durchgeplant: Meetings mit der Spitalleitung, den Leitenden Ärzten und Chefärztinnen anderer Disziplinen aus dem gleichen Spital etc. Aber genau diese Zeit für junge Kolleginnen sollten wir uns nehmen. Sie bringt uns näher an deren Bedürfnisse, wir können von ihnen aktuelle Befindlichkeiten erfahren, Veränderungen früh antizipieren und in unsere Planung einfliessen lassen. Wer möchte heute noch eine 100%-Stelle als Chefarzt resp. Chefärztin? Sich im Arbeitsalltag vollständig den Bedürfnissen der Klinik/Institution unterordnend? Für viele Kolleginnen ist dies heute kein erstrebenswertes Ziel mehr!
Mein Wunsch wäre, dass die jungen Kollegen Unterstützung einfordern und die Erfahrenen sich die Zeit dafür nehmen – es ist für beide Seiten bereichernd, wertvoll und ermöglicht eine vorausschauende Planung. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen ein an kon­struktivem Austausch reiches und gesundes 2021!
daniel.schroepfer[at]zuerich.ch