Medizin der Zukunft: quo vadis?

FMH
Ausgabe
2021/04
DOI:
https://doi.org/10.4414/saez.2021.19571
Schweiz Ärzteztg. 2021;102(04):113

Affiliations
Dr. med., Mitglied des Zentralvorstands der FMH und Departementsverantwortliche Stationäre Versorgung und Tarife

Publiziert am 27.01.2021

Die Medizin der Zukunft ist ein wichtiges Thema, gerade jetzt, in einer Zeit, in der sowohl Gesundheitssystem wie auch Ärzte, Pflegende und Patienten sich einer nie dagewesenen Herausforderung stellen müssen – auch in den Bereichen stationäre Versorgung und Finanzierung/Tarife. Welche Medizin wollen wir Ärztinnen und Ärzte der Schweiz jetzt und zukünftig leben? Dazu fallen mir Worte ein wie Selbstbestimmung, Innovation, Sinnhaftigkeit.
Gemäss einer Studie aus dem inspirierenden Buch Corporate Rebels von Joost Minnaar und Pim de Morree arbeiten 37 Prozent der Berufstätigen mit dem Gefühl, in ihrem Job keinen sinnvollen Beitrag für die Gesellschaft leisten zu können. 85 Prozent machen Dienst nach Vorschrift. Wir können uns lebhaft vorstellen, was dies für die Medizin bedeuten würde!
Wir Ärztinnen und Ärzte haben das grosse Glück, einer Arbeit nachzugehen, in der die Sinnhaftigkeit zentral verankert ist. Wir wollen unseren Patientinnen und Patienten helfen und sie unterstützen. Dennoch ist ­unsere Freude, morgens ins Spital oder in die Praxis zu gehen, immer wieder getrübt von Gedanken an ad­ministrative Sachzwänge, Machtkämpfe, beengende Strukturen, zeitlichen Druck. Dabei lohnt es sich, dar­über nachzudenken, ob und inwiefern etablierte Spitalhierarchien noch mit unseren Wertehaltungen als Ärztinnen und Ärzte übereinstimmen.
Es lohnt sich, als Inspirationsquelle die Biographien mancher Pioniere anzuschauen, zum Beispiel jene von Zhang Ruimin, Konzernchef von Haier, einem chine­sischen Haushaltsgerätehersteller. Haier begann mit einem Pyramiden-Modell in den 80ern, Matrix in den 90ern, Satelliten-Organisation ab den Nullerjahren, bis der Konzern in aktuell 4000 kleine, selbstorganisierende Mikro-Einheiten mit Netzwerkteams aufgeteilt wurde. Hierarchien waren stetig aufgelöst und erneuert worden, Unternehmertum mit grösstmöglicher Freiheit wurde für jeden einzelnen Angestellten ins Zentrum gestellt. Zhang sagt: «Jedes Imperium kollabiert früher oder später, doch der Regenwald erneuert sich und besteht fort.»
Dieses Werden, Wandeln und wieder Werden lässt ein Unternehmen, auch ein Spital, eine Praxis, einen Tarif, gesund bleiben.
Ein interessantes Beispiel aus dem Gesundheitswesen ist Buurtzorg aus den Niederlanden, eine sich selbst ­organisierende Spitex-Organisation, die sehr erfolgreich geworden ist.
Wir Ärztinnen und Ärzte verstehen das gut bei unseren Patienten. Alles ist im Wandel – wenn es starr wird, ist es meist erkrankt. Es könnte spannend sein, dieses Verständnis auch auf unser Unternehmen, unser Spital auszuweiten. Grundsätzlich ist es wichtig, allem Gewordenen Acht zu tragen, denn das ist es, was uns in die Gegenwart gebracht hat. Und genauso wichtig ist es, Veränderungen einzuleiten. Evolution anstatt Revolution.
In diesem Sinne ist es meine Vision, im Departement Stationäre Versorgung und Tarife einerseits Ge­wordenes zu unterstützen. Wie zum Beispiel «Coach my career» – das Mentoring-Programm von mfe, SIWF, SWIMSA, VLSS, vsao und FMH, in dem Chefärztinnen oder Leitende Ärzte ihre Lebens- und Berufserfahrungen an junge Ärztinnen und Ärzte weitergeben und sie im Berufsleben bei ihren Herausforderungen unterstützen. Andererseits will ich zusammen mit unserem FMH-Team im dynamischen Spannungsfeld von Ver­sicherern, H+, Behörden und anderen Akteuren im ­Gesundheitswesen stets im Wandel bleiben. Damit wir immer einen Schritt voraus sind und dazu beitragen, der Ärzteschaft die therapeutische Freiheit zu erhalten.
Dafür müssen wir gemeinsam zusammenarbeiten. Mit den beratenden Ärztinnen und Ärzten in den Gremien, den Fachgesellschaften und mit Ihnen allen, liebe Mitglieder!
Melden Sie sich bei uns, wenn Sie Kritik anbringen wollen, Fragen haben oder wenn Sie eine gute Idee haben, wie Stationäre Versorgung und Tarife besser funktionieren könnten!
In diesem Sinne wünsche ich uns allen eine Entwicklung in eine gemeinsam gestaltete Zukunft.