Buchbesprechungen

Horizonte
Ausgabe
2021/1920
DOI:
https://doi.org/10.4414/saez.2021.19683
Schweiz Ärzteztg. 2021;102(1920):674-675

Publiziert am 12.05.2021

Sachbuch

One Health 
2nd edition. The theory and practice of integrated Health approaches

Jakob Zinsstag et al. (Hg.)
Oxford: CABI; 2021
Entwicklung und Fortbestand unseres Pla­neten hängen ab von der symbiotischen Wechselbeziehung zwischen Menschen, Tieren und der Umwelt. Allerdings dominieren wir die Biosphäre immer mehr («Anthropozän») durch technologische Innovationen, beschleu­nigte Mobilität, umgewandelte Öko­systeme. Diese Entwicklungen haben die Ge­sundheit einzelner Menschen zwar ge­fördert, machen uns aber auch zunehmend anfällig für die aktuellen globalen Gesundheitsprobleme wie etwa die wieder aufkommenden Infektionskrankheiten – etwa 70% der neuauftretenden Krankheiten sind Zoonosen. Zunehmend ergeben sich Gesundheitsprobleme auch durch Antibiotika-Resistenzen und nichtübertragbare Krankheiten. Diese Herausforderungen werden weltweit durch den Klimawandel, Armut, Konflikte und Migration verstärkt.
Wir müssen die komplexen Verflechtungen und gegenseitigen Abhängigkeiten aller Lebewesen und der Umwelt berücksichtigen: One Health – Gesundheit als Wechsel- und Zusammenspiel bietet synergetischen Mehrwert durch engere Zusammenarbeit von Human-, Tier- und Umweltwissenschaften.
Unter Federführung von Jakob Zinsstag und seinen Mitarbeitenden am Schweizerischen Tropen- und Public Health Institut in Basel und 80 sehr kompetenten Mitautorinnen und -autoren ist das Standardwerk zum Thema in zweiter Auflage neu erschienen: eine gross­artige und lohnende Lektüre, in ihrer praktischen Anwendung wirklich lebensnotwendig! Theoretische Grundlagen, zahlreiche praktische Beispiele und Perspektiven zur Ökologie und Arterhaltung laden ein, sich der Kom­plexität der Realität zu stellen. Die integrativen Ansätze dieses zukunftsentscheidenden, ­integrierenden Konzeptes müssen im Prak­tischen, aber auch in akademischen und ­politischen Bereichen umgesetzt werden. Ein äusserst wichtiges Buch.
Prof. Dr. med. Jürg Kesselring FRCP, Valens
juerg.kesselring[at]bluewin.ch
Lehr- und Handbuch

Psychosomatik.
Neurobiologisch fundiert und evidenzbasiert

Ulrich Egle, Christine Heim, Bernhard Strauss, Roland von Känel (Hg.)
Stuttgart: 
Kohlhammer; 2020
Im deutschsprachigen Raum wird unter dem massgeblichen Einfluss von A. Mitscherlich unter Psychosomatik meist nur ein psycho­dynamischer Zugang bei psychischen Erkrankungen verstanden.
Mit Psychosomatik liegt nun erstmals im deutschen Sprachraum ein Standardwerk vor, das dem originären Anspruch dieses Fach­gebiets folgt. In der Tradition einer ganzheit­lichen Medizin (Viktor v. Weizsäcker; Thure v. Uexküll) werden die psychologischen/psych­iatrischen, biologischen sowie sozialen ­Dimensionen somatischer Erkrankungen ­einschliesslich ihrer diagnostischen und the­ra­peutischen Implikationen umfassend dargestellt. Das Werk folgt konzeptionell dem US-­amerikanischen Lehrbuch Psychosomatic Medicine (Blumenfield & Strain, 2006).
In dem knapp 860-seitigen Lehrbuch behandeln 120 Autorinnen und Autoren in 65 Ka­piteln die theoretischen Grundlagen (u.a. Stressforschung, Bindungsforschung, Resilienzforschung) sowie alle somatischen «Krankheitsbilder». Nach der Diagnostik erfolgt eine umfassende Darstellung zur Therapie einschliesslich Prävention und Begutachtung.
Das Buch ist übersichtlich und durch eine Vielzahl von Abbildungen und Tabellen sehr gut lesbar und verständlich. Hervorzuheben ist die Orientierung an evidenzbasiertem ­Wissen.
Es stellt somit ein exzellentes Kompendium für eine «Psychosomatik 4.0» dar. Die Umsetzung der Empfehlungen kann vielen somatisch Kranken helfen. Die Lektüre ist daher für alle in der Medizin Tätigen unbedingt empfehlenswert.
Univ.-Prof. Dr. Dr. Reinhard J. Boerner, Quakenbrück, Erfurt, Berlin
reinjboe2021[at]gmail.com
Historischer
Roman

Ludwik Fleck und das nicht nach ihm benannte Fleckfieber

Andreas Pospischil
Zürich: Chronos Verlag; 2020
Todbringende Blutsauger und ein todesmutiger Wissenschaftler, der als Gefangener im KZ Buchenwald einen unwirksamen Impfstoff für die deutschen Truppen und im Geheimen ein wirksames Vakzin für seine Mithäftlinge herstellt. Dies sind bloss zwei vieler erstaun­licher Eckpunkte in der Geschichte des Fleckfiebers. Pospischil, ehemaliger Professor für Veterinärpathologie der Universität Zürich, nimmt seine Leserschaft auf eine äusserst spannende Zeitreise mit, die im 16. Jahr­hundert beginnt, als das Fleckfieber noch als ­«Typhus exanthemicus» bezeichnet wurde. Hunderttausende Menschen starben an der Infektionskrankheit, bis der französische Arzt Charles Nicolle Anfang des 20. Jahrhunderts einen Zusammenhang zwischen dem Befall mit Läusen und der Verbreitung des Fleck­fiebers erkannte. Dieser dazumal häufig tödlich verlaufenden Krankheit erlagen unter ­anderem auch der Mikrobiologe Howard T. ­Ricketts und seine zwei Mitarbeiter, die während einer Fleckfieberepidemie in Mexiko weilten und kurz vor ihrem Tod beweisen konnten, dass die Erreger (Rickettsien prowazekii) durch Läusekot ausgeschieden werden und durch die Einstichstelle der Parasiten in den Körper ihrer Opfer gelangen. Andreas Pospischil rundet sein Werk mit der Schil­derung verschiedener Bemühungen, einen Impfstoff gegen die Rickettsie herzustellen, ab. Ein Teil dieser Episode ereignet sich wie eingangs erwähnt während des Zweiten Weltkriegs, wobei der Arzt Ludwik Fleck eine zentrale Rolle spielte. Doch zu viel will ich hier nicht verraten. Selbstlesen empfohlen.
Matthias Scholer, 
Chefredaktor SÄZ
matthias.scholer[at]emh.ch
Sachbuch

Evidenzen der Bilder. Visualisierungsstrategien in der medizinischen Diagnostik um 1900

Michael Martin, 
Heiner Fangerau
Stuttgart: Franz Steiner; 2021
Für Ärztinnen wie für Patienten scheint es heutzutage völlig klar, dass Bildformate wie ein Röntgenbild oder ein Elektrokardiogramm mittels eines technischen Vorganges das sichtbar machen, was ohne ihn nicht sichtbar wäre. Im «Schattenbild» bzw. in der Kurve liegt das Versprechen von Evidenz, definitionsgemäss also das, was aus sich heraus ohne weitere Beweisführung zu überzeugen vermag. Diese diagnostischen Bilderwelten überzeugten indes nicht schon bei ihrer Einführung. Die Autoren legen das äusserst detail- und kenntnisreich dar am Beispiel von neuartigen Visualisierungen wie Foto- und Radiographie bzw. Kystoskopie, die in den Jahrzehnten vor und nach 1900 Einzug in die Medizin gehalten haben.
Die neuartige «Bildsprache» musste sich erst mühsam gegen die nachkolorierte Handzeichnung und die jahrhundertelang geübte medizinische Semiotik durchsetzen. Den ­Autoren gelingt es hervorragend nachzuzeichnen, warum in der medizinischen Dia­gnostik noch nie Bilder für sich selbst gesprochen haben, warum es keine «natürliche Evidenz» gibt. Denn Evidenzen – im Plural – sind überaus vielfältig und immer kontextabhängig. Das Buch ist eine spannende Reise in damals neu aufkommende Visualisierungsstrategien.
Übrigens ist es kostenlos als E-Book auf der Verlagsseite herunterladbar.
Prof. Dr. Mathias Seifert, 
Hochschule Fresenius, Idstein
Mathias.Seifert[at]hs-fresenius.de

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